Werftarbeiter: Wir sind noch da!

Nach 90 Minuten starren alle Schauspieler das Publikum an, nur die Gesichter im harten Scheinwerferlicht, Schweißperlen auf der Stirn. Die Männer und Frauen haben gerade mit letzter Kraft ihre Geschichte erzählt. Die Geschichte der Volkswerft, die so eng mit dem Werden und Vergehen der Hansestadt verbunden ist. Mit verschränkten Armen blickt das Ensemble ins Publikum, aus den Augen sprechen Schmerz, Wut, Stolz. Die heute arbeitslosen Schweißer verharren in einer Zwischenwelt: Während die Hoffnung auf neue glorreiche Schiffbauzeiten schwindet, werden Hartz IV und klägliche Renten zur Realität. Doch die Botschaft der ehemaligen Werftarbeiter ist eine Kampfansage: Unsere Knie sind hinüber, aber die Werft kriegt ihr nie kaputt! Nicht mit uns, wir sind noch da! In dieser Szene des Stücks „Werft — Geschichte und Geschichten der Volkswerft Stralsund“, das am Donnerstag in der Jakobikirche Premiere feierte, kulminiert die ganze Katastrophe, welche die Hansestadt in den vergangenen Jahren in ihren Grundfesten erschüttert hat. Von einst 8000 Menschen, die in den gigantischen Hallen arbeiteten, ist nach der letzten Pleite nur dieser versprengte Haufen am Ende seiner Kräfte übrig geblieben. Alle Schauspieler sind Amateure, Menschen aus der Region. Einige wie Sylvia Doeppner haben jahrelang wirklich Schiffe gebaut. Das macht den Niedergang so real, die Hoffnung so greifbar. Der Stralsunder Fotograf und Chronist Harry Hardenberg sagt in einem Film, der zum Abschluss eingespielt wird: „Wenn die Werft erkältet war, dann hat die ganze Stadt gehustet.“ Da liegt es nahe, dass Regisseur Gerd Franz Triebenecker in seinem Stück vor allem die alten Zeiten wieder heraufbeschwört. Streng chronologisch wird Jahrzehnt für Jahrzehnt die Geschichte eines der größten Schiffbaubetriebe der DDR anhand von persönlichen Schicksalen erzählt. Jahre, in denen es an Aufträgen und Plänen nicht fehlte, wohl aber an Stahl, um sie umzusetzen. Das Stück schafft es dabei stets mit sarkastischen Texten über die löchrige Planwirtschaft, den Früher-war-alles-besser-Geist wieder zurück in die Flasche zu stopfen. Groß ist der Monolog des Buchhalters, toll gespielt von Klaus Dieter Mattern, der den Weltsozialismus nicht auf den Schlachtfeldern erringen, sondern in seinen akkurat geführten Kassenbüchern herbeirechnen will. „Der Mangel ist der Antrieb. Wenn ein Mangel im Plan auftritt, wird er solange verwaltet, bis er hineinpasst.“ Solche Momente sind es, die den Zuschauer über die kleinen Schwächen der Inszenierung hinwegschauen lassen. Dazu zählen beispielsweise die stellenweise etwas schlicht aufgebauten Entwicklungen der Figuren. Da beginnt eine Liebesbeziehung, nur um sie ein paar Dialogzeilen später wieder zerbrechen zu lassen. Es hätte dem Stück gut getan, die ein oder andere historische Begebenheit wegzulassen, und dafür den Charakteren etwas mehr Raum zu geben. Gelungen ist der wiederholte Schwenk in die Betriebskantine der Werft, in der die Arbeiter in immer gleicher Pose das Weltgeschehen kommentieren. Dabei spielen die Schauspieler ihren ganzen vorpommerschen Humor aus, so schwarz und trocken wie ein Kanten Konsumbrot. Die Anweisung, dass die Mitropa-Gaststätte nicht mehr mit Dienstkleidung zu betreten ist, sorgt für Verstimmung und wird entsprechend zynisch kommentiert — nichtsahnend, dass das nur der Anfang vom Ende ist. „In die Mitropa lassen sie uns nicht rein, Werkzeuge haben wir nicht und Bier gibts hier auch keins mehr.“ So 'n Schiet! Weitere Vorstellungen Die nächste Aufführung beginnt am Montag um 19 Uhr in der Kulturkirche St. Jakobi. Wer rechtzeitig da ist, kann noch einige Restkarten an der Abendkasse ergattern. Weitere Termine sind von September bis Dezember geplant. Bestellungen unter 03831/309696 Alexander Müller

Stralsund - Werftarbeiter: Wir sind noch da!