Mehr Homeoffice in MV: Experte befürchtet massive IT-Sicherheitslücken

Mit Sorge beobachtet der Rostocker IT-Sicherheitsexperte Gerd Rossa die vehemente Forderung der Politik nach mehr Homeoffice im Kampf gegen Corona. „Kontakte zu reduzieren, ist richtig und wichtig, ein wesentliches Problem ist hierbei allerdings die IT-Sicherheit“, sagt er. Angriffe von Kriminellen und Hackern würden grundsätzlich von außen erfolgen. Ad hoc eingerichtete Arbeitsplätze zu Hause seien die idealen Einfallstore. „Mich ärgert die Verordnung von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) sehr“, sagt Rossa. Der massive Druck in Richtung Heimarbeit erhöhe die Risiken für Unternehmen enorm. Christian Pegel (SPD), Digitalisierungsminister von MV, hatte zwar schon zu Beginn der Pandemie an die Wirtschaft appelliert, die IT-Sicherheit auch in der aktuellen Ausnahmesituation nicht zu vernachlässigen. Entsprechende Vorkehrungen zu treffen sei für kleinere und mittlere Unternehmen laut Rossa aber weiter ein Problem. „MV ist das Land des Mittelstands“, verdeutlicht er. Unternehmen, die diesem angehören, hätten oft nicht die Technik oder das erforderliche Administrations-Personal, allein die Kosten für personenbezogene Computer und Laptops seien enorm. Ministerium: Unternehmen haben nachgerüstet: Nach Angaben des Landesministeriums für Digitalisierung hat sich insbesondere zu Beginn der Homeoffice-Zeit im vergangenen Frühling gezeigt, dass vermehrt versucht worden ist, mögliche Sicherheitslücken zu entdecken. „Das Abtasten der Sicherheitssysteme durch unbekannte Dritte ist damals sprunghaft angestiegen“, teilt eine Sprecherin mit. Mehr zum Thema: Neue Corona-Regeln für MV: Ausgangssperren und Notbetrieb in Schulen und Kitas deutlich früher Mittlerweile dürfte sich die Situation aber deutlich verbessert haben. „Die Unternehmen und Verwaltungen haben schnell und effektiv ihre Server und Sicherheitssysteme nachgerüstet“, heißt es weiter. Das Ministerium gehe davon aus, dass heute wieder das gewohnte professionelle Schutzniveau erreicht worden ist – jetzt nur eben für deutlich mehr Heimarbeitsplätze als noch vor einem Jahr. Ziel: Wirtschafts-Spionage: Wie akut die Gefahr der Cyberkriminalität aber weiter ist, ist Rossa zufolge am jüngsten Beispiel, dem IT-Ausfall bei Aida Cruises, zu sehen. Nach den Weihnachtsfeiertagen hatte die Kreuzfahrt-Reederei mehrere Tage lang mit technischen Problemen zu kämpfen. Rossa könnte sich gut vorstellen, dass es sich dabei um einen Angriff von Hackern gehandelt hat – auch wenn das Unternehmen über die Gründe für den Zusammenbruch seiner Computersysteme schweigt. Das Ziel bei solchen Angriffen? „Wirtschafts-Spionage“, sagt Rossa. Von Interesse seien unter anderem Konstruktionsunterlagen, Dokumente zur Unternehmensstrategie oder Angebote bei Ausschreibungen. Gerd Rossa hat knapp zehn Jahre an der Universität Rostock geforscht und gelehrt, bevor er 1998 das Institut für Systemmanagement gegründet hat, das sich auf Softwarelösungen im Bereich der IT-Sicherheit spezialisiert hat. Die Firma hat er mittlerweile abgegeben, heute berät der 78-Jährige nur noch vereinzelt Unternehmen. Vollständiger Schutz unmöglich: Dass bei schnellen Homeoffice-Lösungen Fragen der IT-Sicherheit vernachlässigt worden sind, vermutet auch Britta Heinrich, Sprecherin von Dataport. Die Firma stellt IT-Dienstleistungen unter anderem für die öffentlichen Verwaltungen in MV bereit. Wichtige Maßnahmen zur Vorbeugung von Hacker-Attacken seien Britta Heinrich zufolge beispielsweise Systemupdates. Einen hundertprozentigen Schutz werde es aber nie geben. Lesen Sie auch: Neue Lockdown-Regeln in MV – gut oder zu viel? OZ-Leser haben klare Meinung dazu „Wir Menschen sind es, die auf den Anhang von Phishing-Mails klicken und damit im Zweifel zum Einfallstor für Schadprogramme werden“, sagt sie weiter. Hinzu kämen immer wieder neue Angriffsmethoden und Varianten von Schadsoftwares, die die Sicherheit der IT-Landschaft gefährden. „Dennoch sollte jede Organisation es den Angreifern so schwer wie möglich machen – und die Schutzmauer so hoch wie möglich ziehen.“ Verwaltungen hinken hinterher: Gerd Rossa kann nachvollziehen, dass in einer Ausnahmesituation, wie der Corona-Krise, schnelle Maßnahmen nötig sind. Was ihn aber ärgert ist, dass die Politik wie so oft etwas fordert, das in ihrem eigenen Einfluss- und Verantwortungsbereich nur sehr überschaubar umgesetzt wird. „Die Forderungen nach Homeoffice werden zuerst an die Wirtschaft adressiert, wobei die Verwaltung und Behörden hier letztlich massiv hinterherhinken“, sagt er. Die Digitalisierung sei in Unternehmen häufig weit mehr fortgeschritten. Kritik an den neuen Homeoffice-Regelungen hatte es zuletzt auch von den Unternehmerverbänden in MV gegeben. Die Verordnung sei „weltfremd“ und die Entscheidung, ob Beschäftigte von zu Hause aus arbeiten können, sollte allein den Unternehmern obliegen, hatte Sven Müller, Geschäftsführer der Vereinigung, moniert. Von Pauline Rabe und Christin Assmann