Regisseur holt Schillers „Räuber“ ins Hier und Heute

„Das ist nichts für Weicheier,“ kündigt Regisseur Oliver Trautwein „Die Räuber“ von Schiller an. Das ahnt man, hat man die acht Eleven der Theaterakademie bei der Medienprobe gesehen — bewaffnet, voller Wut im Blick, jede Geste kraftstrotzend oder angstverzerrt, Gewalt scheint ihr Hobby und ihre Mission. 90 Minuten lang werden sie in drastischen Bildern zelebrieren, wie es sein kann, dass diese Welt immer dümmer wird, das Gewalt keinerlei moralische Grenzen mehr kennt. Die Liebe, das freundlichen Miteinander fällt barbarische Zerstörungswut zum Opfer. Was man im Alltag aus den Nachrichten praktisch häppchenweise an religiös motivierten und sinnloser Gräuel serviert bekommt, wird hier kompakt zusammengefasst. In unserem Alltag ist das netter, da kommt nochmal das Wetter, die „Einweihung eines Innovationszentrums“ oder eine lustige Meldung von Frau von der Leyens Truppe dazwischen. Obwohl bei Letzterem ist man schon wieder dicht dran am Thema. Trautwein nennt Beispiele von Nahost bis Fremdenfeindlichkeit direkt vor unserer Haustür, die ihn zu dieser drastischen Räuber-Interpretation bewogen haben. Die Inszenierung wird die Frage stellen: Wie kann das sein, was bewegt Jungen und Mädchen, sich in den Dienst von fanatischen Organisationen zu stellen. Und es ist die „Räuber-Frage“ — wie radikalisiert man sich? Schillers „Räuber“ waren ja auch seinerzeit nichts für „Weicheier“. Die Uraufführung 1782 war ein Skandal, weil sie Dinge benannte, die nicht sein konnten und durften, aber doch so waren. Das Spannende an der Inszenierung wird sein, dass man Schauspieler im Müll agieren sieht, aus deren Mündern man heutige drastische Jugendsprache erwartet — aber sie werden „Schiller“ sprechen. In der poetisch kraftvollen Sprache werden sie vom Niederbrennen eines Klosters erzählen, von der Vergewaltigung der Nonnen, vom Brandschatzen einer Stadt mit dem Ruf „Tod oder Freiheit“. Alles passt — Schiller war ein genialer Autor, der Wesenszüge seiner Gesellschaft erkannt hat und wahrscheinlich nicht ahnte, dass sie allgemeingültig bleiben. Natürlich war es für diese aktuelle Räuberfassung notwendig, den Autoren erstmal ein wenig auseinander zu nehmen und ihn dann neu zusammenzufügen. Trautwein löst die klassische Dramaturgie auf, löst sogar die Rollen Franz und Karl auf und fügt ihre Texte anderen Figuren hinzu. In sieben Bildern, unter anderem überschrieben mit „Väter und Mütter“, „Gewissen“, „Liebe“ und „Glaube“ erzählt er von der Verführung zur Radikalität. Und — da es die praktische Abschlussarbeit der Eleven des 3. Studienjahres der Theaterakademie ist, mit der sie sich auch Auswahlkommissionen vorstellen — gibt es für jeden der angehenden Schauspieler ein Solo, in dem er die Geschichte seiner Figur erzählt - immer im Angesicht der sonst so homogenen Truppe. Bleibt die spannende Frage angesichts dieses Schiller, was können die Fans klassischen Theaters damit anfangen? „Sie sollten bisschen offen für optisch Ungewohntes sein,“ meint Trautwein. Vielleicht gibt es auch eine Diskussion, provoziert wird reichlich. Allerdings war ein Makel schon zu entdecken: das klassische Räuber-Zitat „Franz heißt die Kanaille“ kommt nicht vor, natürlich weil es Franz nicht gibt. Aber „Kanaille“ gibt es im Wortschatz der Zinnowitzer Räuber. Ein kleiner Trost für Klassik-Puristen. Premiere: Zinnowitz, 28. März, 19.30 Uhr; Karten unter ☎ 03971/208925 Martina Krüger

Anklam/Zinnowitz - Regisseur holt Schillers „Räuber“ ins Hier und Heute