Ein Jahr Theaterwerft Greifswald: Intendant ist wild entschlossen

Verrückter kann das erste Jahr eines aus der Taufe gehobenen Theaters wohl nicht verlaufen. Kaum feierte Initiator und Intendant Jens Hasselmann am 13. März 2020 mit „Novecento – der Ostseepianist“ die erste Premiere der Theaterwerft am Ufer des Rycks, versank seine Schöpfung zwei Tage später auch schon im Schließungsszenario der Corona-Pandemie. Was andere Start-up-Gründer womöglich zu purer Verzweiflung getrieben hätte, nahm der 55-Jährige mit stoischer Gelassenheit. Mehr noch. Der gebürtige Berliner, der erst vor knapp zwei Jahren mit seiner Frau und den drei Kindern in Leist ein neues Zuhause fand, bewahrt sich seinen Optimismus. Dank Corona-Hilfsfonds sei er bislang relativ gut durch die Krise gekommen. Doch nun müsse es endlich wieder losgehen. „Ich bin wild entschlossen. Immerhin hatten wir zwischen dem ersten und zweiten Lockdown zwölf Vorstellungen, die allesamt ausverkauft waren“, blickt er selig zurück. Coronabedingt durften zwar nur jeweils 30 statt 90 Gäste im Heineschuppen der Museumswerft Platz nehmen. „Aber ich werte das einfach als gutes Zeichen für die Zukunft“, sagt Hasselmann mit einem Augenzwinkern. Kultur vor maritimer Kulisse: Zukunft? Ja, klar! Die Theaterwerft hat Perspektive. Davon ist der Regisseur, Schauspieler, Musiker und Autor überzeugt. „Die Atmosphäre hier am Wasser mit den Segelschiffen im Blick, wenn die Zuschauer in der Pause draußen ein Gläschen Wein trinken, ist einfach wunderschön“, schwärmt er. Die Menschen, so seine Erfahrung der wenigen Aufführungen, hätten große Lust auf diese besondere maritime Kulisse in Kombination mit Kultur. Lasse es die Pandemie mit sinkenden Infektionszahlen zu, öffne sich der Vorhang zur nächsten Premiere am 30. April. Ein heimatliches Stück steht bevor: „Stundl am Meer – Die Freester Fischerteppichsaga Teil I“, nennt Jens Hasselmann sein neuestes Werk, geschrieben für sieben Darsteller. Er, der sich schon vor vielen Jahren ins raue Land am Meer verliebt hat und dessen Menschen mag, zeigt sich fasziniert von der Geschichte der Fischerteppiche. Sie zeuge nicht nur von viel Einfallsreichtum, sondern auch vom unbändigen Willen der kleinen Leute, das Schicksal in die eigene Hand zu nehmen und sich nicht unterkriegen zu lassen. Viele Einheimische kennen die Story, sie ist schnell erzählt. Saga über Fischerteppiche in zwei Teilen: Im Jahr 1928 wurde in der südlichen Ostsee ein dreijähriges Fischfangverbot verhängt. Grund waren die stark dezimierten Fischbestände, die sich in diesem Zeitraum erholen sollten. „Um die Fischer vor drohender Armut zu bewahren, kam der Greifswalder Landrat Werner Kogge auf die Idee, sie Teppiche kreieren zu lassen“, erzählt Hasselmann. Da sie geübt waren im Knüpfen und Flicken ihrer Fischernetze und Reusen, verfügten sie zweifelsohne über das hierzu nötige Geschick. Lesen Sie auch Der Ozeanpianist: Gelungene Premiere der Greifswalder Theaterwerft Greifswalder Theaterwerft: Start in Corona-Spielplan Also gab Kogge eine überregionale Zeitungsanzeige auf, mit deren Hilfe er einen Experten als Anleiter für die Fischer suchte. Am Ende machte das Rennen der österreichische Textilfachmann Rudolf Stundl. „Ein Wiener, der zuerst sicher große Schwierigkeiten hatte, das Plattdeutsche der Fischer zu verstehen“, mutmaßt Hasselmann mit einem Lachen und schlägt sich auf die Knie. Der ideale Plot für ein Theaterstück, findet er und sieht vor seinem geistigen Auge bereits die Darsteller mit ihren passenden Kostümen auf der Bühne und den fragenden Blicken wegen mangelnder Sprachkenntnis auf beiden Seiten. Profis der Plattdütsch Späldäl machen mit: Doch das Stück ist so viel mehr als kurzweilig vermittelte Heimatlegende. „Die Geschichte der Fischer hält uns gerade jetzt in der Pandemie vor Augen: Wenn du starr an den Dingen festhältst, gehst du in Krisensituationen unter“, sagt der Regisseur. Mut zur Veränderung sei nicht jedermanns Sache. Auch jetzt nicht. Aber notwendig zum Überleben, findet er. Für die Aufführung gewinnen konnte Hasselmann sieben Profis der niederdeutschen Bühne Plattdütsch Späldäl aus Stralsund. Aber keine Sorge: „Sie sprechen auch Hochdeutsch, nur passagenweise Platt“, verrät der Theatermann mit großer Vorfreude. Die Proben haben begonnen – coronabedingt erst einmal zu zweit. Ebenso wie weitere Vorbereitungen. Gern möchte der Intendant am Premierenwochenende eine kleine Ausstellung mit Freester Fischerteppichen im Foyer der Theaterwerft zeigen und sucht daher ab sofort Leihgaben. „Ich weiß, dass sich solche Exemplare noch im Besitz vieler Familien hier im Norden befinden. Vielleicht sind ja ein paar Zuschauer bereit, sie für diese kleine Schau kurzzeitig zur Verfügung zu stellen“, hofft Jens Hasselmann. Die jeweilige Geschichte des Teppichs soll dann unterhalb des Objekts auf Tafeln nachzulesen sein. Komödie folgt dann im Mai: Später soll übrigens ein zweiter Teil der Saga folgen – die Geschichte der Fischerteppiche in der NS- und DDR-Zeit. Aber das ist Zukunftsmusik. Anders die turbulente Komödie mit dem Titel „Hafen der Ehe“, deren Premiere für Mai geplant ist. Wie 2020 sollen alle Aufführungen immer freitags und sonnabends einen festen Platz im Kalender finden. Denn unter Woche nutzen natürlich die Mitstreiter der Museumswerft weiterhin den Heineschuppen zum Werkeln an Schiffen oder deren Zubehör. Hasselmann liebt diese Geräusche und den Duft von Holz. Kein Wunder, hat er doch zunächst das Tischlerhandwerk erlernt, bevor er sich in Studien den schönen Künsten widmete. Von Petra Hase