Pathos im Sand: „Lippis“ andere Seite

Er ist der Mann der großen Gesten. Er breitet die Arme aus, der Blick richtet sich gen Himmel. Seine Bewegungen sind erhaben, sein Gesang ist pathetisch. — Die Rede ist tatsächlich von Wolfgang Lippert, jenem Sänger, der 1982 mit dem Gute-Laune-Schlager „Erna kommt“ in der DDR einen Riesenhit landete. Bei den Störtebeker Festspielen in Ralswiek zeigt der Entertainer, dass er auf Schlager oder seichte Pop-Songs auf gar keinen Fall reduziert werden kann. Denn als Balladensänger ist der von seinen Fans liebevoll „Lippi“ genannte Künstler Geschichtenerzähler, Moderator und Mysterium zugleich. Lipperts Auftritte verknüpfen Handlungsstränge, heben das Dramatische der Geschichte hervor. Dabei singt er von Tod und Teufel, Piraten und Pfeffersäcken, von See, Sturm und Feuer — und von Gott. „Ein Jahr wollte ich bleiben — jetzt sind es schon 15. Das ist doch herrlich“, freut sich Wolfgang Lippert über sein Dauer-Engagement bei den Festspielen. Hier ist er als feste Instanz ganz klar ein Publikumsliebling, bekommt schon seinen Auftrittsapplaus, bevor er den ersten Ton gesungen hat. „Nach den Shows, wenn wir Autogramme schreiben, kriegt man ein Feedback, das überwältigend ist“, sagt er. „Und dann diese Sache mit den Selfies. Da stehen die Menschen vor Dir, komplett nervös, und versuchen verzweifelt Fotos zu machen. Das dauert manchmal ewig. Für mich ist das aber nie lästig. Ich mag diese Begeisterung der Fans.“ Vielleicht ist das ein Grund, weshalb Lippert meist lächelnd anzutreffen ist. Ganz bestimmt ist es aber auch das wohlige Gefühl, das ihn beschleicht, wenn er den Sommer über auf der Insel ist. „Die Hälfte des Jahres bin ich hier, weshalb ich zu einem Teil schon Rüganer bin“, sagt der Sänger. „Aber ich weiß, dass das nicht so schnell geht. Einige Generationen müssen hier gelebt haben, bevor man von sich als Rüganer sprechen kann.“ Gut aufgenommen fühlt er sich aber trotzdem. „Wenn ich über die Insel fahre, habe ich immer nur eine Hand am Lenkrad: Die andere brauche ich, um zu winken. Ich kenne so viele Leute. Und diesen winkt man hier zu. So ist das auf der Insel.“ Freunde habe er hier auch. Wenngleich ihm klar ist, dass der Begriff mittlerweile recht inflationär verwendet wird. Wenn er davon spricht, meint er richtige Freunde. „Peter Carstens ist so einer“, sagt er. „Er hat einen Landwirtschaftsbetrieb. Und zur Ernte habe ich schon manches Mal mitgeholfen. Natürlich bin ich keine vollwertige Arbeitskraft, aber ich darf alle Landmaschinen fahren.“ Der Berliner, der Mann aus der Stadt, er schwärmt über die Schönheit der Insel. „Es ist wundervoll über die Felder zu fahren, Hunderte Möwen umkreisen einen, und man kann die satte Natur auf sich wirken lassen.“ Und doch geht er immer wieder zurück. Zurück in die Hektik des Lebens in Betonschluchten und zwischen Blechlawinen. „Ich habe nicht nur einmal mit dem Gedanken gespielt, hier zu bleiben“, sagt Lippert. „Aber es gibt für mich in Berlin zu viele Dinge zu tun, die ich auch noch gern mache.“ Dazu gehöre unter anderem seine Sendung „Ein Kessel Buntes“ beim Mitteldeutschen Rundfunk (MDR), in der „Lippi“ Ausschnitte aus großen Unterhaltungs-Shows des DDR- Fernsehen präsentiert — inklusive aktueller Interviews mit Leuten, die damals dabei waren. Die nächste Folge der Sendung wird heute Abend um 20.15 Uhr ausgestrahlt. — Wenn Lippert auf der Ralswieker Naturbühne steht und seine Lieder über den Piraten Störtebeker zum Besten gibt. Wolfgang Lipperts Karriere verlief zwar nicht geradlinig, war aber von einer beachtlichen Kontinuität gekennzeichnet. Als Schlagersänger Anfang der 80er gestartet, in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts zum Pop-Star in spe gemausert, wurde Wolfgang Lippert für neun Shows 1992 und 1993 Moderator von „Wetten, dass...?“ Weitere TV-Formate — unter anderem „Wintergarten“ und „Stimmt‘s?