Einsamkeit und Überforderung: Corona nervt Greifswalder Studierende

Der zweite Lockdown ist in vollem Gange. Das ist auch deutlich an der Greifswalder Universität zu spüren, die noch bis mindestens 31. Januar weiterhin mit nur wenigen Ausnahmen auf die digitale Lehre setzt. Auch Prüfungen sollen nun größtenteils ins Netz verlagert werden. Bibliotheken und Mensen bleiben für den Publikumsverkehr geschlossen und setzen auf kontaktlose Ausleihe und Essen zum Mitnehmen. Ausgiebige Partys in Studentenclubs? Auch das liegt noch in weiter Ferne. Maßnahmen haben weitreichendere Folgen für Studierende: Was nach eindeutigen Maßnahmen klingt, um mögliche Ansteckungen mit dem Coronavirus zu unterbinden, hat für viele Studierende weiter reichende Folgen: Nicht nur mit Einsamkeit und sozialer Isolation haben so einige angehende Akademiker derzeit zu kämpfen. Auch existenzielle Ängste und Schwierigkeiten im Alltag durch die weggebrochenen Strukturen werden zu Begleiterscheinungen, wie das Studierendenwerk beobachtet. Seit den Wintermonaten werden die psychologischen Beratungsstellen der Hochschuleinrichtung vermehrt in Anspruch genommen. Das sei zwar nicht unüblich für diese Jahreszeit, wie sich bereits in den vergangenen Jahren gezeigt habe. „Allerdings kommen nun für einige Studierende noch die zusätzlichen Schwierigkeiten durch die Pandemie hinzu“, sagt Nele Reidenbach, Sprecherin des Studierendenwerks. Auch die anonyme Telefonseelsorge „Nightline“, die sich speziell um die Sorgen und Nöte von Studierenden kümmert, berichtet von einer Zunahme von Anrufen in den vergangenen Monaten. So hätten sich die Beratungsgespräche im Sommersemester fast verdoppelt. Im Vordergrund stehen bei den Hilfe suchenden Studierenden weiterhin Themen wie Beziehungen, Freunde sowie Job und Studium im Vordergrund. „Allerdings hat Corona die Probleme noch verschärft. Vor allem durch die Kontaktbeschränkungen und den fehlenden Austausch mit den Kommilitonen“, sagt Veronique von „Nightline“. Doch die Pandemie brachte auch etwas Positives mit sich: „Wir haben 25 Neumitglieder, die zu uns gekommen sind, um andere Studierende in der Corona-Zeit zu unterstützen.“ Studentisches Leben fehlt: Die Studienberatung hingegen habe vor allem Nachfragen von Erstsemesterstudierenden, die mit der reinen digitalen Lehre Schwierigkeiten haben, sagt Uni-Pressesprecher Jan Meßerschmidt. „Zum einen gibt es Studierende, denen es schwerfällt, das selbstständige Lernen für sich zu organisieren. Zum anderen gibt es Studierende, die sich nicht die nötigen Entspannungspausen gönnen und sieben Tage pro Woche am Lehrstoff arbeiten.“ Mina Dressler fehlt das normale studentische Leben. Die 28-Jährige studiert Geschichte und Deutsch auf Lehramt. Sie vermisst den persönlichen Austausch mit ihren Freunden zwischen den Vorlesungen und auch die studentische Kultur. „Aber Personenschutz geht vor. Auch wenn es gerade für alle eine schwierige Zeit ist. Vor allem für viele Erstsemester, die vielleicht kaum Leute kennenlernen konnten.“ Mit der digitalen Lehre hat sie sich arrangiert. Phasenweise gebe es allerdings Tage, an denen sie sich nur schwer motivieren könne. Das kenne sicherlich jeder Studierende, sagt Dressler. Ähnlich sieht es auch ihr Freund Tom Güldner, der gerade dabei ist, seinen Master in Psychologie zu machen. „Zur Uni zu gehen, stellt für mich auch Motivation dar. Alles in den eigenen vier Wänden zu machen, ist natürlich schade, weil es mit der Konzentration schwieriger ist.“ Doch auch er habe sich mittlerweile an das digitale Studieren gewöhnt. Lesen Sie auch Studenten der Uni Greifswald blicken auf Onlinesemester zurück Greifswalds virtuelle Universität: Eine Chance in der Krise Greifswalder Dozent: Darum gibt es zu Corona Verschwörungstheorien Überbrückungshilfe legt strukturelle Armut unter Studierenden offen: Die beiden hatten Glück: Während der 22-Jährige nebenher als selbstständiger Tontechniker durch die Betreuung von Streaming-Diensten sogar mehr Aufträge bekommt, hat seine Freundin Mina Dressler während der Pandemie einen Job als Tutorin an der Uni ergattern können. Anders sieht es hingegen bei Studierenden aus, die in Bars oder im Kino jobbten. Sie erhalten vom Bund eine Überbrückungshilfe, die noch bis Ende März dieses Jahres läuft und bei der sie monatlich 500 Euro Unterstützung erhalten. Das hiesige Studierendenwerk setzt die Überbrückungshilfe des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) für die Standorte Greifswald, Stralsund und Neubrandenburg um. „Eine bittere Erkenntnis, die die Überbrückungshilfe allerdings offengelegt hat und die auch unseren Dachverband, das Deutsche Studentenwerk beschäftigt, war die Tatsache, dass es eine strukturelle Armut unter Studierenden in Deutschland gibt, die nicht pandemiebedingt ist“, wie Nele Reidenbach erklärt. So mussten die Mitarbeiter Anträge von Studierenden ablehnen, die zwar mittellos sind, aber deren Bedürftigkeit schon vor der Pandemie bestand. „Solche Anträge abzulehnen, fällt uns natürlich sehr schwer.“ Studierende, die pandemiebedingt ihren Nebenjob verloren haben, deren Stunden deutlich reduziert wurden oder die nachweislich aufgrund der Pandemie keinen Job finden konnten, erhalten Überbrückungshilfe. Gleiches gilt für Studierende, deren finanzielle Unterstützung der Eltern aufgrund der Pandemie, zum Beispiel durch Kurzarbeit, wegfällt. Von insgesamt 883, die das Greifswalder Studierendenwerk seit Juni bearbeitet hat, wurden 313 abgelehnt. 454 Anträge wurden positiv beschieden, 116 befinden sich noch in Bearbeitung. Zusätzlich finanzielle Hilfe gab es bereits Ende April durch einen Nothilfefonds des Greifswalder Studierendenwerks, der sich aus Spenden zusammensetzte. Bei diesem beträgt der Zuschuss 200 Euro monatlich. Genehmigt und ausgezahlt wurden bereits 200 Nothilfeanträge. Von Christin Lachmann