Exklusiv: Daten zeigen, was die Corona-Maßnahmen in MV gebracht haben

Die Wirtschaft drängt auf Lockerungen, die Politik bremst: Seit knapp drei Monaten befindet sich auch im MV im Lockdown. Große Teile des öffentlichen Lebens sind weiter eingeschränkt. Der Ruf nach Lockerungen wird lauter – vor allem für die Kinder und Handel. Denn Geschäfte und Restaurants, aber auch Schulen und Kitas sind offenbar zu keiner Zeit Pandemie-Treiber gewesen. Das geht aus exklusiven Zahlen hervor, die der OZ vorliegen. Wo sich die Menschen anstecken, wo es Ausbrüche mit mindestens zwei zusammenhängenden Infektionen gibt – das weiß die Landesregierung mittlerweile sehr genau. Für den allergrößten Teil der Infektionen konnten die Gesundheitsbehörden im Land die „Quelle“ ermitteln. Das Landesamt für Gesundheit und Zahlen hat die Daten aufbereitet, betont aber, dass für Einzelfälle der Ursprung nicht immer zu klären war. 22 von 6000 Fällen in Hotels und Restaurants: Auffällig dennoch: Selbst vor der Schließung Anfang November spielen Restaurants, Pensionen und Hotels nahezu gar keine Rolle im damals noch stark und stetig wachsenden Infektionsgeschehen. Gerade mal 22 der gut 6000 erfassten Infektionen fanden in diesem Bereich statt. Auch aus dem zuständigen Schweriner Gesundheitsministerium heißt es mittlerweile dazu: „Der nachgewiesene Anteil ist in Mecklenburg-Vorpommern mit drei Häufungen vor Schließung in der 45. Kalenderwoche als gering zu bewerten.“ Alle Zahlen im Diagramm – wischen Sie über die Legende oder die Balken: Dennoch verteidigt Schwerin die Schließungen: „Kontakte mit einem Abstand von weniger als eineinhalb Meter Abstand und einer Dauer von über 15 Minuten finden auch in den Restaurants, Hotels und Gaststätten statt. Um eine Verhinderung von Infektionen bei der Bevölkerung zu erreichen, ist die Schließung ein weiteres sinnvolles Mittel.“ Auch Prof. Dr. Emil Reisinger, Tropenmediziner an der Uni-Klinik in Rostock und der Corona-Experte der Landesregierung, teilt diese Einschätzung: „Es gibt mehrere Bereiche des öffentlichen Lebens, die auch vor dem Lockdown in puncto Infektionsgeschehen kaum ins Gewicht gefallen sind. Dennoch war es richtig, auch dort Einschränkungen vorzunehmen. Wir konnten uns damals keine Experimente erlauben.“ Allerdings: Die Zahlen würden dafür sprechen, jetzt eine Öffnung von Hotels und Restaurants in Betracht zu ziehen. OZ-Umfrage: Was sollte nach dem Lockdown in MV als erstes wieder öffnen? Schulen und Kitas kaum betroffen: Auch die Aufhebung der Präsenzpflicht an den Schulen im Land scheint im Nachhinein kaum Effekt auf die Entwicklung des Infektionsgeschehens gehabt zu haben: Kurz nach den Herbstferien zählt MV 78 Fälle binnen einer Woche in Schulen und Universitäten. Während in anderen Bereichen danach die Ausbrüche stark zunahmen, wurde in den Bildungseinrichtungen bis dato nie mehr eine höhere Zahl von Neuinfektion gezählt. In der Woche vor dem „Schul-Shutdown“ wurden zum Beispiel nur sieben Fälle gezählt. Das Bildungsministerium von Ministerin Bettina Martin (SPD) sieht sich in seinem Kurs bestätigt: „Die Landesregierung hat sich immer klar dazu bekannt, dass bei der Öffnung Schulen und Kitas Priorität haben.“ Und: „MV verfügt im Vergleich zu anderen Bundesländern über eine sehr gute Datenlage in Bezug auf die Schulen. Die zeigt deutlich, dass Infektionen natürlich auch vor den Schulen nicht haltmachen, aber auch, dass in den meisten Fällen die Ausbreitung des Virus innerhalb der Schule sich in Grenzen gehalten hat.“ Für Kitas sehen die Daten ähnlich aus: Die Höchstzahl an Ausbrüchen wurde Anfang November gemeldet – mit gerade mal 28 Fällen landesweit. Danach gingen die Neuinfektionen wieder zurück. Erst auf zehn, dann auf acht Fälle pro Woche. Auch ohne verordnete Einschränkungen. Kaum Fälle in der „Freizeit“: Sämtliche Maßnahmen begründet das Gesundheitsministerium mit dem Ziel, Mobilität und Kontakt einzuschränken: „Die Maßnahmen sind im Wesentlichen auf Einschränkungen der privaten Freizeit- und Lebensgestaltung bezogen. Hier kann nach den bisherigen Erkenntnissen das Infektionsgeschehen durch eine Verminderung der Anzahl der persönlichen Kontakte am effektivsten begrenzt werden.“ Dass dies mit den nunmehr seit mehr als drei Monaten andauernden Einschränkungen erreicht werden kann – die Zahlen belegen das nicht: Denn die meisten Ausbrüche – sowohl vor als auch nach Beginn des Lockdowns – entfallen auf zwei Bereiche, auf die der Lockdown wenig Auswirkungen hatte. Bei den „Ansteckungen in privaten Haushalten“ meldet das Lagus seit Ende Oktober Woche für Woche mehr als 100 Fälle. Eine einzige Ausnahme mit „nur“ 97 Fällen gab es Mitte November. Erst seit Mitte Januar sind diese Zahlen rückläufig. Alten- und Pflegeheime: Langsam wird es besser: Auch in puncto „Schutz der vulnerablen Gruppen“ scheinen Kontaktverbote und Lockdown kaum Effekt gehabt zu haben – zumindest führten die Maßnahmen nicht zu sinkenden Infektionszahlen: Ab Ende November entwickelten sich Ausbrüche in Alten- und Pflegeheimeinrichtungen zu den Pandemie-Treibern in MV. In der ersten Januar-Woche wurde mit 495 Ausbrüchen ein absoluter Höchststand erreicht. Weit mehr als die Hälfte aller Ansteckungen im Land fand in den Heimen statt. Lesen Sie auch Corona in MV am Montag: Immer weniger neue Infektionen – aber 27 Tote OZ-Impfrechner : Wann bin ich in MV mit der Corona-Impfung dran? Corona-Inzidenz in MV: Überblick über Städte und Landkreise vom 8.2.21 Und die Daten lassen noch einen Schluss zu: Dass rund um Weihnachten die Kontaktbeschränkungen gelockert wurden, scheint ein Fehler gewesen zu sein. Corona-Experte Reisinger sieht das im Nachgang genau so: „Der starke Anstieg nach Weihnachten war zu erwarten, das müssen wir durchaus kritisch zu sehen. Alle Menschen, die ich kenne, haben zum Fest ihre Eltern besucht. Diese Fallzahlen waren somit vorprogrammiert.“ Ein Lichtblick aus Sicht des Experten: Aus den Zahlen lassen sich sehr deutlich auch erste Erfolge des Impfens ablesen. Seit Impfbeginn sinkt die Zahl der Ausbrüche in Alten- und Pflegeheimen nämlich deutlich. „Dass wir schon eine Wirkung sehen, ist total spannend“, so Reisinger. Von Andreas Meyer