Eine Frau hätte bessere Chancen

Zwei Buchstaben mit Punkt vor dem Namen erhöhen die Chancen, gewählt zu werden. „Mit Doktortitel sind die Aussichten besser, zeigen Studien zu den Bundestagswahlen“, sagt Philipp Harfst. Er ist Juniorprofessor für Methoden der Politikwissenschaft und das politische System der Bundesrepublik Deutschland in Greifswald. Mit ihm sprach die OZ über Chancen und Möglichkeiten der beiden Favoriten für die Oberbürgermeisterwahl im April: Stefan Fassbinder und Jörg Hochheim. Ein Punkt geht damit an den Bewerber der Grünen, SPD, Linken und Piraten, den promovierten Historiker Stefan Fassbinder. Allerdings hat er keine Verwaltungserfahrung — ein Punkt beim Wahlvolk für den Bausenator und CDU—Kandidaten Jörg Hochheim, der die unterbrochene Reihe der christdemokratischen Verwaltungschefs seit der Wende fortsetzen will: Reinhard Glöckner, Joachim von der Wense und Artur König. Alles Männer. Dieses Mal tritt, anders als bei den Wahlen zuvor, keine Frau an. Die aktuelle Bürgerschaftspräsidentin Birgit Socher (Linke) kann aus Altersgründen nicht erneut ihren Hut in den Ring werfen. Jüngere Frauen, denen die Parteien Chancen einräumen, sind offenbar nicht da. Nur ein Mann, der Linke-Fraktionschef Jörn Kasbohm, erwog noch die Kandidatur. Schade. „Eine Frau hat in Deutschland bei der Wahl bessere Chancen“, stellt der Professor mit Hinweis auf eigene Studien fest. Dass vier Parteien, und zwar jede für sich, den Grünenpolitiker Fassbinder als ihren eigenen Mann nominiert haben, dass findet Harfst nicht ungewöhnlich. Denn den großen Unterschied zum bloßen Aufruf, Fassbinder zu wählen, kann er nicht erkennen. „Seine Kandidatur ist ja die große Chance, für das linke Spektrum, die CDU-Vorherrschaft zu beenden“, sagt er. Den Christdemokraten fehle 2015 der Bonus des Amtsinhabers. Das Bündnis der Parteien sei politisch vernünftig, weil die eigenen Anhänger besser mobilisiert würden. Dass ausgerechnet im Wahlkreis des sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Erwin Sellering, der gemeinsame Kandidat nicht von der SPD gestellt wird, das sei ungewöhnlicher als der Vierfach-Kandidat Fassbinder, betont Harfst. Ein Ostbonus für Jörg Hochheim gegenüber dem gebürtigen Münchener Stefan Fassbinder? Daran glaubt Harfst nicht. Denn die klassische Ostpartei, die Linke, unterstütze ja den Historiker. Außerdem lebe dieser seit langem in Greifswald. Im studentischen Milieu werde Fassbinder sogar mehr Stimmen sammeln, weil er in seinem Leben schon herumgekommen sei, so Harfst weiter. „Es wird eine sehr spannende Entscheidung“, schätzt der Wissenschaftler ein. Einen Tipp gebe er grundsätzlich nicht ab, wehrt der Professor ab. Mitentscheidend sei, inwieweit die CDU ihre Anhänger mobilisieren könne. Dafür seien die „Köpfe am Laternenpfahl“ und Informationsstände ein gutes Mittel. Faltblätter hält Harfst dagegen für wenig wirkungsvoll. „Die liest doch keiner“, sagt er. Neben den Medien würde das Internet vor allem bei den unter 60—Jährigen immer wichtiger, schätzt er ein. Besonders für die, die politisch interessiert sind. Und der in den USA so populäre Auftritt in Familie? In den Vereinigten Staaten müsse ein Kandidat verheiratet und heterosexuell sein, sagt Harfst. In Deutschland sei das anders, wie gerade erst wieder der Erfolg von des offen schwul lebenden Silvio Witt zeigte. Er ist der Gewinner der ersten Runde der OB-Wahl in Neubrandenburg. „Vielleicht bringen Aufnahmen mit Familie schöne Bilder, aber einen großen Effekt haben sie nicht“, meint Harfst. „Und wenn, dann eher im konservativen Milieu.“ Besonderer Humor Björn Wieland studiert an der Uni auf Lehramt. Er ist gewählter Senator der Universität, Mitglied des Studierendenparlaments und auch noch Landesvorsitzender der Partei für Arbeit, Rechtsstaat, Tierschutz, Elitenförderung und basisdemokratische Initiative (Die Partei), deren Hochburg in MV Greifswald ist. Wer den Humor der Satirezeischrift Titanic mag, der kann sich mit dem etwas anderen Wahlkampf von Die Partei anfreunden, meint Philipp Harfst zu diesem Kandidaten. Zwei Kostproben: Zum Frauentag grüßte Wieland die kochenden und Auto waschenden „alten Frauenversteher“ Fassbinder und Hochheim im sozialen Netzwerk Facebook aus dem Stripklub (sagt er) und verkündete, dass Autowaschen nur für Frauen diskriminierend sei. In dieser Woche war Wieland mit den anderen Kandidaten bei den EWN-Senioren und kommentiert: „Abermals glänzte ich durch knappe, schwammige Antworten auf die unzähligen Fragen der Gäste.“ 175 Nutzer sagen zur Seite „Björn Wieland — unser OB“: gefällt mir. Auch wenn er es nicht ins Rathaus schafft: Björn Wieland wird für Die Partei schon Stimmen holen, schätzt Harfst ein. Eckhard Oberdörfer

Greifswald - Eine Frau hätte bessere Chancen