Intendant: „Unser Theater braucht Niveau“

Greifswald — In der Spielzeit 2012/13 kamen 38 500 Zuschauer weniger ins Theater als in der Saison davor. Es war das erste Jahr von Intendant Dirk Löschner (46) am Theater Vorpommern. Was die Zahlen für ihn bedeuten, warum der Humor der Pommern besonders ist und wie es weitergehen soll, darüber sprach er im Interview. OSTSEE-ZEITUNG: Die einen fordern Stücke für ein Massenpublikum, die anderen sehen Qualität als das Wichtigste an. Müssen sich beide Dinge ausschließen? Dirk Löschner: Das ist ein sehr schwieriges Feld. Unterhaltung für ein breites Publikum kann und sollte auch hochwertig sein. Wir wollen den Unterhaltungsfaktor in dieser Spielzeit gerade im Schauspiel bewusst erhöhen, was aber nicht heißt, dass wir das Niveau senken. Im Gegenteil. Das Kino hat sich darauf eingeschossen, Angebote fast ausschließlich für den Massengeschmack zu machen. Ich glaube, dass ein Stadttheater andere Aufgaben hat. OZ: Welche sind das? Löschner: Zum Beispiel das Repertoire zu pflegen und weiterzutragen, bestimmte Themen, die gesellschaftlich relevant sind, zu präsentieren, auch wenn sie nicht unbedingt amüsant und unterhaltsam aufgemacht sind. Aufgabe eines Stadttheaters ist es auch, interessante, neue Stücke, die es auf dem Markt gibt, zu zeigen. Außerdem müssen wir im Jugendbereich Angebote machen. Und das auch wenn sie nicht Mainstream sind. OZ: Sie sagten mal bei einer Veranstaltung, dass es etwa ein Jahr dauert, bis Sie Ihr Publikum richtig kennenlernen, um auf es eingehen zu können. Was haben Sie über die Menschen in der Region gelernt? Löschner: Humor unterscheidet sich in jeder Region etwas. Ich kann Ihnen den der Pommern zwar nicht richtig beschreiben. Aber wenn wir an einer Inszenierung arbeiten, habe ich mittlerweile schon ein besseres Gespür dafür, welcher Humor hier in der Region eine Chance hat, anzukommen. Meine „Ballade vom traurigen Café“ war eine der am meisten diskutierten Inszenierungen der letzten Spielzeit. Ich fand sie in weiten Teilen sehr humorvoll, habe damit aber überhaupt nicht den Nerv der Leute hier getroffen. Das ist etwas, was ich durchaus zur Kenntnis genommen habe (lacht). Dann guckt man sich andere Stücke an, sitzt im Publikum und achtet darauf, wie es reagiert. Das ist schon interessant. OZ: Inwiefern unterscheidet sich das Publikum in der Region von dem, das Sie anderswo erlebt haben? Löschner: Es weht einem erstmal keine Offenheit entgegen, sondern eher Skepsis. Das ist mir in Stendal, wo ich vorher Intendant war, nicht so gegangen. Nach und nach habe ich viele Menschen kennengelernt, die auch neu in die Region gekommen sind und mir bestätigt haben, dass es ihnen genauso so erging. Die Pommern sind abwartend. Damit muss man umgehen. Ich habe allerdings auch den Eindruck, dass eine sehr starke Bindung zu dem da ist, was man einmal lieb gewonnen hat. Das ist etwas sehr Gutes. Es birgt die Hoffnung, dass wir irgendwann die Herzen erobern und dass unser neues Team dann vom Gefallen an der Kontinuität der Menschen in der Region profitiert. OZ: Die Skepsis wurde auch in den gesunkenen Besucherzahlen deutlich. Woran liegt es Ihrer Meinung nach, dass weniger kamen? Löschner: Als ich hierherkam, bestand der Spielplan des Theaters zu einem großen Teil aus Gastspielen. Das finde ich nicht richtig, wenn man sich ein produzierendes Theater leistet. Deswegen habe ich das reduziert. Das ging natürlich auch mit sinkenden Besucherzahlen einher. Die Kräfte, die dadurch frei wurden, brauchten wir jedoch, um ein breiteres Angebot aufstellen zu können. Dafür können wir die Früchte erst später ernten, trotzdem war es die richtige Entscheidung. Der nächste Punkt ist, dass wir durch das neu zusammengesetzte Ensemble keine Übernahmen machen konnten. Dafür hätten wir sehr viel umbesetzen müssen oder Darsteller aus dem alten Ensemble als Gastschauspieler beschäftigen, wofür das Geld nicht da ist. Wir mussten also sehr stark auf die neuen Produktionen setzen, die es aber — trotz vieler erfolgreicher Produktionen — nicht immer geschafft haben, das aufzufangen. Ein weiterer Effekt waren zwei Sonderfälle aus der Spielzeit zuvor, das waren zwei Asientourneen des Orchesters, die allein 13 000 Zuschauer gebracht haben und eine Sonderausstellung über Theatertechnik in Putbus mit 8500 Besuchern. Solche Effekte verzerren den Vergleich. OZ: In der öffentlichen Wahrnehmung haben Ihnen viele die Nichtverlängerung der Verträge von sieben Schauspielern übelgenommen. Hat sich das auch auf die Besucherzahlen ausgewirkt? Löschner: Das hat am Anfang sicher eine Rolle gespielt, weil die gesamte Diskussion darüber weit in die Spielzeit reinreichte. Sie ebbte im Laufe der Spielzeit ab. Ich denke, weil die Besucher gesehen haben, dass die Neuen, die nach Vorpommern gekommen sind, interessante Darsteller sind, denen man eine Chance geben muss. OZ: Wenn Sie die Uhr noch mal zurückdrehen könnten, würden Sie die gleiche Entscheidung wieder treffen? Löschner: Nur ein bisschen Neuanfang, das hat keine Chance. Ein Intendant muss, wenn er von einem Weg überzeugt ist, auch unpopuläre Entscheidungen treffen. Im Übrigen sollten wir die alten Wunden heilen lassen und nach vorn sehen. Einige Mitglieder des früheren Schauspielensembles arbeiten in der einen oder anderen Weise wieder mit dem Theater zusammen. Ich halte das für eine gute Entwicklung. Wir wollen den Unterhaltungsfaktor bewusst erhöhen, aber nicht das Niveau senken.“ Rigoletto, Oper von Verdi, 17. November, 18 Uhr, Greifswald Lohengrin, romantische Oper von Wagner, 21. Dezember in Greifswald Bur Brel, Dirk Löschner singt Lieder von Jacques Brel, 28. Dezember, 19.30 Uhr, Theater Putbus Anatevka, Musical von Jerry Bock (Musik), Joseph Stein (Buch) und Sheldon Harnick (Liedtexte), 1. Februar 2014, Großes Haus, Greifswald Der mechanische Prinz, Spiel mit Puppen und Menschen ab 8 Jahren, 21. Mai 2014, Hinterbühne Greifswald Dirk Löschner ist seit August 2012 Intendant und Geschäftsführer des Theaters Vorpommern. Davor war er 3 Jahre Intendant am Theater der Altmark. Es weht einem erstmal keine Offenheit entgegen, sondern eher Skepsis. Die Pommern sind abwartend.“ Löschner-Inszenierungen Ich fand meine Inszenie- rung der ,Ballade vom trau- rigen Café‘ in weiten Teilen sehr humorvoll, habe damit aber überhaupt nicht den Nerv der Leute getroffen.“ Katharina Degrassi

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