Greifswald - „Ich will doch nur spielen“ — und zwar mit 20 Zügen gleichzeitig

Wenn Gerd Schwarz im Jobcenter in der Spiegelsdorfer Wende Feierabend hat, muss er nur ein paar Schritte über den Hof gehen. Dann kann er die schwere Tür zu ein paar Kellerräumen im Block gegenüber öffnen und in einer völlig anderen Welt versinken: einer Miniaturwelt voller Züge, Schienen, Bäume, Felswände. Als Arbeitsvermittler hilft er Anderen, die Weichen im Berufsleben neu zu stellen, nach Feierabend schaut er, ob sie für seine Züge im Modellbahnclub Greifswald richtig gestellt sind. „Im Moment bin ich fast täglich hier, es ist ja noch so viel zu tun“, sagt der 55-Jährige. Denn am ersten Adventswochenende wollen er und die anderen Modellbahnbauer in der Mensa am Schießwall wieder ihre Anlagen zeigen, 14 insgesamt. Darunter klassisch-analoge, bei denen der Besitzer jeden Zug einzeln über einen Trafo steuern muss. Und moderne wie die von Gerd Schwarz, die stundenlang allein laufen können — digital gesteuert, über Decoder und Computerprogramm. 1967 war der Modellbahnclub gegründet worden, Gerd Schwarz ist der erste, der mit seinen Zügen ins digitale Zeitalter aufbrach. „Mein Vater hatte früher eine analoge Anlage“, erzählt er. Als er selbst 2005 überlegte, in dieses Hobby einzusteigen und die erste eigene Anlage zu bauen, besuchte er vorher Messen, studierte Fachmagazine. „Ich hab gesehen: Digital ist die Zukunft“, sagt er. Jahre später und ein paar tausend Euro ärmer ist Gerd Schwarz heute Herr über einen vielgleisigen Bahnhof, der, wenn es ihn in Wirklichkeit gäbe, 160 Mal so groß wäre. Daumendicke Züge fahren hier mit neun Millimeter Spurbreite im Kreis, vorbei an einem alten Turm, parkenden Autos und Wohnblöcken, einem Fotografen, dessen Kamera kurz aufblitzen kann. Und im Hintergrund leuchtet eine Altstadt, bunt aufgemalt auf Papier. Manche Modellbahnbauer versuchen, reale Bahnhöfe nachzuahmen, detailversessen bis zur letzten Straßenlaterne. Gerd Schwarz hat seinen Ehrgeiz auf andere Dinge verlegt. „Meinen Bahnhof gibt es nirgendwo, ich will einfach nur spielen“, sagt er. Und das heißt: Möglichst viele Züge sollen gleichzeitig über die Gleise in der Welt im Winzformat rauschen, dabei quietschen und schnaufen. Über Jahre hinweg hat Schwarz dafür nicht nur Schienen verlegt und Kulissen gebastelt, sondern auch mit dem Computerprogramm „train controller“ die eigene Anlage auf dem Bildschirm nachgezeichnet, Fahrten programmiert und simuliert, kleine Lautsprecher in die Loks montiert. „Dieses Tüfteln ist Entspannung für mich“, sagt er. Zumal es für jedes Problem auf oder neben den Gleisen einen Spezialisten unter den rund 30 Clubmitgliedern gebe. „Wir helfen uns da gegenseitig.“ Inzwischen kann Schwarz seine Anlage anwerfen und dann in aller Ruhe zuschauen, wie 18 Minuten lang 20 verschiedene Züge hin und herfahren, sogar mal fünf gleichzeitig. Erst dann wiederholt sich das Geschehen in seiner Miniaturwelt. „So kann ich mich bei Ausstellungen auch gut mit den Besuchern unterhalten“, erzählt er. „Das kann ein Analoger nicht, der muss dauernd aufpassen!“ Die digitale Technik hat aber auch ihre Tücken. „Sie ist sehr anfällig für Staub“, verrät Vereinschef Jörg Meyer. „Wenn irgendwas schief läuft, sagen wir immer: Du musst wohl mal wieder Gleise putzen!“ Keine beliebte Aufgabe, aber eine, die sich lohnen kann. Schwarz erinnert sich noch, wie er seine Anlage 2009 auf einer Messe in Leipzig zeigte. „Sie ist acht Stunden gelaufen, ohne dass ich irgendetwas tun musste“, erzählt er. Keine Störung in der Weichenschaltung, keine Lok, die entgleiste. „Das war mein Rekord.“ Club-Mitglied Thomas Wellendorf grinst. Er selbst hat vor Jahren auf digital umgestellt. „Aber wenn alles so reibungslos funktioniert, wird mir langweilig“, sagt er. „Dann fange ich an, eine Störung herbeizusehnen.“ Ausstellung in der Mensa 14 Modellbahn-Anlagen sind am ersten Adventswochenende in der Mensa am Schießwall zu sehen. Der Modellbahnclub Greifswald organisiert die Ausstellung, aber auch Modellbahnbauer aus Lübeck, Berlin, Teterow, Sassnitz, Stralsund und Grimmen reisen mit ihren Anlagen an. Geöffnet ist die Ausstellung am 29. und 30. Dezember jeweils von 10 bis 18 Uhr. Eintritt: 4 Euro für Erwachsene, ein Euro für Kinder. Sybille Marx