Ein Kleingartenverein geriet in die Fahrrad-Affäre der Leipziger Polizei

Manchmal passt eine eigentlich unglaubliche Nachricht so gut in den Verlauf der Dinge, dass man sie einfach glauben muss. Am Mittwochmorgen lautete sie: Die sächsische Polizei wehrt sich mit einer Anzeige gegen einen Reporter, weil der einen Skandal in ihren Reihen aufdeckte. Diesen Eindruck konnte man jedenfalls bekommen, als ein Redakteur der Morgenpost berichtete: Das LKA habe ihm mitgeteilt, dass gegen ihn „wegen des Verdachts der Verleumdung“ ermittelt werde. Ermittelt die sächsische Polizei gegen unliebsame Journalisten? Was, in der Tat, ein Skandal wäre. Jener Redakteur hatte Mitte Juni aufgedeckt, dass die Leipziger Polizistin Anke S. gestohlene und sichergestellte Fahrräder unter der Hand weiterverkauft haben soll. Meistens für 50 bis 100 Euro, an Kollegen und deren Verwandte. Dafür soll die 43-jährige Polizistin den Kleingartenverein ihres Vaters genutzt haben. Und nun ermittelt die Polizei gegen diesen Journalisten? Danach sah diese Meldung aus. Es wäre, ja: eine unglaubliche Geschichte. Für viele aber offenbar gar nicht so unglaublich. Denn auf Twitter brach ein Sturm der Häme und Entrüstung gegen die Polizei los. „Gilt in Sachsen noch die Pressefreiheit?“ fragte ein Dresdner Stadtrat. „Schützt die Pressefreiheit“, forderte ein Leipziger Journalist. Investigativ-Reporter, Uni-Mitarbeiter, Politiker, sie alle empörten sich über den Skandal. Der, allerdings, gar keiner ist. Denn nicht die Polizei hat den Redakteur wegen Verleumdung angezeigt. Sondern ein Kleingärtner. Ein Kleingarten, in dem mit Rädern gedealt wird: Frank Aster, gebürtiger Leipziger, ist ein Mann von 60 Jahren und seit zehn Jahren Vorsitzender des Gartenvereins „Freundschaft“ in Sellerhausen im Leipziger Osten. Ein schmuckes Stück Land, 128 Parzellen, direkt an der S-Bahn-Haltestelle. „Man erlebt als Vorsitzender ja allerhand“, sagt er, „aber das war die Krönung.“ Aster, der als Hausmeister an einer Schule arbeitet, hat in den letzten Tagen einiges an Aufmerksamkeit bekommen – für eine Sache, mit der er ursprünglich nichts zu tun hatte. Am Dienstagmorgen vor einer Woche fing alles an, da bekam Aster einen Anruf von einem Mitarbeiter des Stadtverbands der Kleingärtner. Und der fragte ihn, warum in seinen Parzellen mit Fahrrädern gedealt werde. Das habe er in der Morgenpost gelesen. „Ich bin erschrocken, bin sofort an der nächsten Tankstelle rangefahren und habe mir die Zeitung gekauft“, sagt Aster. „Man musste annehmen, dass wir gemeint sind“: Und tatsächlich las er darin die Geschichte über die Leipziger Polizistin Anke S., die gestohlene Fahrräder aus der Asservatenkammer an den Kleingartenverein ihres Vaters überführte – und von dort aus verkaufte. Der Name des Vereins: „Freundschaft“. Die illegalen Geschäfte seien folglich „im Namen der ‚Freundschaft’ gelaufen“, schreibt die Zeitung. Aster saß nun im Auto und grübelte. „Von unseren Vorsitzenden hat niemand eine Tochter Anke“, sagt er. „Einer hat eine Schwiegertochter Anke, aber die ist Ende 50, nicht bei der Polizei und wir kennen uns gut.“ Es gibt in Sachsen an die 20 Kleingartenvereine, die „Freundschaft“ heißen. In Leipzig gibt es nur den von Frank Aster. „Als Leser des Artikels, der ja von der Leipziger Polizei handelt, musste man annehmen: Wir sind gemeint“, sagt er. „Aber wir waren das nicht.“ Er sagte RTL, dass er der Falsche sei – sie kamen trotzdem: Es dauerte nicht lange, da klingelte Asters Handy wieder. Diesmal war RTL dran. „Die fragten, ob sie heute Nachmittag bei uns drehen könnten und ob ich ein Interview geben würde.