Katja Petrowskaja: „Gott googelt unsere Wege“

Eine leibhaftige Bachmann-Preisträgerin präsentierte Pfarrer Christian Ohm vergangene Woche mit Katja Petrowskaja. Rund 50 Zuhörer kamen in das Kosegartenhaus von Altenkirchen, um die 1970 in Kiew geborene ukrainisch-deutsche Schriftstellerin zu erleben, die aus ihrem Buch „Vielleicht Esther“ las, für das sie 2013 Deutschlands wohl renommiertesten Literaturpreis erhielt. Die Region Vorpommern kannte Petrowskaja bereits, weil sie im selben Jahr im Rahmen eines Stipendiums des Künstlerhauses Lukas in Ahrenshoop daran gearbeitet hatte. „Das Buch ist leider kein Roman“, sagt Petrowskaja, „nichts ist erdichtet, alles ist wahr“. Sie erzählt darin von der Vernichtung der Juden in Kiew durch die Nationalsozialisten anhand der Geschichte ihrer Urgroßmutter Esther, die 1941 in Kiew verschleppt und beim Massaker in der Schlucht von Babi Jar ermordet wurde. Die Schlucht wurde damit zum Schauplatz der größten einzelnen Mordaktion an jüdischen Männern, Frauen und Kindern im Zweiten Weltkrieg, bei der SS und Wehrmacht innerhalb von 36 Stunden 33771 Juden töteten. Er selber habe Babi Jar besucht, schilderte der Rügener Maler und Filmemacher Frank Otto Sperlich in der anschließenden Gesprächsrunde. Lange habe er überlegt, auf welche Weise er das Massaker künstlerisch bearbeiten könne, damit die Dimension des Grauens erfahrbar werde, bis er schließlich aufgab. Erst das Buch von Katja Petrowskaja habe ihm einen Weg gezeigt, mit dem Unfassbaren sprachlich umzugehen. Dafür bedanke er sich. Das entspricht ziemlich genau dem, was die Jury bei der Vergabe des Ingeborg-Bachmann-Preises erklärte: Der Text sei die „Aneignung einer Geschichte durch Nachgeborene“ und „ein großartiges Geschenk an die deutsche Sprache“. Petrowskaja nähert sich der ungeheuren Dimension des Völkermordes indem sie fragt: „Wieviel Alltag steckt in einer Katastrophe und wieviel Katastrophe im Alltag?“ Mit durchaus philosophischer Tiefe hinterfragt Petrowskaja unseren Alltag, der zunehmend virtuell und durch soziale Medien bestimmt werde, die einem noch Monate später anbieten, was man einmal suchte. „Wie soll Demokratie funktionieren, wenn man nur das kriegt, was man schon gesucht hat, und wenn man das ist, was man sucht?“, liest Petrowskaja. „Gott googelt unsere Wege, auf dass wir nicht herausfallen aus unseren Fugen.“ Katja Petrowskaja studierte Literaturwissenschaft und Slawistik in Estland, bevor sie 1994 mit einem Stipendium an die amerikanischen Universitäten von Stanford und Columbia ging und schließlich an der Universität Moskau promovierte. 1999 zog sie nach Berlin, wo sie mit ihrem Mann und zwei Kindern lebt. Heute arbeitet sie als Journalistin. Uwe Driest

Altenkirchen - Katja Petrowskaja: „Gott googelt unsere Wege“