“ — folgten. Heute sind es neben Unterhaltungssendungen auch kleine Reise-Dokus, die der Allrounder im Fernsehen platzieren kann. Doch bei allen Aufgaben — er hat mit WL Entertainment eine eigene Veranstaltungsgesellschaft — bleiben die Auftritte auf der Naturbühne in Ralswiek etwas Besonderes. Die Lieder der Störtebeker-Aufführung bekommt er von dem Komponisten und ehemaligen DDR- Rockmusiker (Neue Generation, Neumis Rock Circus, Datzu), Rainer Oleak, auf den Leib geschrieben (die OZ berichtete). Agieren muss der Balladensänger während seines Vortrags nicht. „Anfangs hatte ich eine Rolle in dem Stück. Nur zu singen, ist aber auch gut. Immerhin muss ich so nicht sofort bei den ersten Proben mitmachen“, sagt Wolfgang Lippert. Er lässt aber durchblicken, dass es ihn schon manchmal jucke, erneut zu schauspielern. Zumindest ein Auftritt mit Pferd sei schon mal wieder vorgesehen gewesen, die Idee wurde aber schnell verworfen. „Man stelle sich nur vor, dass an der dramatischsten Stelle des Liedes das Pferd plötzlich den Schwanz hebt und etwas fallen lässt. Da wäre die ganze Wirkung im Eimer.“ Patzen kann Lippert eigentlich nicht, denn im Notfall käme ein Vollplayback aus den Boxen. „Das habe ich aber noch nie benötigt“, sagt der Künstler. „Der Hauptgesang ist immer live.“ Das sei er dem Publikum schuldig, findet er. Dabei sei es gar nicht so einfach, dort unten vor den 8000 Leuten jeden Abend mit voller Kraft zu singen. „Ich stapfe durch den lockeren Sand, weiche Pferdeäpfeln aus ... das ist schon eine Herausforderung.“ Sein momentaner Schauspieler-Favorit ist Mario Ramos. „Da bin ich ganz Fan“, sagt er. „Ich mag die Intensität seiner Auftritte, die Spiellust. Auch privat ist er ein toller Typ.“ Erst kürzlich habe der auf die Bösewichter abonnierte Darsteller in einer intimen Runde zur Gitarre eigene Lieder gesungen. „Das war hinreißend“, schwärmt der Musiker. „Und wenn man ihn von der Bühne kennt, staunt man, wie zurückhaltend er die Songs vorträgt.“ Wolfgang Lippert ist ohne Zweifel ein Original. Wenn der 63-Jährige über alte Zeiten redet und seinem Gegenüber versucht, die einst von ihm interpretierten Songs in Erinnerung zu rufen, singt er spontan die Refrains ohne Wackler. Als schaltete man eine Jukebox an, klingt es plötzlich „Alles wieder Tutti Paletti ...“ oder „Ich bin der Detektiv und lebe exklusiv ...“ — ganz so wie einst. Interessant auch die Rückschau auf einen Rap von 1987 namens „Berlin intim“, der nicht bloß zufällig an Falco erinnert und heute zu den echten Raritäten der DDR-Pop-Geschichte gehört, da er im Staatsradio nicht lange gelitten worden war. „Lippis“ neuestes Projekt hat aber weniger mit Musiknostalgie zu tun: Er ist Botschafter der Insa-Studie „50+“, bei der ermittelt werden soll, wie die Generationen voneinander profitieren können. • www.wolfgang-lippert.de Störtebeker Festspiele Hinter den Kulissen Tickets zu gewinnen Mit Lübzer und der OSTSEE-ZEITUNG zu den Störtebeker Festspielen: Der neue Biersponsor des Ralswieker Sommertheaters hat der OZ 15x2 Freikarten zur Verfügung gestellt (8x2 für den 1. August, 7x2 für den 8. August). Darüber hinaus können zwei unsere Leser ein Premium-Paket gewinnen: Es beinhaltet zwei Karten für Sonnabend, den 18. Juli, inklusive Übernachtung im Doppelzimmer „Wildgans“ sowie ein Ostsee-Schlemmer Frühstücksbüfett in der Aquamaris Strandresidenz in Juliusruh. Die Gewinner haben zudem die Möglichkeit, Schwimmbad, Sauna, Dampfbad, Eisgrotte und einiges mehr kostenlos zu nutzen. Interessenten müssen die folgende Frage richtig beantworten: Wie heißt der aktuelle Störtebeker-Darsteller? a) Sascha Gluth, b) Bastian Semm, c) Norbert Braun. Antworten gehen an: Redaktion OZ, Richard-Wagner-Straße 1a, 18055 Rostock oder E-mail: aktion@ostsee-zeitung.de. Allen Teilnehmern wünschen wir viel Glück. Jens-Uwe Berndt

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