“ Aster antwortete, er habe mit der Sache nichts zu tun. Das Kamerateam schlug trotzdem in seinen Gärten auf. „Da bekam ich es langsam mit der Angst zu tun“, sagt Aster. Er versuchte den Autor des Morgenpost-Artikels zu erreichen – vergeblich. Abends meldet sich der Schriftführer des Vereins bei Aster. Er habe, erzählt er, bei MDR Brisant ihren Kleingarten gesehen, samt Logo und Anschrift. In einem Beitrag über die Fahrrad-Deals der Leipziger Polizei. Die beiden entschließen sich, Anzeige wegen Verleumdung gegen die Morgenpost zu stellen. „Ich habe nicht die Öffentlichkeit eines Journalisten, aber irgendwas mussten wir ja tun“, sagt er. „Unsere Anwältin hat uns auch zugeraten.“ Aster fährt am nächsten Tag nach Sellerhausen in den Kleingarten und leert den Schaukasten, der davorsteht. In diesem sind auch die Namen seiner Mitglieder aufgeführt, zum Teil mit Adressen. Er hängt einen Zettel hinein, auf dem steht: „Die in den Medien erhobenen Vorwürfe gegen den Verein und den Vorstand entsprechen nicht der Wahrheit“. Aster überlegt auch, ob er das Vereinsschild abmontieren soll, verwirft die Idee aber wieder. In den nächsten Tagen geht Aster selbst in die Offensive. Er ruft Redaktionen in ganz Sachsen an, die BILD, auch die LVZ, um das Missverständnis aufzuklären. Die Zeitungen, auch wir, korrigieren ihre Fehler, der fragliche Kleingarten stünde in Leipzig. Auch der Morgenpost-Redakteur warnt seine Kollegen, ruft an. Asters Kleingartenverein ist da schon längst zum Zentrum des Polizeiskandals geworden. Das ZDF zeigt die Parzellen in Sellerhausen jetzt deutschlandweit. Und, für Aster am schlimmsten: Die Nachricht dringt zu seinen Mitgliedern durch. „Angst, dass der schwarze Block in unsere Parzellen marschiert“: „Ich bekam an die 20 Anrufe und Mails von zum Teil völlig aufgelösten Mitgliedern, was denn los sein“, sagt er. „Viele hatten von der Antifa-Demo in Connewitz gegen den Polizei-Skandal gehört – die hatten nun Angst, dass morgen der schwarze Block in unsere Parzellen marschiert und alles kurz und klein schlägt.“ Anonyme Absender fluteten sein Postfach mit scherzhaft gemeinten Anfragen, wo denn ihr Rad sei. Oder, ob er, Aster, noch welche zu verkaufen hätte. Während Aster das alles erzählt, steht er vor seiner Schule, es ist gerade Hofpause. Um ihn herum schreien Kinder, er seufzt. Dann sagt er: „Ich denke eigentlich, dass wir ein vorzeigbarer Gartenverein sind, dass wir gute Arbeit leisten. Wir haben keine leeren Gärten und sogar eine Warteliste. Hier sitzt jeder auf seiner kleinen Scholle und da ist man stolz drauf, da lässt man nichts rankommen.“ Und der Morgenpost-Redakteur? Auf Nachfrage der LVZ erklärt dieser, er habe von einem Dezernatsleiter des LKA von der Anzeige gegen ihn erfahren. Aber nicht, wer diese gestellt habe. Daher habe er es in seinem Artikel vom Mittwoch besonders vage gehalten, warum gegen ihn ermittelt werde. Und: Er sei überrascht gewesen. „Mir würde eine Entschuldigung reichen“: Dann sagt er noch: Er habe zwar gewusst, dass die Polizistin die Fahrräder an eine Kleingartenanlage namens „Freundschaft“ überschrieben habe. Nicht aber, wo diese sei. Daher habe er die Ortsangabe weggelassen. Mittlerweile, in einer überarbeiteten Version, steht sie dabei. Der gemeinte Verein sei in Pegau ansässig, einer Kleinstadt bei Leipzig. Der Vereinsvorsitzende Aster sagt: „Er hätte ja einmal bei mir anrufen können. Er hätte schreiben können, dass nicht die Leipziger Anlage gemeint ist, er hätte uns aus der Schusslinie nehmen können.“ Am 30. Juni ist Aster morgens um acht beim LKA in Dresden vorgeladen, da wird er hinfahren. Dass irgendwann tatsächlich ein Urteil gegen den Morgenpost-Redakteur gesprochen wird, glauben aber weder Kläger noch der Redakteur. „Mir würde eigentlich schon ein Dreizeiler als Entschuldigung reichen“, sagt Aster. „Den hänge ich dann in den Schaukasten vor unsere Gärten.“ Anmerkung: In einer vorherigen Version des Textes war bereits von einer Gerichtsverhandlung die Rede. Wir bitten den Fehler zu entschuldigen. Von Josa Mania-Schlegel