Festivalgelände sollen zu Pop-up-Campingplätzen werden

Nudeln mit Pesto, ein Kohlebagger im Rücken, einen See vor der Nase. Das Veranstaltungsgelände Ferropolis in Sachsen-Anhalt ist coronabedingt zu einem sogenannten Pop-up-Campingplatz geworden. Normalerweise strömen Zehntausende Musikfans wegen des „Melt!“- und „Splash“-Festivals herbei – die fallen dieses Jahr aber aus. „Mit diesem Experiment wollen wir auch Teile des ausgefallenen Festival-Geschäfts kompensieren“, sagt Ferropolis-Geschäftsführer Thies Schröder. Damit beteiligen sich die Verantwortlichen an einem bundesweiten Projekt des Hamburger Unternehmens „Pop-Up Camps“ um den Geschäftsführer Jobst von Paepcke, der sich wünscht, bis zu 50.000 Standplätze für Campingfans aus dem Boden zu stampfen. Bislang ist die Anzahl der Plätze überschaubar: Zum jetzigen Start des Projekts sollen Unternehmensangaben zufolge insgesamt 3000 bis 4000 Stellplätze an den verschiedenen Orten zur Verfügung stehen. Bliebe es dabei, wäre das im bundesweiten Vergleich eine überschaubare Anzahl. Laut Statistischem Bundesamt gibt es deutschlandweit rund 3000 Campingplätze mit 230.000 touristischen Standplätzen. Hinzu kämen geschätzt 3600 Wohnmobilstellplätze mit 60.000 Standplätzen, teilt der Bundesverband der Campingwirtschaft in Deutschland (BVCD) mit. Schlechte Zahlen wegen Corona: Ziel des neuen Projekts sei es, auf die Schnelle mehr innerdeutsche Plätze zu schaffen, auf denen coronasicher Urlaub gemacht werden könne. Anfang März ist von Paepcke selbst an Corona erkrankt, wie er erzählt. Eigentlich arbeite er als Filmproduzent etwa auf Festivals. Das Geschäft sei durch Corona jedoch nahezu komplett eingebrochen. „Wir haben uns im April darauf eingestellt, einen arbeitsarmen, aber dafür umso schöneren Sommer zu haben“, sagt er. Eigentlich habe er mit seiner Familie campen und surfen wollen, jedoch gemerkt, dass die Campingplätze sehr gefragt gewesen seien. Durch seine Arbeit auf Festivals weiß von Paepcke, dass die Veranstalter in der Lage seien, schnell eine temporäre Infrastruktur für Camper aufzubauen. „Wenn man denen ein Konzept gibt und zeigt, so geht es coronasicher, dann können die in sehr kurzer Zeit sehr viel Kapazität schaffen und sie haben die Flächen.“ Er habe Veranstalter angesprochen, und Ferropolis habe sofort zugesagt. Auch in anderen Bundesländern wie Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen können Stellplätze gebucht werden. Bei vielen großen Festivalbetreibern stößt das Vorhaben jedoch nicht auf offene Ohren: „Wir beteiligen uns nicht an Gimmicks. Das sind lediglich Beschäftigungstherapien“, teilen etwa die Veranstalter von „Rock am Ring“ und „Rock im Park“ auf Anfrage mit. Es brauche ein baldiges Wiedereinstiegsszenario, damit Veranstaltungen, die ins nächste Jahr verschoben wurden, auch tatsächlich so stattfinden könnten. Nicht alle sind begeistert: Die Organisatoren des „Wacken Open Air“ lassen mitteilen, dass sie „bisher keinerlei Überlegungen in dieser Richtung angestellt haben“. Für die Konzertproduktion FKP Scorpio – die unter anderem die Festivals „Hurricane“, „Southside“, „Highfield“ und „Deichbrand“ organisiert – kommt die Idee „aus unterschiedlichsten Gründen“ nicht in Frage. Bei der Eröffnung des Pop-up-Campingplatzes auf dem Veranstaltungsgelände Ferropolis zeigt sich Geschäftsführer Schröder zufrieden – bezeichnet das neue Geschäftsfeld als Lichtblick in wirtschaftlich schweren Zeiten. „An die Bagger wird man sich hoffentlich lange erinnern“, sagt er. Auf dem Gelände stehen fünf riesige Kohlebagger – Relikte aus einer Zeit „entfesselter Industriekräfte und Umweltsünden“, wie es auf der Homepage von Ferropolis heißt. Camping am See: Rund 60 Gäste seien, ohne die Aktion groß zu bewerben, bereits als Campinggäste gekommen. „Super“ findet Luis Stiefenhofer die neu geschaffene Campingmöglichkeit. Gemeinsam mit zwei Freunden habe er spontan im Internet von dem neuen Angebot erfahren. Aus München waren sie ihren Worten zufolge vorher an die Ostsee und nun nach Sachsen-Anhalt gefahren. Jetzt stehen sie mit ihrem Wohnmobil wenige Meter vom See entfernt. Diese Lage ist nur für Wohnmobile und -wagen vorgesehen, auf dem Gelände kann aber auch gezeltet werden. Das Konzept des bundesweiten Pop-up-Campings sei bislang jedoch vor allem auf Wohnwagen und Wohnmobile ausgelegt, da es für Zelte mehr Genehmigungsprobleme gebe, erklärt von Paepcke. Vorgesehen seien drei Kategorien: Zur Ersten gehörten Anbieter wie Ferropolis, die Festival-Gelände zur Verfügung stellen können. Zur zweiten Kategorie zählten bereits bestehende Stellplätze, die in das Angebot mit aufgenommen werden. Zudem können sich online auch private Anbieter wie Landwirte melden, die über das Unternehmen ihre Flächen zur Verfügung stellen – eine Art Airbnb für Camping. Auslastung noch nicht absehbar: Ob es im Sommer aber tatsächlich zu überfüllten Campingplätzen kommt, bezweifelt der BVCD. „Ein enormes Problem mit den Kapazitäten sehe ich bundesweit nicht“, betont der Geschäftsführer des Verbands, Christian Günther. Er sagt jedoch auch: „Regional kann es schon mal voll werden.“ An ihn sei aber noch kein Fall von Überfüllung herangetragen worden. Von LVZ