Stimmung auf der Aidsstation

Bewegung in den Krankenzimmern. Als die ersten Blechblastöne durch die Aidsstation von Philippi hallen, stecken ein paar der Patienten ihre Köpfe aus den Zimmern. Ein Mann im Rollstuhl lässt sich von einer Schwester auf den Gang schieben, lächelnd sitzt er nun da und hört zu. Einen fetzigen Choral schmettern die fünf Bläser der Greifswalder Johanneskirche an diesem Februartag 2015 für die Schwerstkranken von iThemba Labantu, mitten in einem Slum bei Kapstadt. Das Projekt „Namdusa“ hat sie und drei weitere Greifswalder, darunter mich, für zwei Wochen an die Südspitze Afrikas gelockt. Namdusa, das ist ein Treffen von Blechblas- und Gesangschören aus lutherischen Kirchen in Namibia, Deutschland und Kapstadt, mit Konzerten, Workshops und Ausflügen in die weite Umgebung. Deutsche Pünktlichkeit trifft hier auf afrikanische Spontaneität, der helle, klare Klang unserer deutschen Chorstimmen auf den rauen, souligen der afrikanischen, Dankbarkeit auf die irritierende Tradition, uns Gästen aus Europa bestes Essen zu servieren, aber meist nicht mit uns am Tisch zu sitzen. „Man weiß eigentlich nie, was einen hier erwartet“, sagt der Greifswalder Posaunenchorleiter Gerrit Marx, der Namdusa vor drei Jahren initiiert hatte. „Oft gibt es einen Plan und kurzfristig wird alles wieder umgeschmissen.“ Doch eines gehört für die Greifswalder zu jedem Namdusa-Treffen: ein Besuch im lutherischen Kirchenzentrum iThemba Labantu. Themba Labantu heißt „Hoffnung für die Menschen“, und wer durch den Township Philippi fährt, ahnt schnell, worum es geht. Wellblechhütten und Bretterbuden stehen hier dicht an dicht. Kapstadt hat gut 3,7 Millionen Einwohner, doch rund 450 000 von ihnen besitzen nicht viel mehr als diese wackligen Hütten ohne fließend Wasser. Ihr Zuhause hat die höchste Pro-Kopf-Mordrate von Südafrika, 40 Prozent der Bewohner sind HIV-infiziert, jeder zweite Jugendliche bricht die Schule ab — und Hilfen wie Hartz IV gibt es nicht. Doch mittendrin in diesem grauen Elend ragt die weiße Kirche von iThemba-Labantu auf. „Schön, dass ihr da seid“, begrüßt uns Otto Kohlstock. Vor über 30 Jahren ist er als letzter Missionar der Berliner Stadtmission nach Südafrika gekommen, seit 2003 arbeitet er in Philippi — und versucht, was fast unmöglich scheint: die Kinder von der Straße zu holen, raus in ein besseres Leben. „Als ich hier ankam, dachte ich: Was kann ich gegen dieses Elend schon ausrichten?“, erzählt er. Doch nach und nach ließ Kohlstock mit der Hilfe eines Münchner Vereins und weiterer Spender Hütten und Häuser rund um die Kirche bauen, Platz für viele Hilfsprojekte. Rund 300 Kinder bekommen heute in iThemba Labantu täglich kostenloses Essen, 120 besuchen den Kindergarten. Erwachsene belegen Computerkurse, Jugendliche spielen Theater oder Fußball, lernen Instrumente oder absolvieren sogar eine kostenlose Ausbildung. Auch die Aidsstation hat Kohlstock 2004 gegründet. „Die Leute hatten uns Aidskranke vor die Tür gelegt“, erzählt er. Anfangs konnten die Kirchenleute die Infizierten nur pflegen bis zum Tod. Inzwischen seien die Medikamente so gut, dass viele das Center nach ein paar Wochen verlassen und mit der Krankheit weiter leben könnten. Auch unsere Bläser schicken sich jetzt an zu gehen. Einer der Patienten klopft noch gegen die Glasscheibe, hinter der er zuhörte. Er lächelt und wirft uns Kusshände zu. • www.themba-labantu.de Namdusa: Musik über Kontinente hinweg „Namdusa“ steht für Namibia, Duitsland (Deutschland) und Südafrika. Bläser und Chöre aus lutherischen Kirchen in diesen drei Ländern treffen sich seit 2013 einmal pro Jahr in Kapstadt, um gemeinsam zu proben und Konzerte zu geben. Greifswalder haben dieses Projekt mitgegründet, die Norddeutsche Stiftung für Umwelt und Entwicklung (NUE) unterstützt es. • Mehr zur Reise 2015 auf http://namdusa2015.blogspot.de/ Was kann ich schon ändern?“Pastor Kohlstock Sybille Marx

Greifswald - Stimmung auf der Aidsstation