Dass ein Angeklagter vor Gericht um eine Verurteilung bittet, ist äußerst selten. Doch Tom A. sieht den Weg in den Maßregelvollzug als einzige Chance, um die Therapie zu erhalten, die er benötigt, um nicht mehr straffällig zu werden. „Wenn ich in einer Entziehungsanstalt eine Therapie machen kann, ist das das Beste für mich“, sagt er im Saal des Greifswalder Amtsgerichtes. Die Bitte des Angeklagten ist ein Schrei um Hilfe. Tom A. will sich nach jahrzehntelanger Abhängigkeit vom Mix aus Drogen, Schmerzmitteln und Alkohol befreien. Tom A. will ein neues Leben ohne Diebstähle, ohne Einbrüche oder andere Straftaten beginnen. Im Jahr 2009 wurde bei ihm eine paranoide Schizophrenie diagnostiziert.
Eine Flasche Whiskey, sieben Tramadol
Der großgewachsene Mann wirkt im Gerichtssaal wie ein sanfter Riese, er ist freundlich, zuvorkommend, zeigt sich kooperativ. „Warum soll ich Ihnen etwas verschweigen, Herr Richter? Ich bin hier vor Gericht.“ Ohne Umschweife räumt er ein, dass er am Abend des 3. März in der Gaußstraße in Schönwalde I versuchte, einen Zigarettenautomaten zu knacken.
Zu diesem Zeitpunkt hatte er eigenen Angaben zufolge bereits eine Flasche Whiskey und sieben Tabletten des zu den Opioiden gehörenden Schmerzmittels Tramadol geschluckt. „Das hat mir ein gutes Gefühl gegeben“, begründet er den Konsum. Das Geld aus dem Bruch wollte er angeblich Jugendlichen geben, damit sie sich nicht auf dem Strich prostituieren müssen, berichtet er weiter.
Auf frischer Tat ertappt
Als der Zigarettenautomat nicht nachgab, zog er mit seinem Kumpel weiter zur Sparkassen-Filiale in der Hertz-Straße, wo er gegen 21.45 Uhr einen Kuhfuß an den Geldautomaten setzte. Die Polizei, die bereits von einem Zeugen alarmiert war, erwischte Tom A. auf frischer Tat.
Sie nahm den 33-Jährigen und seinen Kumpel, der Schmiere stand, fest, als der Monitor vom Geldautomaten etwa eine Handbreit aus der Verankerung gezogen war. Tom A. ging in U-Haft. Die Staatsanwaltschaft klagte ihn wegen versuchten Diebstahls in besonders schwerem Falle an.
Lange Drogenkarriere
Tom A. weiß, wie Gerichtsverhandlungen ablaufen. 24 Straftaten weist sein Auszug aus dem Bundeszentralregister aus, die erste – ein Diebstahl – stammt aus dem Jahr 2002. Da war er 16 Jahre alt. Der letzte Eintrag ist taufrisch. Erst zwei Wochen vor dem Bruch in Schönwalde I war Tom A. aus der Haft entlassen worden. In Greifswald meldete er sich im Obdachlosenheim. Erneut straffällig wurde er, bevor die mit der Entlassung beantragten Hilfen auf soziale Unterstützung greifen konnten.
Die Drogenkarriere des 33-Jährigen ist lang. Mit 13 Jahren habe er begonnen, zu rauchen, Alkohol zu trinken und Cannabis zu konsumieren. Jahr für Jahr habe er die Spanne illegaler Substanzen erweitert: Opiate, Amphetamine, Benzodiazepine. „Also fast alles, was möglich ist“, wirft Richter Daniel Wittke ein. Eine Ausbildung zum Fleischer bricht sein Ausbildungsbetrieb ab, weil Tom A. Geld aus der Kasse stahl. Dann erzählt Tom A., dass er schon als Kind mit Engeln gesprochen habe, die auf seinen Schultern saßen. „Ich habe diese Gabe, mit Engeln zu kommunizieren.“
Suchttherapie entscheidend für weiteres Leben
Im Jahr 2009 wurde bei Tom A. erstmals eine paranoide Schizophrenie diagnostiziert. Es sei nicht selten, dass Menschen, die über Jahre Drogen konsumieren, eine permanente Psychose entwickeln, berichtet der forensische Psychiater Stefan Orlob. Studien sprechen von 30 bis 40 Prozent der langjährigen Konsumenten.
Orlob kennt Tom A. seit 2016 aus einem früheren Verfahren am Landgericht Stralsund. Die Schizophrenie habe er dank der Medikamente inzwischen gut in Griff, so der Psychiater. Vor allem die Suchtprobleme seien für die Straftaten maßgeblich: Diebstähle, das Erschleichen von Leistungen – das alles sieht Orlob im Zusammenhang mit dem Geldbedarf, den Tom A. aufgrund seines Drogenkonsums hat. „Es ist von einer ungünstigen Kriminalprognose auszugehen, solange keine Suchttherapie erfolgt“, so Orlob.
Vogt fordert sozialen Empfangsraum
Auch Staatsanwaltschaft und Pflichtverteidiger Axel Vogt schlossen sich dieser Argumentation an. Das Gericht verurteilt A. – auch angesichts der vielen Vorstrafen – wegen versuchten schweren Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten sowie zur Unterbringung im Maßregelvollzug, wo er nun eine langfristige Entziehungskur antreten wird. Wenn er Glück hat und ein Platz frei ist, kann A. zeitnah nach dem rechtskräftigen Urteil in die forensische Klinik einziehen.
Den kritischsten Zeitpunkt auf dem Weg zu einem straf- und drogenfreien Leben sieht Pflichtverteidiger Vogt unmittelbar nach der Entlassung aus der Haft. „Entscheidend ist, dass nach der Freilassung ein sozialer Empfangsraum geschaffen wird, damit er nicht wieder rückfällig wird“, sagt Vogt. Dies könnten ein amtlich bestellter Betreuer sein, der Tom A. zur Seite gestellt wird, ein geschützter Arbeits- und Wohnraum sowie eine ambulante psychiatrische Nachbehandlung. „Dieses Paket muss im Maßregelvollzug vorbereitet werden.“
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Von Martina Rathke