Lebensbilder, Sterbensbilder

Die Finger auf dem Foto sind schlaff und faltig. Matt ruhen sie auf einem blauen Latexhandschuh. „Es ist eine der letzten Aufnahmen von meiner Mutter, entstanden wenige Stunden vor ihrem Tod.“ Margit Martens-Michaelis (59) hätte die Hand ihrer sterbenden Mutter gerne gehalten, ohne diesen blauen Handschuh zu tragen. Doch in der Klinik, erinnert sich sie sich, bestand man darauf. „Wegen der Keime.“ Abschied vom Leben — das Foto mit den ungleichen Händen ist das intimste, mit dem die Frau aus Kemnitz-Meierei von heute an öffentlich an ihre Mutter erinnert. Ein Jahr nach deren Tod hat Martens-Michaelis die Kraft und den Mut zu einer Ausstellung gefunden, die es so kein zweites Mal gibt. In einem Raum der historischen Gutsanlage von Ludwigsburg zeigt sie Aufnahmen aus glücklichen und weniger glücklichen Tagen des Menschen, der ihr am nächsten stand. Da ist die Mutter als 76-jährige Braut, freudestrahlend blickt sie ihrem deutlich jüngeren Partner ins Gesicht. Und da ist dieselbe Frau — offener Blick, die weißen Haare fein frisiert — mit nacktem Oberkörper, eine Hand dort, wo einst ihre Brust war. „Meine Mutter“, sagt Margit Martens-Michaelis, „hat nie über ihre Krankheit geredet. Sie hat auch nie gesagt, sie habe Angst.“ Eine einfache Frau sei sie gewesen, mit keckem Mundwerk, bis zum Schluss auf gutes Aussehen bedacht. Die Ausstellung all dieser Fotografien, die sie in verschiedenen, ausgesprochen persönlichen Momenten zeigen, hätte ihr gefallen, glaubt die Tochter. „Das ist ein Lebenswerk: beeindruckend, dass sie soetwas für ihre Mama macht“, erkennt Angelique Volke die Ausstellung ihrer Freundin Margit an. Dass diese nun in Ludwigsburg gezeigt wird, kommt nicht von ungefähr. Die historische Gutsanlage hat es Martens-Michaelis seit Langem angetan. Um die öffentliche Aufmerksamkeit auf sie zu richten, verwandelte die kreative Frau dereinst Papiertischdecken in aufregende Brautkleider und präsentierte jene in einer öffentlichen Modenschau. Für Ludwigsburg staffierte Martens-Michaelis ihren Mann so aus, dass er Karl Lagerfeld zum Verwechseln ähnlich sah. Für Ludwigsburg stellte sie einen „Reigen von Königinnen“ auf die Beine — die der Wildnis trug einen von ihr nachempfundenen Tierkopf und schritt im Leopardenlook daher. Ihre Aktionen sprachen sich herum. Der Mitteldeutsche Rundfunk widmete ihr 2010 einen Beitrag in seiner Sendung „Außenseiter, Spitzenreiter“. „Augen (blicke) einer Frau namens Mutti“, hat Margit Martens-Michaelis ihre jetzige Ausstellung genannt. Es ist ihre Art, Danke zu sagen. „Dafür, dass sie immer für mich da war. Dafür, dass sie für mich gesorgt hat.“ Zur Ausstellungseröffnung heute Abend erwartet Martens-Michaelis Menschen, die ihr selbst nahestehen: Freunde, aber auch Bekannte, die ihre Mutter gekannt oder von ihr gehört haben. Für Christel Schmidt, Vorsitzende des Fördervereins Schloss Ludwigsburg, war es keine Frage, diese doch sehr ungewöhnliche Ausstellung zu ermöglichen. „Ich freue mich“, sagt sie, „dass sie so schön geworden ist.“ Ausstellungseröffnung heute, 19 Uhr, Gutsanlage Ludwigsburg Das hätte ihr sicher gefallen.“Margit Martens-Michaelis, Ausstellerin Sven Jeske

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