Schusswechsel an der Marienkirche

Roman Buhl nimmt die Knöpfe aus dem Ohr, drückt einen Schalter am Display seines Metalldetektors und schwenkt ihn noch einmal über ein Häuflein Sand an der Baustelle bei der Barther Kirche: „Hören Sie ‘mal!“Zu hören ist ein Geräusch ähnlich dem bei der Flughafenkontrolle, wenn man noch einen Cent in der Hosentasche hat — Musik in den Ohren des Barther Hobby-Archäologen. Vorsichtig kratzt der 42-Jährige mit dem Klappspaten im Aushub und fördert tatsächlich ein rundes „Ei" zu Tage. „Das ist eine Musketenkugel", stellt er schnell fest, dieser Schatz muss erkennungsdienstlich behandelt werden. Die Fundstelle wird per GPS vermessen, der Fundzettel gewissenhaft ausgefüllt und gemeinsam mit dem Fundstück eingetütet — ein Fall für Schwerin. Dort sitzen die studierten Detektive im Landesamt für Kultur und Denkmalpflege. Wenn der ehrenamtliche Bodendenkmalpfleger Roman Buhl mit seinem „Latein" am Ende ist, können die Archäologen dort vielleicht aus dem Gesamtkontext ihrer historischen Quellen und Erfahrung ermitteln, ob und wann an der Barther Marienkirche scharf geschossen wurde. Oder hat hier etwa nur ein unachtsamer Soldat die Kugel verloren? So ein Fund ist mehr als Glückssache und Intuition. Überlieferte Orts- und Geschichtskenntnisse, Recherchen in alten Büchern und Karten, gehören dazu. Aber Buhl sucht auch nach Baustellen, achtet auf Erdverfärbungen, liest in der Landschaft, ob dort, wo der Bauer bald pflügen will, ein Galgen gestanden haben könnte, ob unter dem Feld, in das gerade eine Drainage gelegt werden soll, ein Dorf untergegangen ist. Erst vor wenigen Wochen geriet er mit Jan Becker in die Schlagzeilen, als die beiden bei Barth die Klinge eines Bronzeschwertes entdeckten. Dabei waren es zunächst Knöpfe, die im Erdreich auftauchten. Das Landesamt, der betroffene Landwirt und der Bürgermeister von Kenz-Küstrow, Harald Reinecke, wurden verständigt und sorgten dafür, dass tiefer bis in die Bronzezeit gebuddelt werden konnte. „Das ist erlebte Geschichte", freut Roman Buhl sich über jeden Fund. Mittelalter, Steinzeit, 1940er-Jahre — eine richtige Lieblingsepoche hat Buhl nicht, aber einen Lieblingsfund: „Das Witzlaw-Siegel." Er barg das ausgezeichnet erhaltene Bruchstück eines ungewöhnlich großen, bronzenen Siegelstempels des letzten einheimischen Fürsten von Rügen südwestlich der Stralsunder Altstadt. Jeder Fund hat schwer wiegende Folgen, jedenfalls für das Bücherregal des ehrenamtlichen Denkmalpflegers. Werke über Wappen, Münzen und Siegel, Fibeln, Uniformen und Fingerhüte im Wandel der Zeiten teilen sich den Platz mit den archäologischen Jahrbüchern, in denen Buhls Fundstücke verzeichnet und beschrieben sind. Bei ihm selbst begann der Prozess schleichend. Irgendwie war es schon immer so, dass er wissen wollte, was sich unter der Oberfläche verbarg. Seine Mutter hatte Steine und Scherben in seinen Hosentaschen gefunden, die irgendwie interessant aussahen. Und wenn irgendwelche Dokumentationen über Ausgrabungen im Fernsehen liefen, über die Pyramiden beispielsweise, dann saß Roman gebannt davor. Eigentlich sollte sein Weg als Archäologe vorgezeichnet sein. Aber der Barther dachte nicht daran, seine Leidenschaft zu professionalisieren und lernte den vergleichsweise unspektakulären Beruf des Bürokaufmanns. Inzwischen arbeitet er für die Zingster Tourismus GmbH im Max-Hünten-Haus. „Ich bin gar nicht auf die Idee gekommen, das beruflich zu machen, für mich war das immer Spaß." Und der Spaß wurde nach der Wende noch größer, als er sich seinen ersten Metalldetektoren kaufte. Mit einem Vorhängeschloss aus dem 17. Jahrhundert wurde er belohnt. Vor wenigen Jahren wurde er zum ehrenamtlichen Bodendenkmalpfleger ernannt mit der Genehmigung, einen Metalldetektor zu führen. „Das ist für mich perfekt, das bedeutet ja auch Freiheit." Und weil er diese Freude auch künftigen Generationen gönnt, hat er selbst eine Spur gelegt und eine Flaschenpost vergraben, verrät er lächelnd. Vielleicht haben es die Detektive der Nachwelt dann etwas leichter, unsere Spuren zu lesen. Scherbensammler und Schatzsucher Mehr als 250 ehrenamtliche Bodendenkmalpfleger unterstützen die Arbeit der Wissenschaftler im Landesamt für Kultur und Denkmalpflege MV, zehn sind es zwischen Ribnitz-Damgarten, Barth, Zingst und Bad Sülze. Nachdem sie sich in Lehrgängen, Kursen und Fortbildungen qualifiziert und nachhaltiges Interesse an Geschichte und praktischer Archäologie bewiesen haben, werden sie vom Amt ernannt. Dazu gehört gegebenenfalls auch die Genehmigung zum Führen eines Metalldetektors. Die Schätze der Hobbyarchäologen gehören dem Staat, belohnt werden sie durch die wissenschaftlich basierte Bestimmung ihrer Fundstücke. Susanne Retzlaff

Barth - Schusswechsel an der Marienkirche