Ostsee soll Testfeld für Munitionsbergung werden

Es musste damals schnell gehen, es musste wirksam sein und durfte nichts kosten: Um das untergegangene Nazi-Deutschland nach 1945 zu entwaffnen, kippten die Alliierten kurzerhand tausende Tonnen an Bomben, Minen, Torpedo-Sprengköpfen und Granaten kurzerhand ins Meer. Acht bekannte Versenkungsgebiete gibt es allein in der Ostsee, auf deren Grund mehr als 300 000 Tonnen Altmunition vermutet werden. Hinzu kommen rund 21 Verdachtsflächen – Seegebiete, die wahrscheinlich als Müllkippe für explosiven Kriegsschrott missbraucht wurden. Jahrelang war niemand für diese Altlast zuständig. Die Munition auf dem Meeresgrund fällt formal in den Zuständigkeitsbereich des Bundes. Der wird aber nur bei akuter Gefahr tätig, etwa wenn eine alte Bombe auf einer Schifffahrtsstraße entdeckt wird. Wenn die tückischen Altlasten dagegen an den Strand gespült werden, muss die Feuerwehr der jeweiligen Gemeinde eingreifen. Bergung und Entsorgung ist wiederum Aufgabe der Länder. Dieses Zuständigkeits-Wirrwarr führte dazu, „dass jahrzehntelang überhaupt nichts passiert ist“, heißt es beim Expertenkreis „Munition im Meer“, den die Bundesländer einrichtet haben. Seeminen verrotten: Am gefährlichsten ist die Situation laut Expertenkreis vor Usedom, wo große Mengen an phosphorhaltigen Brandbomben lagern, sowie in der Lübecker und in der Kieler Bucht. Dort rotten mit TNT beladene Seeminen vor sich hin, deren dünner Stahlmantel immer stärker durch Korrosion zerfressen wird. Nun zeichnet sich eine politische Lösung ab, damit die tickende Zeitbombe auf dem Meeresboden nicht wieder rückgängig zu machende Schäden anrichtet. CDU, SPD, Grüne und FDP im Bundestag wollten ursprünglich einen gemeinsamen Antrag einbringen, um endlich einen Fahrplan für eine Bergung aufzustellen. Das scheiterte vorerst an der Union, die, anders als die anderen, eine Beteiligung der EU für notwendig hält. Kommentar: Bergung längst überfällig Lesen Sie auch: Gefahr endgültig gebannt: Schifffahrtsamt sprengt zweite britische Mine in Kadetrinne Überraschender Fang in Ostsee vor Kühlungsborn: Fischer geht Mine ins Netz Streit um EU-Beteiligung: „Wir brauchen die internationale Ebene“, sagt Peter Stein, CDU-Bundestagsabgeordneter aus Rostock, der sich schon länger dem Problem der Altmunition widmet. Er argumentiert, ohne die EU werde eine Bergung außerhalb der Hoheitsgewässer schwierig, Bergungsaufträge müssten ohnehin europaweit ausgeschrieben werden. Wenn die EU mit ins Boot muss, passiert erst mal wieder viele Jahre lang gar nichts, befürchten dagegen Grüne und FDP. Die Union will in den zuständigen Ausschüssen noch eine gemeinsame Lösung erreichen. Wie auch immer es ausgeht: Weil sehr wahrscheinlich mindestens zwei der beteiligten Parteien der nächsten Bundesregierung angehören werden, dürfte sich der Explosionsstoff vom Meeresgrund zumindest im nächsten Koalitionsvertrag wiederfinden, wenn nicht schon vorher ein Gesetz auf den Weg gebracht wird, heißt es bei beteiligten Experten. Pilotprojekt in der Ostsee: Der Antrag von FDP und Grünen sieht vor, die Mammutaufgabe mit einem kleineren Pilotprojekt in der Ostsee zu starten. Das sollte möglichst noch dieses Jahr auf den Weg gebracht werden, ausgestattet mit Forschungsgeldern vom Bund. Ziel soll die „praktische Erprobung von umweltverträglichen Bergungsverfahren in den Versenkungsgebieten“ sein, heißt es in dem Antragsentwurf, der der OZ vorliegt. Die in dem Testprojekt getesteten Techniken und Verfahren sollen anschließend flächendeckend in Nord- und Ostsee eingesetzt werden. Rostocker Offshore-Testfeld: An einer Entwicklung von neuen Technologien führt kein Weg vorbei, meint Forscher Torsten Frey vom renommierten Kieler Institut Geomar. Es gehe darum, vorbereitet zu sein, etwa wenn die Giftemissionen rund um ein Versenkungsgebiet plötzlich stark steigen sollten und die Munitionsreste schnell an die Wasseroberfläche müssen, bevor sich eine Umweltkatastrophe entwickelt. Bei der Entwicklung der Technologie wird der Rostocker Ocean Technology Campus eine wichtige Rolle spielen, vor allem wegen seines geplanten Offshore-Testfelds, ist Frey überzeugt. So ein maritimer Übungsplatz für Unterwassertechnik sei unverzichtbar. Die wirtschaftlichen Aussichten, mit maritimer Bergungstechnik später Geld verdienen zu können, sind sehr gut, meint Torsten Frey. Das sehen die beteiligten Politiker genauso. Von Gerald Kleine Wördemann

Ostsee soll Testfeld für Munitionsbergung werden – und MV profitieren