Klavier und Schmalz und goldene Hosen

„Ich wette du siehst gut aus auf dem Dancefloor“, sang Alex Turner vor zwölf Jahren, als es losging mit den Arctic Monkeys. Aber der Studio-54-Regenbogen stieg nicht auf über Sheffield, der Sound des Quartetts klang nach Punk statt nach Disco. Die Briten setzten auf Rock’n’Roll - schnelle Songs, die Gitarren gehackt und gestochen, die Stimme bellend, nüchtern. Schon damals aber versprach das Quintett mit dem Titel des ersten Albums, für nichts zu garantieren: „Whatever People Say I Am, That’s What I’m Not – Als was mich die Leute auch immer bezeichnen, das bin ich nicht.“ Und so waren sie Album um Album für eine Überraschung gut, eine vielseitige Band wie die Beatles, Queen oder Primal Scream, die ihr hochmelodisches fünftes Werk „AM“ (2013) mit einem vertonten Poem des Punkdichters John Cooper Clarke beschloss: „I Wanna Be Yours - ich will dein (Liebling) sein“. Das klang wie ein Statement. Schmissen sich die Monkeys etwa ans Volk wie damals die Monkees der Sixties? Nach fünf Jahren Pause erscheint jetzt „Tranquility Base Hotel + Casino“. Der Titel bezieht sich auf das Meer der Stille, den Ort der ersten Mondlandung, den sich Turner als zukünftige Urlaubsoase vorstellt. Schon der erste Song „Star Treatment“ kündigt an, dass hier ein neuer Musiktrabant betreten wird. Gluckerndes Vibraphon. Flüsternde Soulstimme: „Ich wollte bloß einer von den Strokes sein, jetzt schau dir nur den Murks an, zu dem du mich gebracht hast.“ Einen Steinway-Flügel hatte man Turner 2016 zum 30. Geburtstag geschenkt. Er hat die elf neuen Songs darauf komponiert. Jamie Cooks Gitarre liefert diesmal vorwiegend sanfte und schimmernde Sounds, der Rock’n’Roll macht Pause. Stattdessen regiert Turners Klavier und Keyboards zwitschern Weltraumsounds. Der „Murks“ ist Pop, ein stilbrechendes Wagnis wie die jüngsten Platten von Linkin Park, Shakey Graves oder Arcade Fire, so überraschend wie Indieblues-Ikone Jack White, wenn der am Ende seines neuen Albums Dvoráks „Humoreske No. 7“ singt. Textlich ist Turner auf der Höhe seiner Wortgewandtheit, reibt sich an Religion und Internetflucht, am Verlust der Wahrheit in der Welt und immer wieder an Amerika. Er spottet im ziemlich beatlesken „Golden Trunks“ über den US-Präsidenten: „Der Führer der freien Welt erinnert an einen Wrestler in engen goldenen Shorts“. Zuweilen weicht er in die Sciencefiction aus, an der er freilich liebt, dass an der Zukunft immer die Gegenwart gespiegelt wird. „The Ultracheese“ heißt der letzte Song. Eine Ballade mit einem Turner, der so schmalzig heult wie Elvis 1957. „Steinway und seine Söhne stehen zwischen uns“, singt er. Ahnend, dass nicht jeder die Klavieraffen mögen wird. Ein kleiner Schritt für die Menschheit, ein großer für die Band, die hier, um bei den Beatles zu bleiben, ihr „Revolver“ vorlegt. „All roads lead to tranquility base“ – das wusste 1979 schon die US-Band Styx („Boat on the River“). Aber wie geht’s vom Meer der Ruhe aus weiter? Kommt als nächstes ihr „Sergeant Pepper“? Sicher nicht. Die Arctic Monkeys haben es versprochen: Was immer man von ihnen erwartet, sie werden es nicht tun. Die Arctic Monkeys wurden 2002 im britischen Sheffield gegründet und veröffentlichten 2006 ihr Debütalbum. Die vierköpfige britische Indie-Rock-Band verarbeitete Einflüsse aus Post- Punk und Garage Rock. 2007, 2009, 2011 und 2013 erschienen weitere Alben der Musikgruppe, die sämtlich die Spitzenposition der Charts in Großbritannien erreichten. Mit „Tranquility Base Hotel + Casino“ (rechts) erschien am 11. Mai das neue Album der Arctic Monkeys. Matthias Halbig

Hannover - Klavier und Schmalz und goldene Hosen