Justiz in MV: Warum so viele Richter, Staatsanwälte und JVA-Beamte fehlen

Mehr Personal für Gerichte, Staatsanwaltschaften und Haftanstalten: An diesem Versprechen muss sich Justizministerin Katy Hoffmeister (CDU) nach knapp vier Jahren Amtszeit messen lassen. Kritiker bescheinigen ihr Bemühen, aber auch nur geringen Erfolg. Mindestens 20 Richter und 25 Staatsanwälte fehlen derzeit nach Einschätzung von Dietmar Knecht vom Deutschen Beamtenbund in MV. Außerdem mindestens 30 Stellen beim Wachdienst in Gefängnissen. Sogar 60 bis 70 Stellen, „würde man hier das Strafvollzugsgesetz in Gänze anwenden“. Heißt übersetzt: An Gerichten und Staatsanwaltschaften herrschen weiterhin Überlastung und Personalmangel, in den Gefängnissen führt oft die Not Regie. Die Justiz sei von hohem Krankenstand und Unterbesetzung geprägt. Beim Gehalt liegt MV im Vergleich der Bundesländer immer noch am Ende. Mehrere hundert Euro weniger pro Monat verdienen Justiz-Mitarbeiter in MV als in anderen Bundesländern. Richter und Staatsanwälte erhalten laut dem Deutschen Beamtenbund in MV derzeit monatlich 4149 Euro Sold inklusive Sonderzahlungen (Eingangsamt R1, ledig). Ein Minus von gut 400 Euro gegenüber Bayern (4580 Euro), das seine Justizbeamten im Vergleich der Bundesländer am höchsten bezahlt. Am Ende rangiere das Saarland mit 3900 Euro. Mitarbeiter im Vollzugsdienst (Haftanstalten, Eingangsstufe A7) kommen demnach im Nordosten auf 2327 Euro pro Monat. Spitzenreiter ist auch hier Bayern mit 2517 Euro. Schlusslicht Niedersachsen liegt bei 2295 Euro. Seit 2008 habe MV die Bezüge der Beamten hier um 21 Prozent erhöht, bundesweit liege der Anstieg aber bei 27 Prozent. Quelle: Beamtenbund Das Land bemühe sich, Fehler der Vergangenheit zu korrigieren, anerkennt Knecht. Aber die Maßnahmen seien „zu spät ergriffen“ worden. Jahrelang habe die frühere Finanzministerin Heike Polzin (SPD) bestimmt, dass Justizmitarbeiter in MV weniger verdienen als anderswo. Nun, da Personalmangel in der Justiz deutschlandweit herrsche, verschärfe sich der Wettbewerb um die klügsten Köpfe. Junge Juristen, die einen Job suchen, interessierten sich nicht für Slogans wie „Arbeiten wo andere Urlaub machen“. Sie sähen aufs Geld und die Arbeitsbedingungen. Richterbund warnt vor Qualitätsverlust in der Rechtsprechung: Auch der Richterbund MV kritisiert die Personalpolitik der Landesregierung scharf. Es gebe viele unbesetzte Stellen, vor allem im Raum Neubrandenburg. Grund: Junge Richter wollen einfach nicht dorthin. Daher sehe man „mittelfristig die Gefahr für die Qualität der Rechtsprechung im Land“, so Vorsitzender Michael Mack. Denn die großen Herausforderungen stünden der Justiz in MV mit der großen Pensionierungswelle ab 2025 noch bevor. Seit Jahren drifte die Besoldung von Richtern und Staatsanwälten deutschlandweit auseinander. In MV bekommt ein junger Richter oder Staatsanwalt (ledig, Einstiegsamt) derzeit bis zu 400 Euro weniger pro Monat als in anderen Bundesländern. Spitze sind Bayern und Hamburg. „Die aktuelle Besoldungspolitik ist kurzsichtig und gefährdet die hohe Qualität der Justiz“, so Mack. „MV droht im Wettbewerb um die besten Nachwuchsjuristen den Anschluss zu verlieren.“ JVA-Beamte verdienen weniger als in Nachbarländern: Mit Einführung eines neuen Strafvollzugsgesetzes und mehr Aufgaben seien die Stellen nicht angewachsen, moniert Hans-Jürgen Papenfuß, Bund der Strafvollzugsbediensteten in MV. Besonders in der JVA Bützow, wo zeitweise ein Viertel der Beamten ausfiel, sei die „Personalsituation noch dramatisch“. Mehr zum Thema: JVA Bützow: Berichte über viel zu wenig Beamte und mehr Gewalt bei Häftlingen Zu wenig Justiz-Beamte: Sind Gefängnisse in MV noch sicher? Nach scharfer Kritik: Justiz in MV rüstet beim Personal in Gefängnissen auf Papenfuß lobt die Justizministerin dafür, mehr Stellen eingeworben zu haben. Allerdings seien die Bedingungen im Vollzug immer noch sehr unattraktiv, um Nachwuchs zu gewinnen. Ein Grund: Während Länder wie Brandenburg und Schleswig-Holstein Berufsanfänger mit der Besoldungsstufe A8 locken, gilt in MV die A7. Ein Unterschied zwischen Daumen und Zeigefinger von rund 200 Euro im Monat. Hinzu komme, dass Polizei und Zoll JVA-Mitarbeiter gezielt abwerben. Und: Beförderungen gingen zu langsam vonstatten. Ministerium: Mehr Richter auf Probe und Referendare: Das Justizministerium verweist dagegen auf Erfolge: Es gebe derzeit mit 638 Stellen für Richter, Staats- und Amtsanwälte 38 mehr als noch 2014. Durch „Rekordzahlen der Einstellung“ seien derzeit 88 Richter auf Probe und 162 Justiz-Referendare im Dienst. „Die Personalsituation in der Justiz des Landes sieht aktuell so gut aus wie seit Jahren nicht“, sagt Ministeriumssprecher Tilo Stolpe. An Gerichten und Staatsanwaltschaften seien „im Prinzip alle Stellen besetzt“. Ausnahme: Stellen, bei denen gerade Beförderungen liefen. Aber auch diese Zahlen stammen vom Ministerium: Richter und Staatsanwälte seien um 15 bis 30 Prozent überlastet. Für den Vollzugsdienst in Gefängnissen würden derzeit dutzende Frauen und Männer ausgebildet. Von den insgesamt 558 Stellen seien nur 18 derzeit nicht besetzt. Dass Berufsanfänger mit Besoldung A7 und nicht wie woanders mit A8 eingruppiert sind, sei sogar gut, sagt Stephan Hagemann, Abteilungsleiter im Ministerium. Sonst gäbe es Missgunst älterer Kollegen, die auch so bezahlt werden. Der Krankenstand in der Justiz des Landes liegt über dem Bundestrend von knapp fünf Prozent. Richter und Staatsanwälte seien im Vorjahr im Schnitt 12,2 Tage krank ferngeblieben; alle Mitarbeiter in Staatsanwaltschaften zusammen aber rund 20 Tage (inklusive Kur). Bei Beamten in der JVA Bützow lag der Ausfall um die 14 Prozent (31,5 Tage; Stichproben). Landesweit fehlte in den vier JVA in den vergangenen sieben Tagen bis zu jeder sechste Beamte. Von Frank Pubantz