Geisterhaftes auf dem Klavier

Geisterstunde beim Klavierabend mit Ji-Yeoun You am Dienstagabend in der Benzer Kirche! Aber gemach. Es ging natürlich seriös zu, wie es sich für Kunst im Allgemeinen und Musik im Besonderen gehört; auch wenn Geheimnisvolles ins Spiel kommt. Wie vorgestern beim Programm der nicht nur dort bestens bekannten und an Dresdens Musikhochschule wie Berlins Universität der Künste unterrichtenden Ji-Yeoun You, die unter dem Thema „Geister“ Beethovens Sonate op. 31 Nr. 2, Mussorgskis „Eine Nacht auf dem Kahlen Berge“ und Ravels „Gaspard de la Nuit“ präsentierte. Programmmusik also, teils sehr direkt und ohne Sachhinweise — etwa im Programm— schwerlich nachvollziehbar. Zunächst aber: Frau Yous Spiel ließ erneut keine Wünsche offen. Sie bestach mit blendender, mühelos wirkender Technik, fein austariertem Differenzierungsvermögen, höchst variablem, sensiblem Anschlag und der Fähigkeit zur so kraftvollen wie prägnanten Gestaltung. Das war gut für Beethoven, dessen plastisch „redende“, angeblich auf Shakespeares „Sturm“ zurückgehende Eigenwilligkeiten so bestens zur Geltung kamen. Eine neue Erfahrung war Mussorgskis Orchesterfantasie (!) in einer Klavierfassung (C. Tschernow): pianistisch sicher reizvoll und blendend bewältigt, aber zwangsläufig des öfteren brachial und ohne jene atmosphärische Klangfarbenvielfalt, die das unheimliche, von allerhand nächtlich düsteren Gestalten bevölkerte Spukstück ausmacht. Aber dann Ravel, der abendliche Glanzpunkt mit einer sich übertreffenden Ji-Yeoun You. Ein Paradebeispiel für schwerelos perlendes Spiel, schillernde Klangregie und schattenhaft bis grell konturierte „Bilder“ einer visionären Phantastik. Die wirken natürlich schon für sich, erschließen sich aber erst, wenn man die engen literarischen Bezüge — Gedichte von Aloysius Bertrand — kennt; betreffend die Wassernixe Undine, einen im Abendwind schaukelnden Gehängten und den grotesk listigen, die Menschen ärgernden Nachtkobold Scarbo. Letzteres Stück gilt als eines der schwierigsten Klavierwerke überhaupt, was dank souveränen Spiels lediglich optisch sichtbar wurde. Die allgemeine Begeisterung war groß. Ekkehard Ochs

Benz - Geisterhaftes auf dem Klavier