Klaus Störtebeker weint, verliert und zeigt Gnade

Er wird als der Störtebeker der Wandlungen in die Geschichte der Ralswieker Festspiele eingehen: Durfte sich Darsteller Bastian Semm in seinen ersten beiden Jahren als Titelheld als rauher, manchmal skrupelloser Volksheld geben, ist sein Störtebeker in dem neuen Stück „Aller Welt Feind“von einer weicheren Art. Nicht nur, dass er seinen schlimmsten Feind, den Großfürsten Wassili von Nowgorod (Mario Ramos), im finalen Kampf verschont und beim Tod seiner Geliebten Nadeshda (Anika Lehmann) bitterlich weint — Klaus Störtebeker darf auch mal verlieren. Unter dem nunmehr dritten Regisseur in drei Jahren, Thomas Schendel, ist mit der neuen Aufführung eine Geschichte entstanden, die sich nicht nur über fliegende Riesenkugeln, krachende Feuerfontänen und in den Abgrund stürzende, brennende Menschen erzählt. „Aller Welt Feind“ ist bemerkenswert feinsinnig gestaltet. Die Dialoglastigkeit sorgt für die Entwicklung des Erzählstrangs, führt aber nie zu Durchhängern, die das Publikum womöglich langweilen könnten. Das Stück hat Dramatik, birgt eine gewisse Spannung in sich und transportiert intelligenten Humor. Schenkelklopfer fehlen diesmal völlig. Allerdings ist auch keine der Figuren als Possenreißer angelegt. Für den Spaß hat diesmal vor allem Goedeke Michels (Andreas Euler) zu sorgen, der nicht einmal einen richtigen Faustkampf zu bestreiten hat. Dafür ist er das „Bärchen“ — wie ihn seine Geliebte Fronica nennt, der Goedeke gleich zu Beginn einen komplett missglückten Heiratsantrag macht. Eine Anspielung auf Bastian Semms Kniefall zur Premiere im vergangenen Jahr, als er seine Freundin vor 8000 Zuschauern um ihre Hand bat? In der Riege der Fieslinge, die Mario Ramos bisher zu verkörpern hatte, ist der Russe Wassili ein absoluter Höhepunkt. Wie Ramos zwischen Verschlagenheit, Hysterie und blanker Bosheit hin und her springt, ist unnachahmlich. Ähnlich grandios ist Irene Christ als die saufende und sich körperlichen Gelüsten hingebende Helena. Die Schwester von Sophia von Pommern-Wolgast ist eine verbitterte Zynikerin, die mit jedem Satz den Nagel auf den Kopf trifft. Sonnabend wird die Premiere des neuen Stücks stattfinden. Erzählt wird ein Ränkespiel zwischen dem Großfürsten von Nowgorod, dem Deutschen Ritterorden und Sophia, in dem die Piraten um Klaus Störtebeker fast zerrieben werden. Das Ende ist kein glückliches. Aber genau das birgt den Stoff für die nächste Geschichte. Gedenken an den Kurzen Thomas Kornack, der in den zurückliegenden beiden Jahren den „Kurzen“ spielte und für die komischen Seiten sorgte, war im vergangenen Jahr plötzlich verstorben. In dem neuen Stück erfährt eine Ehrung, indem Goedeke Michels davon spricht, dass der „Kurze“ sich einfach aus dem Leben geschlichen habe. „Er fiel eines Tages bei herrlichem Sonnenschein auf dem Deck um und war tot“, sagt Goedeke und hebt den Bierkrug, um auf ihn zu trinken. Jens-Uwe Berndt

Ralswiek - Klaus Störtebeker weint, verliert und zeigt Gnade