Bürgerhaushalt soll Menschen aktivieren

Porto Alegre gab den Impuls. Viele Kommunen in Brasilien folgten dem Beispiel der Millionenstadt. Bis die Idee quasi in alle Welt schwappte. Jetzt soll sie auch in Greifswald Realität werden: Die SPD-Fraktion des Stadtparlaments schlägt vor, einen Bürgerhaushalt zu etablieren. „Damit wollen wir eine größere Akzeptanz für den städtischen Haushalt erreichen, ihn transparenter machen und schließlich auch das Engagement von Bürgern aktivieren“, sagt Fraktionsvorsitzender Andreas Kerath. Bundesweit gebe es unterschiedliche Ansätze für einen Bürgerhaushalt. Möglich sei zum Beispiel, einen Betrag X in den städtischen Haushalt einzustellen, über den die Greifswalder nach einem Entscheidungsprozess verfügen können. Kerath hält diesen Weg nicht für optimal. Besser sei es, „die Menschen bei der Haushaltsdiskussion mitzunehmen, ihnen zu erklären, was wofür ausgeben wird und sie an der Entscheidungsfindung zu beteiligen“. Neben einer verständlichen Form der Internetpräsentation schweben den Sozialdemokraten auch vielfältige Informationsveranstaltungen vor. Ein Ziel dieses neuen Instruments sei es, „dass wieder mehr Menschen zur Wahlurne gehen, wenn denn die Tür nicht gerade zu ist“, sagt Kerath in Anspielung auf die Beanstandungen der Oberbürgermeisterwahl am 10. Mai (die OZ berichtete). Seit Jahren könne man in Greifswald die Tendenz erkennen, dass kommunalpolitische Beschlüsse kritisch hinterfragt und der legitime Versuch unternommen werde, Einfluss auf Entscheidungen zu nehmen. Jüngstes Beispiel: Die Zukunft der KAW-Hallen, die zum Einkaufstempel umgestaltet werden sollen. Betroffene nutzten ihre Beteiligungsrechte, gründeten eine Bürgerinitiative, verschafften sich in Versammlungen Gehör. Doch sehr viele Greifswalder würden weder ihre Beteiligungsrechte kennen noch davon Gebrauch machen. Deshalb seien neue Formen zu suchen und zu installieren. Markus Kolbe von der Bürgerliste indes hegt Zweifel am Sinn dieses Unterfangens: „Wo genau besteht der Bedarf für diesen Ansatz? Haushaltsdiskussionen sind doch immer öffentlich, die Menschen können sich mit ihren Ideen einbringen“, sagt er. Birgit Socher von den Linken hingegen kann sich durchaus für den Vorschlag der SPD erwärmen: „Für mich ist das ein Zugehen auf die Bürger“, sagt sie und plädiert dafür, Workshops zu veranstalten, um Ideen zusammenzutragen. Auch in der Stadtverwaltung „stößt der Bürgerhaushalt grundsätzlich auf Zustimmung“, versichert Fabian Feldt, Abteilungsleiter für Wirtschaft und Tourismus. Die Bereitschaft, dieses Instrument zu etablieren, sei vorhanden. „Allerdings wäre das die Kür. Unsere Pflichtaufgabe hingegen ist es, die Jahresabschlüsse fertigzustellen“, gibt Feldt zu bedenken. Aktuell seien die Kämmerer erst mit dem Jahr 2012 beschäftigt — eine Folge der sehr aufwendigen Einführung der doppelten Buchführung. Während Greifswalder Kommunalpolitiker sich erstmals gedanklich mit dem Bürgerhaushalt beschäftigen, haben die Cottbuser das Thema bereits wieder zu den Akten gelegt. „Vor zehn Jahren wurde darüber diskutiert“, erklärt Pressesprecher Peter Lewandrowski auf OZ- Anfrage. Es habe gute Ideen gegeben, die in die Arbeit eingeflossen seien, sagt er. Doch der Haushalt an sich werde nach wie vor nur in den Ortsräten, Fachgremien und in der Stadtvertreterversammlung beraten und beschlossen. Anders in Jena, wo der Bürgerhaushalt Ende 2006 als festes Instrument beschlossen wurde. Dort gibt es seither regelmäßig Bürgerversammlungen und -befragungen, vier Arbeitsgruppen zu unterschiedlichen Themen wurden installiert, Abstimmungsverfahren initiiert. „Der Bürgerhaushalt findet bei uns eine sehr gute Resonanz. Allein in diesem Jahr könnte die Beteiligung etwas besser sein“, zieht Jenas Pressesprecherin Barbara Glasser ein kurzes Resümee. Direkte Mitbestimmung Der erste Bürgerhaushalt wurde 1989 in Porto Alegre (Brasilien) entwickelt. Er stellt eine direkte Art der Bürgerbeteiligung dar. Die Kommune bemüht sich dabei um mehr Haushaltstransparenz und lässt die Bürger über Teile der frei verwendbaren Haushaltsmittel mitbestimmen. Über die Verwendung dieser Mittel verständigen sich die Bürger in einem beratschlagenden Prozess selbstständig, den die Verwaltung lediglich moderierend und beratend begleitet. In Deutschland stellten sich diesem Thema bereits Städte wie Leipzig, Berlin, Erfurt, Jena oder Münster. Petra Hase

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