Tierärztin Muschkowitz aus Heringsdorf: Was sie in 20 Jahren erlebte

Sie sollte ein Kamel behandeln und stand plötzlich vor einem Tiger. Der Zirkus „William“ hatte in der Tierärztlichen Praxis von Dr. Christine Muschkowitz in Heringsdorf angerufen und um Hilfe gebeten. Das Kamel machte Probleme. Sie fuhr hin. „Vor Ort wurde ich gefragt, ob ich auch noch eine Wurmkur für eine Katze dabei habe. Na klar, habe ich gesagt“, erzählt die Tierärztin und wusste da noch nicht, dass es sich nicht um eine Hauskatze, sondern um eine Raubkatze handelt. Eine Wurmkur für einen Tiger hatte sie natürlich nicht dabei. Überhaupt, Hausbesuche macht sie sehr selten, sagt die Heringsdorferin, die in diesen Tagen mit Stolz auf den 1. April 2001 zurückblickt – die Eröffnung ihrer Praxis. Zuerst war sie in der Friedenstraße 1 (heute Kinderarztpraxis), seit 2005 in der Seestraße im alten Postgebäude. Im Juni 2020 begrüßte sie den 10 000. Kunden. Für Herrchen und Frauchen von Hund Luzie gab es Champagner. Der Vierbeiner war von einer Schlange in die Nase gebissen worden. Da zieht es im Rücken, da kneift es im Bein oder rumort es im Magen – nicht nur Menschen haben Wehwehchen. Wenn es Tiere betrifft, ist Christine Muschkowitz gefragt. Komisch klingt es schon, wenn sie erzählt, mal ein Hühnerbein genagelt zu haben. „Danach lahmte das Huhn nicht mehr“, meint sie und lacht. Nymphensittich auf der Schulter: Komisch muss es auch einigen in den Anfangsjahren vorgekommen sein, wenn sie auf die behandelnde Veterinärin getroffen sind. Und sofort an den berüchtigten Piraten mit dem Papagei auf der Schulter gedacht haben. Bei Christine Muschkowitz war es ein Nymphensittich, der ihr zugeflogen war und nicht von der Seite wich, später tatsächlich ein Papagei. Danach kamen zwei Jagdhunde hinzu, die ebenfalls zum tierischen Personal wurden. „Sie lenken die Tiere ab und beruhigen sie. Das hilft ungemein“, sagt sie. Auf menschliches Personal vertraut sie dennoch auch – im Team sind eine OP-Schwester und eine tierärztliche Assistentin. Mehr Hände werden gebraucht, wenn eine über 20 Kilo schwere Schlange auf dem Tisch liegt und von Parasiten befreit werden muss oder aus einem polnischen Tierheim ein Minischwein mit gebrochenem Bein gebracht wird. Sie legt auch eine Nachtschicht ein, um den Hund der Heringsdorfer Wasserwacht mit einer OP zu retten – Magendrehung war die Diagnose. Wenn der Hund den Kasperle verschluckt: Hunde, damit hat die Heringsdorferin schon einiges durch. Da war der Labrador, der von seiner Besitzerin nach einem heißem Strandtag mit Kreislaufbeschwerden gebracht wurde und die Dame der Tierärztin am nächsten Tag nebenbei erzählte, dass der Hund an Diabetes leide. Oder die Sache mit dem Kasper. „Mir wurde ein Hund mit Darmverschluss gebracht. Wir haben alles versucht, auch mit dem Tropf. Bis ich auf dem Fußboden eine gelbe Brühe mit einem apfelsinengroßen Etwas entdeckte. Ich spülte das ab und da grinst mich doch ein Kasperlekopf an, den der Hund verschluckt haben muss.“ Dem Hund ging es danach besser. Es war übrigens ein „Weimaraner“ von einem Hotelier aus den Kaiserbädern. Lesen Sie auch Greifswald: So geht es der ausgesetzten Jack-Russel-Hündin jetzt Hund stirbt nach Messerstichen durch einen anderen Hundebesitzer Schäferhund fällt Welpen auf Usedom an: Diese Menschen retteten Kiwi das Leben Viele Tierbesitzer von der Insel und dem Festland finden mittlerweile den Weg in die Praxis, die eigentlich eine Manege sein sollte. Wenn es nach dem ursprünglichen Berufswunsch der Heringsdorferin gegangen wäre. „Ich will zum Zirkus“ – damit habe sie ihren Vater, der Musiker im Berliner Friedrichstadtpalast war, überrascht. Er hatte seine Tochter oft zum Zirkus mitgenommen, wenn er ehemalige Kollegen besuchte. In einer Tierklinik in Namibia: Vom Vater kam ein Veto. Weil sie etwas „Vernünftiges“ machen sollte, rutschte der Tierarzt vor den Zirkus. Studium in Berlin, einige Monate in einer Tierklinik in Namibia und vier Jahre in einer Berliner Tierarztpraxis – all das waren die Stufen bis hin zur eigenen Praxis. Der Umgang mit den Tierbesitzern sei nicht immer leicht. Sie müssen mental mitgehen mit dem, was die Expertin macht. „Es gibt Leute, die wollen keinen Rat, die wollen Service. Dann mache ich das und arbeite es ab“, sagt die 50-Jährige. Drei bis fünf Operationen sind es am Tag. „Ich mag die handwerkliche Kniffligkeit.“ Schließlich ist es ja auch eine ziemliche Fummelei, wenn man beispielsweise, wie vor zwei Jahren, bei einem Schwan einen Angelhaken aus dem Schlund holen muss, den er am Bansiner Schloonsee verschluckt hatte. Von Henrik Nitzsche