Usedom: Zinnowitzer Friseurin will trotz Corona-Lockdown öffnen

„Ich habe nichts mehr zu verlieren.“ Friseurmeisterin Bianca Orpel steht in ihrem Zinnowitzer Geschäft und Tränen rinnen ihr über die Wangen. Als die 50-Jährige sich wieder gefangen hat, sagt sie: „Ich mache am Montag auf. Ich bin ja gar kein Mensch mehr ohne die Arbeit.“ Aktuellster Beitrag dazu: Verzweifelte Friseurmeisterin aus Zinnowitz: Warum sie jetzt doch nicht öffnen will Doch schnell wird klar, dass es ihr um weit mehr als bloße Beschäftigung geht: Ihre gesamte finanzielle Existenz und die ihrer Familie stehen auf dem Spiel. „Ich stehe vollkommen mittellos da“, erklärt sie. „Ich bekomme keinen Kredit und weiß nicht mal, wie ich die nächsten Monate das Schulgeld für meinen Sohn bezahlen soll.“ Friseurin erleidet Zusammenbruch: Die Friseurin erklärt ihre Lage: Seit 2000 ist sie selbstständig, später ein schwerer Unfall und in der Folge eine Insolvenz. „Aber daraus bin ich wieder aufgestanden. Ich hab mir gerade wieder alles aufgebaut.“ Schon der erste Lockdown nimmt sie so mit, dass der Kreislauf zusammenbricht. Für eine Woche muss sie damals ins Krankenhaus. Hoffnung habe sie aus der Ankündigung von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) geschöpft, der sagte, dass kein Friseur mehr schließen muss. Mehr dazu: Zinnowitzer Friseurin kündigt Öffnung trotz Lockdowns an: Das sagen OZ-Leser dazu „Wir haben doch alles gemacht, was von uns verlangt wurde“, sagt Bianca Orpel. Ihre Hände sind rau vom vielen Desinfizieren. Überall im Geschäft gibt es Hinweise auf die Maskenpflicht und die Gefahr durch Corona. „Ich bin doch keine Gegnerin der Maßnahmen“, sagt sie. „Natürlich gibt es Corona und was gerade in den Kliniken passiert, ist schlimm.“ Sie weiß es aus erster Hand, denn ihre Tochter arbeitet in einem Krankenhaus. Im Studio herrscht Stille: Doch sie sehe auch die Widersprüche: „Überall in den großen Geschäften, wo Hunderte Menschen einkaufen, sind die Sicherheitsmaßnahmen zurückgefahren worden. Anders als im Frühjahr, sehe ich kaum noch Security und die Spender für Desinfektionsmittel sind oft leer.“ In ihrer Branche habe man dagegen nicht aufgehört auf die Einhaltung aller Maßnahmen zu achten. Anders als im Supermarkt auf der anderen Straßenseite herrscht in „Biancas Haarstudio“ nun vollkommene Stille. „Nur auf meinem Konto herrscht Bewegung – abwärts natürlich.“ Terminkalender wäre eigentlich voll gewesen: Sie teilt das Problem zahlloser Selbstständiger: Die staatlichen Hilfen dürfen für Geschäftsaufgaben genutzt werden, nicht aber für ein privates Gehalt – etwa Essen, Kleidung oder eben das Schulgeld. „Bis jetzt ging das alles noch und wenn ich am 11. Januar wieder hätte arbeiten dürfen, wäre auch alles gut gewesen, das Terminbuch ist ja voll. Aber für alles danach habe ich keine Rücklagen mehr.“ Doch was, wenn sie am Montag auch noch Strafe für die Öffnung zahlen muss? „Dann lege ich den Bescheid zu den anderen Rechnungen, die ich auch nicht bezahlen kann.“ Orpel sieht sich in die Enge getrieben. Ihr Entschluss steht deshalb fest: „Wenn ab Montag ein Kunde kommt, der bereits einen Termin mit mir vereinbart hat, werde ich den auch bedienen.“ Damit geht die Friseurmeisterin einen großen Schritt weiter als einige Einzelhändler auf der Insel. Lesen Sie auch: Kantinen in Wolgast und auf Usedom: „Wir lassen die Kinder nicht im Stich Einzelhändler starten bundesweite Plakataktion: Bundesweit gehen viele Händler einen anderen Weg. Sie machen nicht auf, aber auf sich aufmerksam. Ein Einzelhändler, der am Montag auf jeden Fall seinen Protest gegen die aktuellen Maßnahmen zeigen möchte, ist Gert Griehl, Inhaber von Pier14 aus Heringsdorf. Allein auf der Insel Usedom betreibt er zwölf Läden und zwei gastronomische Einrichtungen. Seit Anfang November geht in seinen Läden so gut wie nichts mehr. „Der Lockdown-Light“ war für uns schon der harte Lockdown, da der Tourismus fehlt. Es ist die blanke Katastrophe. Der Tourismus ist einer der wichtigsten Standbeine unserer Region. Und dieses Standbein wurde uns weggerissen“, erklärt er. Im November ging der Umsatz bei ihm um 70 Prozent zurück, im Dezember sogar um 95 Prozent. Ein Großteil seines Personals befindet sich heute in Kurzarbeit. Griehl hofft, dass der Einzelhandel wieder eine Chance bekommt, um zu überleben. Forderung: Gleiche Bedingungen wie die Gastronomie: Die gleiche Hoffnung hat auch Dagmar Friedrich, Einzelhändlerin einer Modeboutique in Zinnowitz. „Meiner Meinung nach waren die Einzelhändler keine Pandemietreiber“, betont sie. Sie könne in ihrem Laden die gleichen Hygiene- und Schutzmaßnahmen wie in einem Supermarkt vorhalten. Dazu zähle das Abstandhalten, Desinfektionsmittelverteilen, Masketragen und so weiter. Sie wünscht sich für ihre Branche eine Gleichbehandlung mit der Gastronomie. Dort können die Unternehmer Hilfen in Höhe von 75 Prozent des Umsatzes aus dem Vorjahresmonat geltend machen. Die Einzelhändler haben das Nachsehen. Mehr dazu: Einzelhändler fordern Gleichbehandlung mit der Gastronomie Wenig Solidarität von den Einheimischen: Die Usedomerin betrachtet mit besorgter Miene die Veränderungen in ihrer Branche. Eine ist zum Beispiel, dass sich die Kunden vermehrt ihre Bestellungen nach Hause liefern lassen. „Die stationären Händler vor Ort haben bald keine Chance mehr, wenn sie nicht wieder öffnen dürfen“, sagt sie. Von der Solidarität der Einheimischen versprach sich die Unternehmerin auch mehr. „Bis zum 16. Dezember hatte ich noch geöffnet. Viele kamen rein, drückten ihr Mitgefühl mit den Händlern aus, erzählten ein bisschen, aber gekauft haben sie wenig“, sagt sie. Einige erklärten, dass der Einkauf im Internet für sie immer lukrativer ist. Aber Friedrich betont, dass sie mit „verderblichen“ Waren handelt. „Die Sommerkollektion haben wir bereits im vergangenen Jahr bestellt. Heißt also, dass wir Platz brauchen. Sämtliche Winterkollektionen müssen raus.“ Im Sommer brauche sie nicht mehr mit Winterjacken um die Ecke kommen. Von Juliane Schultz und Hannes Ewert