Dem Herbst ‘89 auf der Spur

Die friedliche Revolution in der DDR war für Christel Fermum wie für viele andere Zeitzeugen ein einschneidendes Erlebnis. Zu den Widerstandskämpfern gegen das SED-Regime gehörte die damals 52-Jährige nicht. Doch als sie am 4. Dezember 1989 von der Besetzung der Stasi-Kreisstelle in der Domstraße 7 Wind bekam, wollte die Greifswalderin dabei sein. Mutige Bürger verhinderten in jenen Tagen, dass wichtige Dokumente beiseite geschafft oder verbrannt wurden. „Ich war zu jener Zeit nicht berufstätig und ließ mich deshalb auf die Liste der Freiwilligen für diese Aktion setzen“, blickt Christel Fermum zurück. Der heiße Herbst ‘89 — er jährt sich nun bereits zum 25. Mal. Grund genug für Hinrich Kuessner, ebenfalls ein Akteur dieser Stunde, an die zurückliegenden Ereignisse zu erinnern. „Das Interesse ist sehr groß“, berichtet der damalige Vorsitzende des Untersuchungsausschusses der Stadt Greifswald. Ein Gremium, dem über 60 Mitglieder angehörten, hat fast vier Monate gearbeitet, um das Gedenken vorzubereiten. Gemeinsam mit Christel Fermum und etwa zehn weiteren Mitstreitern bereitete Kuessner unter dem Dach des Greifswalder Bürgerhafens und mit Unterstützung der Bürgerstiftung für den 4. Dezember eine ganztägige Veranstaltung vor. Sie soll am Ort des Geschehens in der Domstraße 7 — dem heutigen Oberverwaltungsgericht — stattfinden. „Wir wollen darüber reden, wie wir den Herbst ‘89 erlebt haben“, sagt Kuessner und hofft auf viele diskutierfreudige Teilnehmer mit unterschiedlichen Ansichten. Der heute 71-Jährige möchte nicht nur zurückschauen, sondern auch Themen der Gegenwart und Zukunft aufgreifen. Stichwort: Edward Snowden. Eine Podiumsdiskussion wird sich deshalb um die Frage drehen: „Was macht, was kann, was darf ein Nachrichtendienst heute?“ Dazu konnte bereits Staatssekretär Günter Krings vom Bundesinnenministerium gewonnen werden. Ein anderer Gesprächskreis soll die Wechselbeziehungen von Geheimdienstarbeit und Datenschutz beleuchten. Neben dieser Veranstaltung liegt es Kuessner und seinen Mitstreitern am Herzen, möglichst viele Dokumente und Fotografien jener Zeit zu erhalten. Etliches ist bereits zusammengekommen. Briefe, Erinnerungen, Protokolle der Mensagespräche und anderes mehr sind im Internet schon nachzulesen. Weiteres soll folgen, sofern Greifswalder bereit sind, alte Dokumente zur Verfügung zu stellen. Christel Fermum ist wieder aktiv dabei. An der Besetzung der Kreisstelle des Ministeriums für Staatssicherheit (Stasi), die damals zwölf Tage dauerte, nahm sie nicht lange teil. Sie wurde an anderer Stelle dringender gebraucht, erledigte gemeinsam mit Kuessners Frau Gudrun ab 7. Dezember 1989 die Schreibarbeiten für den Untersuchungsausschuss. Der bekam kurzerhand im ehemaligen Büro der Nationalen Front sein Domizil — in der Domstraße 39. „Bis zum 9. Februar 1990 haben wir dort 86 Vorgänge registriert“, berichtet Fermum. Alles sei dokumentiert worden. Gekommen seien sowohl Opfer als auch Täter. „Ein Bürger belegte beispielsweise anhand von Fakten die Wahlfälschung vom 6. Mai 1989“, sagt sie. Ein anderer habe vor der Aufdeckung von Namen der Stasimitarbeiter gewarnt, um die Situation nicht eskalieren zu lassen. Eine Frau berichtete über konspirative Treffs der Ministeriumsmitarbeiter in der Lise-Meitner-Straße. „Und ein Stasi-Mitarbeiter beschwerte sich, dass er nun keinen Lohn mehr erhalte“, blättert Christel Fermum in ihren Dokumenten. Die zwei Monate seien für sie eine sehr bewegende Zeit gewesen. „Wir wussten nie, wer Freund, wer Feind war, der da zur Tür hereinkam“, erklärt sie. „Doch wir waren so begeistert, wussten, dass eine neue Zeit anbricht. Das hat uns getragen“, sagt Fermum, die dem DDR-Regimes eines nie verzeihen konnte: „Ich musste nach der 8. Klasse die Schule verlassen. Der Grund war, dass mein Vater eine kleine Bäckerei besaß.“ Ihr Traum vom Musikstudium war damit ausgeträumt. Erst viel später holte ihn die technische Zeichnerin und Facharbeiterin für Schreibtechnik mit einem Fernstudium nach. Der 4. Dezember Am 4. Dezember 1989 haben Bürger der Hansestadt die Kreisämter der SED und der Staatssicherheit besetzt. Aus diesem Anlass soll 25 Jahre später, am 4. Dezember 2014, an die Ereignisse in jenem Herbst erinnert werden. In der Domstraße 7, dem damaligen Stasigebäude und heutigen Oberverwaltungsgericht, sollen an jenem Tag Podiumsgespräche zu verschiedenen Themen stattfinden. Auch aktuelle Fragen, etwa zur Arbeit von Geheimdiensten, spielen eine Rolle. • Mehr Informationen auf: www.greifswald-1989-90.de Petra Hase

Greifswald - Dem Herbst ‘89 auf der Spur