Die Kommunalwahlen in der DDR am 7. Mai 1989 gelten als Startsignal für die friedliche Revolution, die im November zum Fall der Mauer führte. Die offensichtlich manipulierten Wahlergebnisse brachten für viele DDR-Bürger das Fass zum Überlaufen. Fast genau 30 Jahre später stehen im Osten wieder Kommunalwahlen an. Die demokratische Aufbruchstimmung von damals ist in MV bis heute spürbar, sagt Steffen Schoon, Referent bei der Landeszentrale für politische Bildung. „Es gab zwar eine kleine Delle, als die Aktiven von 1989 aus der Politik ausschieden, aber es kommen viele junge Leute nach, die sich engagieren.“
In zahlreichen Gemeinden gebe es gleich mehrere Wählerbündnisse, die sich für bestimmte Themen in ihrem Ort einsetzen. Als Beispiel nennt Schoon Börgerende-Rethwisch (Landkreis Rostock), wo auf jeden Sitz in der Gemeindevertretung vier Kandidaten kommen. In Rostock stieg die Zahl der Kandidaten im Vergleich zur letzten Wahl 2014 um rund ein Drittel. Insgesamt bewerben sich in MV 2401 Kandidaten um 520 Mandate. „Es gibt keine Politikverdrossenheit, höchstens eine Parteienverdrossenheit“, so der Experte.
Keine Sorge wegen geringer Wahlbeteiligung
Auch die meist eher niedrige Wahlbeteiligung bei Kommunalwahlen macht ihm keine Sorgen: „Kommunalwahlen galten schon immer als Nebenwahlen. Bei Bundestags- oder Landtagswahlen geht es oft um Richtungsentscheidungen, in den Kommunen nicht so sehr. Eine hohe Wahlbeteiligung entstehe auch oft, wenn eine Gesellschaft polarisiert sei, in ruhigen Zeiten sei sie meist geringer.
Der Rostocker Historiker Stefan Creuzberger sieht das nicht ganz so entspannt: „Viele wissen das hohe Gut des Wahlrechts, das 1989 erstritten wurde, nicht mehr zu schätzen.“ Eine kleine Gruppe mit viel Zivilcourage habe sich bei den Wahlen 1989 dafür einer großen Gefahr ausgesetzt. Damals hatten unter anderem in Rostock Mitglieder der Evangelischen Studentengemeinde Wahlkabinen aufgestellt und die Stimmauszählung überwacht.
Verantwortungslose Denkzettel
Besonders kritisch sieht Creuzberger, dass viele Unzufriedene heute Wahlen als Gelegenheit sähen, „denen da oben einen Denkzettel zu verpassen“, indem sie extrem links oder rechts wählen. „Es ist verantwortungslos, das zarte Pflänzchen der Demokratie so zu gefährden. Demokratie hat ihre Schwächen, aber sie ist immer noch die beste Alternative zur Diktatur“, so Creuzberger.
Axel Büssem