Für Marco Bahr ist fortan kein Platz mehr

Es ist erst wenige Tage her, da gab es Standing Ovation und Blumen vom Publikum für Marco Bahr und Gabriele M. Püttner. Beide hatten zum letzten Mal als Michael und Lily auf der Bühne des Theaters Vorpommern gestanden. Und dabei geglänzt. In „Sechs Tanzstunden in sechs Wochen“. Es war ihre 73. (!) Vorstellung. Nicht viel anders erging es Bahr, als er Tage zuvor mit „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ noch einmal Premiere feiern durfte. Seine letzte am Theater Vorpommern. Auch da gab es Blumen, viel Applaus. Und einen Eklat. Denn justament, in dem Moment, als Intendant Dirk Löschner die Bühne betrat, um Bahrs hochverehrte Schauspielkollegin Gabriele Püttner nach 42 Jahren Bühnenzugehörigkeit zu verabschieden, verschwand der Mime. „Ich kann mir keine Lobrede von einem Mann anhören, dem ich unterstellen muss, dass er gar kein Interesse an Frau Püttner hat. Nicht eine unserer Vorstellungen von ,Sechs Tanzstunden in sechs Wochen‘ hat er sich angesehen.“, beklagt Bahr. „Mich hat er zudem als Hybris bezeichnet.“ So nennt man einen Menschen voller Hochmut und Selbstüberschätzung. In der griechischen Mythologie widersetzt sich dieser allerdings den Befehlen und Gesetzen der Götter und wird anschließend durch sie zu Fall gebracht. Seit dem 17. Oktober 2014 ist für den Charakterdarsteller klar, dass er die Bühne verlassen muss. Zufall oder nicht? Es war sein 48. Geburtstag, an dem Marco Bahr zum zweiten Mal eine Einladung zu einem sogenannten Nichtverlängerungsgespräch bekam. 2012 hatte der Intendant nicht davor zurückgeschreckt, ihm solch ein Brieflein eine Stunde vor einer Premiere zu überreichen, beklagt er. „Ich hätte damals schon konsequent sein müssen und gehen sollen“, sagt er heute. Noch hahnebüchender als die Situation empfand der charismatische Mime die Begründung, die man ihm gab. Wenn man sieben Jahre am Theater ist, müsse man überlegen, ob es noch gesund für ein Theater sei, mit ihm zusammen zu arbeiten. „Das hat damals der Oberspielleiter zu mir gesagt.“ Zudem war Bahr vorgeworfen worden, dass er ein Mensch sei, der bei den Szenen zu viel vordenke. Das unterdrücke die Kreativität der Kollegen. Am Theater Vorpommern, wurde er belehrt, wünsche man sich Leute, die zur Probe in einen leeren Raum kommen und dann gucken, was passiert. „Geht‘s noch?“ Noch absurder könne man einen Rausschmiss wohl nicht begründen, meint der Schauspieler. „Es liegt mir eigentlich fern, hinterher zu treten“, betont er. „Ich habe ja auch keinen Grund, zu grollen, weil einfach neue und schönere Aufgaben auf mich warten“, blickt er zuversichtlich nach vorn. „Ich gebe aber offen zu, dass ich viel vordenke. Weil ich ein Künstler bin, der gern das Letzte aus sich und seiner Rolle herausholt“. Und genau das hat Bahr in vielen Stücken bewiesen. Erinnern wir uns nur an den „Gott des Gemetzels“, in dem sich zwei Elternpaare wegen ihrer Kinder in die Haare kriegen. 2009 kam das Stück auf die Bühne. Bahr spielte darin einen der Väter. Alain, einen Juristen. Er war grandios. Ab der neuen Spielzeit wird er nun am Theater Neustrelitz auf der Bühne stehen. Seine erste Rolle ist der Truffaldino in Goldonis „Diener zweier Herren“. Ab September übernimmt er die Regie fürs „Aschenbrödel“, dem Neustrelitzer Weihnachtsmärchen. Nebenher wird Bahr weiter als Dozent an der Schauspielschule Zinnowitz arbeiten. Im Sommer ist er auch in einer kleineren Rolle in „Maria Stuart“ in der Koserower Kirche zu erleben. Marco Bahr ist froh und traurig zugleich, das Theater Vorpommern zu verlassen. „Es hat dort einfach keinen Spaß mehr gemacht“, sagt er. Vor drei Jahren hatte Dirk Löschner die Intendanz übernommen. Zeitgleich musste das halbe Schauspielensemble gehen. „Seither haben wir oft vor fast leeren Rängen gespielt“, blickt Bahr zurück. Und genau das weist Löschner zurück. Gerade das Schauspiel, so rechnet der Intendant vor, habe in der Spielzeit 2013/14 die höchsten Zuschauerzahlen der letzten fünf Jahre verbuchen können. Dabei verweist er auf Stücke, wie „Der Turm“ und „Männerhort“. Ebenso auf das von ihm inszenierte „Anatevka“, das mit mehr als 10 000 Zuschauern in 15 Monaten einen langjährigen Rekordwert verbuchte. Der Trend halte an. Auch Ballett und Musiktheater hätten eine sehr gute Auslastung, betont Löschner. Für Marco Bahr sind die Probleme grundsätzlicher Natur. Das zeige sich jetzt auch beim „Weißen Rössl“, das in wenigen Tagen zur Sommerbespielung auf die Bühne kommt, sagt er. Dort habe der Regisseur kapituliert, weil die Schauspieler mit ihm nicht mehr arbeiten wollen. Deshalb sitzt jetzt der Intendant auf seinem Platz. Löschner, der sich nicht weiter zur Personalentscheidung äußern möchte, entgegnet diesem Vorwurf: „Bei einem Open-Air-Format, das in den warmen Monaten ein ganz eigenes Publikum erreichen soll, ist es selbstverständlich, wenn der Intendant als künstlerischer Leiter des Theaters eine Stückentwicklung verfolgt und in den Endproben begleitet. „Es ist bedauerlich, dass ein Schauspieler, der in den vergangenen Jahren gute Chancen hatte, sein unbestreitbares Talent in die künstlerischen Prozesse einzubringen, nun bereit ist, seinen langjährigen Wirkungsort sowie seine Kolleginnen und Kollegen zu diskreditieren“, erklärt Löschner. Gleichwohl wünscht ihm das Theater Vorpommern alles Gute für seinen weiteren künstlerischen Weg. Ich gebe offen zu, dass ich viel vordenke. Weil ich ein Künstler bin, der gern das Letzte aus sich und seiner Rolle herausholt.“Marco Bahr (48), Schauspieler Reinhard Amler

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