Der kleine Bruder der sechsjährigen Leonie, die am 12. Januar in Torgelow (Vorpommern-Greifswald) an schweren Verletzungen gestorben war, ist vermutlich auch schwer misshandelt worden. Das wurde am Freitag im Mordprozess am Landgericht Neubrandenburg deutlich, wo zwei Kinderärztinnen aus Pasewalk und Wolgast als Zeuginnen gehört wurden. So wurden eine Vielzahl von Hämatomen bei dem Zweijährigen festgestellt.
„Wir waren entsetzt und schockiert“, sagte Kinderärztin Susanne Schober aus Wolgast. „Das hatte ich noch nicht erlebt.“ Der Junge sei bei einer Untersuchung nach dem Tod der Schwester „total verängstigt“ gewesen und musste eine Woche in ein Krankenhaus. Einen Arztbesuch des Jungen in Wolgast wegen eines Laufradsturzes eine Woche zuvor wie vom Stiefvater bei der Polizei behauptet, habe es nicht gegeben. Schober hatte bis Mitte 2018 beide Kinder betreut, weil die Mutter und der leibliche Vater in Wolgast lebten. Bis dahin hatte es keine Auffälligkeiten gegeben.
Anfang 2018 nach Torgelow gezogen
Die Mutter hatte sich Anfang 2018 vom Kindesvater getrennt und war mit dem Mann zusammengekommen, der nun wegen Mordes durch Unterlassen an Leonie und Misshandlung von Schutzbefohlenen in mehreren Fällen vor Gericht steht. Die Beiden waren Mitte 2018 mit den Kindern nach Torgelow gezogen.
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Im November hatte die Kinderärztin aus Pasewalk die Mutter mit dem Zweijährigen und einem Baby das erste Mal gesehen. Auch damals hatte er Hämatome. Auf die Frage, woher die Hämatome stammten, habe die Mutter erklärt, dass der Junge von seiner Schwester Leonie „ruppig behandelt“ worden sei und es „in der Kita auch zur Sache geht.“ Zu dieser Zeit war der Junge aber schon wochenlang nicht mehr in der Kita gewesen. Die Ärztin aus Pasewalk hatte die Mutter mit den Kleinen für vier Tage später noch einmal bestellt, dann sei diese nicht mehr erschienen.
OZ vom 19. Januar 2019:
Jetzt braucht Leonies Bruder Hilfe
Außerdem berichtete am Freitag eine Zeugin aus Torgelow vor Gericht, wie sie die Familie erlebt hatte. So soll der Angeklagte den Bruder von Leonie auf offener Straße dermaßen grob an den Armen gepackt, geschüttelt und angeschrien haben, „dass ich Herzrasen bekommen habe.“ Als sie die Mutter über die Straße hinweg aufgefordert habe, das zu unterbinden, habe diese etwas gesagt und die Familie sei schnell weggegangen. Leonie habe das Ganze staunend mit offenem Mund angeschaut.
Stiefvater schweigt weiter
Der 28-jährige Stiefvater Leonies schweigt weiter vor Gericht. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, vor allem Leonie mehrfach so misshandelt zu haben, dass sie am 12. Januar infolge der Verletzungen starb. Um die Taten zu verdecken, habe der Angeklagte erst viel später Rettungskräfte informiert als nötig, hieß es in der Anklage. Der Angeklagte hatte bei Ermittlungen einen angeblichen Treppensturz des Mädchens als Ursache für die Verletzungen angegeben.
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Das bezweifeln aber sowohl Ermittler als auch Rechtsmediziner, die die zahlreichen Verletzungen des Mädchens analysierten. Der Prozess wird an diesem Dienstag fortgesetzt. Dann sollen unter anderem der Nebenkläger - Leonies Vater - sowie Verwandte der Mutter als Zeugen aussagen. Mit einem Urteil wird frühestens Ende November gerechnet.
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Von RND/dpa