Wenn das Internet zur Sucht wird

YouNow — so heißt das neuste Internetphänomen, das sich derzeit unter Jugendlichen breit macht. Die amerikanische Website ermöglicht es jungen Menschen, ihr Leben in Echtzeit zu filmen und ins Netz zu stellen. Nicht selten präsentieren sie sich dabei sechs, sieben oder auch acht Stunden am Tag vor der eigenen Computerkamera. Doch wann wird die exzessive Nutzung zur Sucht? Auch in Greifswald ist der hohe Medienkonsum mittlerweile ein Teil der Suchtproblematik. Mehr als 60 Ratsuchende verteilten sich im vergangenen Jahr auf die örtlichen Beratungsstellen. Die Dunkelziffer ist deutlich höher. Nach Schätzungen der Landeskoordinierungsstelle für Suchtvorbeugung in Mecklenburg-Vorpommern (LAKOST) sind rund 1,3 Prozent aller Nutzer abhängig. Das sei dann der Fall, wenn sich der exzessive Konsum dauerhaft auf den Alltag auswirkt - von quälenden Unruhezuständen bis hin zu ständiger Müdigkeit. „Das muss jedoch über einen längeren Zeitraum anhalten“, sagt Birgit Grämke, stellvertretende LAKOST-Geschäftsführerin. So werde seit kurzem berücksichtigt, dass viele Nutzer exzessive Phasen haben, die mit der Zeit wieder abflauen. Noch vor wenigen Jahren galten rund 3 Prozent als abhängig. Vor allem junge Menschen seien betroffen. Dass die Internetsucht nicht direkt von der Nutzungsdauer abhängt, bestätigt auch Kathrin Elsner vom Förderverein für Suchtkrankenhilfe in Greifswald. „Viele sind über Dienste wie WhatsApp und Facebook nahezu dauerhaft online“, sagt Elsner. Große Gefahr bestehe erst, sobald Betroffene nur noch in einer fiktiven Welt leben. Erste Anzeichen dafür seien oft schlechtere Schulnoten oder ein veränderter Freundeskreis. Dennoch bleibt Vorsicht geboten: „Das können auch ganz normale Signale der Pubertät sein“, sagt Elsner. Während sich die Problematik vor einem Jahr eher um Online-Spiele drehte, stehen nun vor allem Smartphones und Tablets im Fokus. Einen besonderen Weg im Umgang mit solchen Mobilgeräten geht dabei die Caspar-David-Friedrich-Schule in Greifswald. Seit diesem Schuljahr ist jeder Schüler verpflichtet, sein Handy vor Unterrichtsbeginn abzugeben. Dafür stehen in den Klassenzimmern spezielle Boxen bereit. „Im vergangenen Jahr haben wir festgestellt, dass die Handynutzung immer mehr wurde“, sagt Anke Thurow, stellvertretende Schulleiterin. Ohne die Smartphones im Unterricht seien die Schüler hingegen aufmerksamer und können sich besser konzentrieren. Bei privaten oder familiären Angelegenheiten gebe es jedoch Sonderregelungen. „Die Schüler sollen es nicht als striktes Verbot auffassen“, sagt Thurow. Es stehe ausschließlich im Vordergrund, den Unterricht zu verbessern. Im Schulalltag seien moderne Geräte zunehmend unverzichtbar. „Wir bieten nahezu alle Medien an, um sich auf den Unterricht vorzubereiten oder sich zu informieren“, sagt Thurow. Private Geräte könnten daher auch beruhigt Zuhause gelassen werden. Laut Mario Tschirn, Präventionsbeauftragter der Polizeiinspektion Anklam, komme auch auf die Eltern eine wichtige Rolle zu: „Kontrolle ja — Verbot nein“, sagt Tschirn. Der vollständige Entzug sei dabei keine Lösung. Schließlich biete das Internet jungen Menschen auch neue Chancen. Eine Möglichkeit könne jedoch sein, internetfreie Zeiten zu definieren. „Ein Ausgleich ist wichtig - zum Beispiel im heimischen Sportverein“, sagt Tschirn. Das minimiere die Gefahr, dass Jugendliche ihren sozialen Anschluss im realen Leben verlieren. Langfristig müsse die Prävention jedoch schon früher ansetzen: „Wie eine normale Grundschule könnte es auch eine Grundschule für Internetnutzung geben“, sagt Tschirn. Laurin Meyer

Greifswald - Wenn das Internet zur Sucht wird