Vorspielen per Zoom-Konferenz: Baltic Sea Philharmonic sucht neue Musiker

Die Lage wird nicht besser, die Corona-Pandemie lähmt auch das Konzertleben weltweit. Das hat auch Auswirkungen auf den Bewerbungsprozess, viele Orchester haben Vorspiele in dieser Zeit abgesagt. Aber es geht auch auf dem digitalen Weg. Das Baltic Sea Philharmonic hält seine Auditions als Digital Talent Days ab, gefördert von der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien, Monika Grütters. Organisiert werden die Vorspiele als Zoom-Konferenzen. „Die beteiligten Musiker und Juroren sitzen jeweils zu Hause und schalten sich zu“, erklärt Pressesprecher Alexander Datz den Ablauf. Gefragt waren Bewerber im Alter von 18 bis 28 Jahren, die aus einem der zehn Ostsee-Anrainerstaaten kommen oder in einem dieser Länder studieren. Die zweite und abschließende Bewerbungsrunde läuft in dieser Woche. Insgesamt hatten sich 209 Musiker beworben, in die Endrunde gelangten 87 Musiker. Mit dem digitalen Vorspielen gibt das Baltic Sea Philharmonic den eingeladenen Musikern nicht nur die Gelegenheit, ihr musikalisches Talent vorzustellen. Die Bewerber können dabei auch ihre künstlerische Persönlichkeit zeigen. Es ist auch Gelegenheit, wenigstens ein bisschen im Rampenlicht zu stehen, denn sonst gibt es aufgrund der Corona-Pandemie für Musiker nur wenige Auftrittsmöglichkeiten. Lesen Sie auch: „Das ist unglaublich“: Baltic Sea Philharmonic begeistert beim Usedomer Musikfestival Järvi jazzt für Garbarek: Usedomer Musikfestival startet mit Bravos und Standing Ovations Bewerbung per Video: Praktisch läuft das so ab: Nachdem die Bewerber ein kurzes Vorspiel auf Video eingereicht hatten, das von Orchestermusikern sowie Dirigent Kristjan Järvi bewertet wurde, kam die nächste Phase. Die erfolgreichsten Teilnehmer wurden zu einem Live-Videoprobespiel eingeladen. Es besteht aus einem Interview und der Aufführung eines Ausschnitts aus Repertoire des Orchesters. Da ist eine besondere Fähigkeit gefragt: Denn von den Bewerbern wird erwartet, dass sie diese Auszüge ohne Notenblatt aus dem Gedächtnis vortragen; das Auswendigspielen ist längst zu einem Markenzeichen des Orchesters geworden. Und es kommt für die Bewerber nicht nur auf eine spieltechnische Perfektion an. Auch Improvisationstalent sowie Experimentierfreude sind gefragt. Es geht bei der Bewertung auch darum – soweit es digital möglich ist – auszutesten, ob die Musiker in das bestehende Ensemble passen. Eine von ihnen ist die Violinistin Shushanik Muradkhalin, die an der Musikhochschule Lübeck ein Masterstudium absolviert und derzeit eine Akademiestelle bei der Norddeutschen Philharmonie in Rostock hat. Für sie war das digitale Vorspielen Neuland. „Ich hatte beim Vorspielen etwa 15 Minuten Zeit“, sagt die aus Armenien stammende Musikerin. „Es gab vorher genaue Vorgaben, zum Beispiel, dass der Raum gut ausgeleuchtet und ruhig ist.“ Für die Violinistin war diese digitale Bewerbung eine gute Erfahrung, das Improvisieren innerhalb des kurzen Auftritts war ungewöhnlich. Technisch klappte alles. „Ich hatte auch eine gute Internetverbindung“, sagt Shushanik Muradkhalin. Auch Orchestermusiker unter den Juroren: „Wir haben einen Pool von rund 600 Musikern“, sagt Pressesprecher Alexander Datz über das Orchester. Es ist seit seiner Gründung 2008 längst eine Gemeinschaft von Gleichgesinnten. Baltic Sea Philharmonic – dieser Name steht auch für einen ganz bestimmten Geist, der vor allem von Innovation und Gemeinschaftssinn geprägt ist. „Wir halten regelmäßig Ausschau nach neuen Musikern“, sagt Alexander Datz. Das Ungewöhnliche ist auch, dass nicht nur Dirigent Kristjan Järvi, sondern die Orchestermusiker die Neuzugänge aussuchen. „Dafür gibt es die Principals“, erklärt Alexander Datz. Das sind ausgewählte Orchestermusiker, die bei der Bewertung ein Mitspracherecht haben. Denn auch für die leitenden Musiker des Baltic Sea Philharmonic ist es auf diese Weise möglich, Erfahrungen als Juroren zu sammeln. Auch auf dem digitalen Weg ist das der Fall. Die an der Auswahl beteiligten Musiker können ihre Führungsfähigkeiten weiterentwickeln, zur weiteren Formung der Persönlichkeit des Orchesters beitragen. Zu den Musikern gehört auch die polnische Bratschistin Marzena Malinowska: „Wir versuchen, die Musiker aus ihrer Komfortzone herauszuholen, nicht auf der Suche nach Misserfolg oder Perfektion, sondern um zu sehen, wer sie als Menschen wirklich sind“, erklärt sie die Philosophie. „Wir lassen sie tun, was sie lieben, damit sie ihre Leidenschaft zeigen und teilen, und dann bitten wir sie, Dinge zu tun, von denen sie vielleicht dachten, sie könnten sie nicht tun, um zu zeigen, dass es Spaß macht, mentale Grenzen zu überschreiten“, sagt die Musikerin, die seit 2012 in Orchester spielt. „Manchmal bitte ich jemanden, sich vorzustellen, aber nicht mit Worten, sondern mit Musik“, sagt sie. „So kann man sehr viel über den Menschen erfahren.“ Marzena Malinowska spielt zudem im Kammerorchester in Breslau, wo sie heute lebt. Drei bis fünf Projekte im Jahr verbindet sie mit dem Baltic Sea Philharmonic. Über den Bewerbungsprozess sagt sie: „Wenn das Vorspielen selbst zu einer Erfahrung wird, die einen etwas lehrt und neue Dinge in einem selbst entdecken lässt, dann ist das offizielle Endergebnis nicht mehr so wichtig.“ Ein Blick in die Zukunft der beteiligten Musiker ist derzeit schwierig. Doch die erfolgreichen Bewerber können ein Teil des Musikerpools des Baltic Sea Philharmonic werden. Wenn alles gut läuft, warten auf die Musiker internationale Tourneen mit neuen Möglichkeiten auf der Bühne, im Studio – und auch online. Der Auswahlprozess des Orchesters wird diese Woche abgeschlossen. „Die Ergebnisse werden nächste Woche feststehen“, sagt Alexander Datz. Von Thorsten Czarkowski