Selbstversuch: Bringt ein negativer Corona-Test die Normalität zurück?

Uurgh, unangenehm. Dieses Kitzeln in der Nase. Jetzt bloß zusammenreißen. Auch wenn die Frau vor mir eine Schutzbrille, eine medizinische Maske und einen weißen Ganz-Körperschutzanzug mit Kapuze trägt: Ins Gesicht niesen will ich ihr nicht. „Gleich vorbei“, beruhigt mich Monique Jentzsch. Seit Oktober arbeitet die Schwester im Helios-Testzentrum am Krankenhaus West, wo nun auch kostenlose Corona-Schnelltests möglich sind. 250 bis 300 Abstriche nimmt sie täglich. Ihre Schutzkleidung ist effektiv. „Von uns hatte noch keiner Corona.“ Dann schiebt sie mir das längliche Wattestäbchen ins andere Nasenloch. Wenige Zentimeter, zwei, drei Umdrehungen, geschafft. Erst testen, dann bummeln: Das Ergebnis soll mir eine gewisse Freiheit zurückgeben. Denn ich will das machen, was ich unter normalen Umständen auch getan hätte: shoppen gehen, Haare schneiden lassen und am liebsten in einem Restaurant essen... Man wird ja wohl noch träumen dürfen. Ab Dienstag ist es in Vorpommern-Rügen Pflicht, sich ein negatives Schnelltest-Ergebnis zu besorgen, bevor der Einkaufsbummel losgehen kann. Wird das mal wieder eine „neue Normalität“ sein? Vermutlich schon, zumindest so lange kein harter Lockdown angeordnet wird. Was offen ist, soll offen bleiben, trotz mehr als 20 000 Infektionen am Tag. Mal schauen, ob und wie lange das gut geht. 24 Stunden gültiges Papier: Erste Erkenntnis: In den Apotheken sind auf die Schnelle keine Termine zu bekommen. Wer sich in Stralsund testen lassen möchte, sollte zu Helios. Das geht ohne Termin, auch für Leute von außerhalb. Am besten mittags. Neben meinem stehen nur drei Autos. „Am Vormittag war sehr viel los“, sagt Monique Jentzsch während der 15 Minuten Wartezeit, bis das Ergebnis vorliegt. Es ist negativ und ich bin tatsächlich etwas erleichtert. Nun habe ich ein 24 Stunden gültiges Dokument in der Hand. Deutschland, deine Zettelwirtschaft. Nun denn, ab in die Innenstadt. Mit meinem Sesam-öffne-dich-Papier könnte ich nun „körpernahe Dienstleistungen“ in Anspruch nehmen. Für einen Moment überlege ich tatsächlich, zum Kosmetiker zu gehen oder mir die Fingernägel machen zu lassen. Warum? Weil ich es kann! Aber ein Frisör reicht fürs Erste. Ich hoffe, dass nicht jeder gebuchte Kunde einen Schnelltest machen lassen hat und deshalb wieder ein paar Termine frei sind. Einer würde ja reichen. Ohne Termin zum Frisör? Laden eins: „Alle unsere Kunden kommen. Sie haben eben sogar noch angerufen.“ Laden zwei: „Sie sehen ja, was hier los ist.“ Stimmt, draußen steht dran, dass nur eine gewisse Anzahl Kunden ins Geschäft darf. Drinnen sind aber deutlich mehr Leute. Laden drei: „Haben Sie einen Termin?“– „Nein. Geht es auch so? Ich habe einen negati...“„Jetzt?“– „Ja?“„Nein.“– „Warum nicht?“„Geht nicht.“– „Geht nicht?“„Nein.“– „Aber ich habe einen neg...“ „Den Termin müssen Sie vorher machen.“– „Äh, okay. Na dann auf Wiedersehen.“ Wird die Shoppinglaune getrübt? In einem Barbershop geht es gelassener zu. Ich zeige meinen Zettel, darf mich setzen und Dyar Rashid greift zu Kamm und Schere. Frisch frisiert muss ich vorm Rausgehen meine Daten in eine Liste eintragen. Adresse, Telefonnummer, für jedermann sichtbar. Ich schreibe mit Absicht etwas unleserlich in der Hoffnung, dass kein anderer Kunde Lust hat, meinen Schriebs mal eben zu entziffern. Weiter geht’s in den Strelapark. Stralsunds größtes Einkaufszentrum möchte es den Kunden ab Dienstag so leicht wie möglich machen mit dem Freitesten. Wie der Andrang wohl bewältigt wird? 15 Minuten Wartezeit aufs Ergebnis müssen auf jeden Fall eingeplant werden. Wenn nun die Menschenmassen vor der Tür getestet werden sollen, wird sicherlich weitere Wartezeit kaum zu vermeiden sein, ehe man an der Reihe ist. Ob die Freude aufs Shoppen das unbeschadet übersteht? Lesen Sie auch Modellprojekt: Wie Stralsunds Strelapark alle Bereiche öffnen will Rügen: Friseure bedienen Kunden vorerst auch ohne negativen Corona-Test Stralsund: Apotheker im Schnelltest-Stress: Keine Termine vor Ostern Das Personal ist zu beschäftigt: Drinnen werden die Corona-Maßnahmen sehr unterschiedlich gehandhabt. Beim Elektro-Markt weisen zwei große Aufsteller und ein Bildschirm aufs Verwenden der Luca-App hin. Ich logge mich ein, könnte aber auch so hineingehen. In anderen Geschäften muss ich eine Kunststoff-Brosche nehmen, damit sie dort den Überblick behalten, wie viele Kunden im Geschäft sind. Beim Hinausgehen soll ich das Teil wieder in dieselbe Kiste zurücklegen. Sieht nicht so aus, als würde das desinfiziert. In einem weiteren Geschäft soll jeder Kunde einen Korb nehmen. Nur tut das kaum jemand. Das Personal ist mit Beratungen zu beschäftigt. Früher unterschieden sich die Regelungen von Bundesland zu Bundesland, dann von Landkreis zu Landkreis. Nun offenbar sogar schon von Geschäft zu Geschäft. Und ob die Regeln auch eingehalten werden, steht auf einem anderen Blatt. Apropos: Meinen Zettel muss ich hier nirgendwo vorzeigen. Erst ab nächster Woche. Dann aber nicht in Supermärkten, obwohl die meist viel voller sind. Was für ein Durcheinander. Heile Welt an der Bratwurstbude: Fazit: Was uns Normalität und Sicherheit bringt, sollte umgesetzt werden. Was das Wirrwarr reduziert, ebenfalls. Die Testpflicht kommt aber, bevor die passende Infrastruktur dafür aufgebaut ist. Das wird Nerven kosten. Noch ist es vor der Tür des Strelaparks wie immer. „Wenn die Leute einkaufen gehen, haben sie auch Hunger“, bringt es der Verkäufer am Bratwurststand auf den Punkt. „Zwei fuffzig, bitte.“ Von Kai Lachmann