Winterschlussverkauf in MV fällt aus: Wohin mit der Ware?

Den Winterschlussverkauf gibt es offiziell schon lange nicht mehr. Doch bis heute sind Rabattaktionen im Januar für den Einzelhandel wichtig, um die Lager zu räumen und dabei noch ein paar Euro zu verdienen. Aber wegen des Corona-Lockdowns ist in diesem Jahr alles anders: Die Regale mit der Winterware sind praktisch unangetastet und selbst großzügige Rabatte würden da nichts bringen, weil die Kunden gar nicht in die Geschäfte dürfen. Die Händler in MV sind zunehmend verzweifelt. „In der Winterware steckt unser gesamtes Kapital“, sagt etwa Mareen Bittner, die in Zingst und Prerow Modegeschäfte betreibt. „Die Läden sind perfekt ausgestattet mit Handschuhen, Pullovern und Winterjacken.“ Nur eben, dass niemand sie kauft. Weil die Regale voll sind, muss Bittner die bereits gelieferte Frühjahrs- und Sommermode bei sich zu Hause lagern. „Das Wohnzimmer und der Flur stehen voll mit Kisten.“ Bittner hofft jetzt, dass MV im März wieder Touristen ins Land lässt – ihre wichtigste Klientel. „Aber selbst wenn: Dann kauft ja niemand mehr Wintersachen. Sobald die ersten Sonnenstrahlen da sind, kann ich die Ware nicht mal mehr stark reduziert verkaufen.“ Zumal sie ab einem Nachlass von etwa 50 Prozent Verluste machen würde. Mindestens 5000 Teile liegen noch in ihren beiden Filialen. „Ich habe kein Lager. Winterjacken nehmen ja auch sehr viel Platz weg. Ich weiß nicht, was ich machen soll, das macht mich fertig.“ In ihrer Not hat Bittner schon überlegt, Freunde und Verwandte zu fragen, ob sie bei ihnen Kartons unterstellen könnte. Saisonware – verderblich wie Bananen: In einer ähnlichen Lage ist Hermann Jesske, der zusammen mit seiner Frau Kaufhäuser in Greifswald und Stralsund betreibt. „Saisonware ist verderblich – fast so wie Bananen“, erklärt der Geschäftsmann. Soll heißen: Anders als in anderen Branchen kann er die Wintersachen nicht einfach ein Jahr lang einlagern und hoffen, dass sich die Mode bis dahin nicht ändert. Bei Jesske hängen und liegen noch etwa 60 000 Pullover und andere Wintersachen in den Geschäften. „Einige tausend Stücke konnten wir verkaufen, 10 bis 15 Prozent nimmt der Handel zurück“, erklärt Jesske. Verhandlungen über weitere Rücknahmen laufen noch. Sicher ist aber: „Wir werden keine Ware vernichten“, betont Jesske. Aus der Luft gegriffen ist diese Aussage nicht: Der Online-Händler Amazon hatte zuletzt viel Empörung ausgelöst, weil der Konzern zigtausend zurückgesendete Teile vernichtet, auch wenn sie noch völlig unbenutzt sind. Bei Jesske wird es langsam eng – nicht nur räumlich: „Die Lage ist hochexplosiv. Wir haben die Winterware nicht verkauft, können jetzt die Frühjahrsware nicht verkaufen und müssten jetzt eigentlich die Ware für den nächsten Herbst und Winter einkaufen.“ Er rechne damit, dass die Läden nicht vor Ostern werden öffnen dürfen. während die Hilfen für die Händler immer noch auf sich warten lassen. „Der Begriff ,Hilfe’ ist falsch, eigentlich müsste es ,Entschädigung’ heißen“, findet Jesske. Die Wintersachen in den Regalen schlagen bei ihm erheblich zu Buche: „Der Wareneinkauf macht zwei Drittel unserer Kosten aus, die Fixkosten ein Drittel.“ Letztere könnte er gerade noch so stemmen, aber für neue Ware reiche das Geld nicht. „Es ist eine Katastrophe – gelinde gesagt.“ Das bestätigt Mareike Petersen vom Handelsverband Nord: „Die unverkaufte Ware ist ein großes Problem für die Händler aus der Textilbranche, zum einen wegen der vollen Lager, zum anderen aber auch wegen der fehlenden Liquidität.“ Mehr lesen: Wir haben keine Lobby“: Händler aus MV protestieren mit Trauermarsch in Schwerin Bis zu 90 Prozent: Lockdown zwingt Modehandel zu hohen Rabatten Ab heute gilt in MV die verschärfte Maskenpflicht – Das müssen Sie beachten Was mit den Kleidungsstücken nun passiert, sei noch völlig offen: „Sollte der Lockdown am 15. Februar enden, werden viele Händler versuchen, die Ware noch zu verkaufen – wenn auch zu Preisen, die nicht gewinnbringend sind“, so Petersen. Einige würden auch die Ware zu günstigen Preisen in der nächsten Saison noch einmal anbieten. „Zum Teil verkaufen Händler ihre Ware an Restpostenhändler. Das sind spezielle Zwischenhändler, die überschüssige Ware aufkaufen und zu oft sehr niedrigen Preisen im Ausland weiterverkaufen.“ Kleidung zu spenden, etwa an Bedürftige, sei dagegen schwierig. „Da steht oftmals das Steuerrecht im Weg“, erklärt Petersen. Denn auch wenn ein Unternehmen Ware spenden will, werde die Umsatzsteuer fällig. „Bei einer Jeans zum Verkaufspreis von 50 Euro können so beispielsweise Kosten von mehr als vier Euro entstehen.“ Von Axel Büssem