Faktencheck: Darum ist die Inzidenz in Vorpommern-Greifswald hoch

Vorpommern-Greifswald steht wegen seiner hohen Corona-Inzidenzzahlen seit Wochen im Fokus. Mittlerweile ist der Kreis von Platz fünf der bundesweit höchsten Zahl der Neuinfektionen je 100 000 Einwohner auf Rang zwölf gefallen. Während wir bei 149 (Stand Dienstag 17 Uhr) liegen, beträgt der Bundesdurchschnitt 60,5. Warum ist ausgerechnet unser Landkreis so stark betroffen? Die OZ macht den Faktencheck: Der Kreis ist zu langsam in der Nachverfolgung von Kontakten: Es dauert in Vorpommern-Greifswald mehrere Tage, bis die Ermittler des Gesundheitsamtes nach einer positiven Testung die Personen von der Kontaktliste anrufen. In Einzelfällen sind zwischen positivem Test und erstem Anruf sechs Tage vergangen. Bis alle Erstkontakte abtelefoniert wurden, hat es im Fall einer Greifswalder Firma neun Tage gedauert. Alle anderen Landkreise in MV geben an, die Erstkontakte innerhalb eines Werktages anzurufen. Dass Vorpommern-Greifswald dies schon im Dezember nicht mehr leisten konnte, kann zu einer Verschleppung der Kontakte führen. Bekannt ist ebenfalls, dass Einwohner zunächst die Aussage bekommen haben, sie seien kein Erstkontakt und müssten nicht in Quarantäne, was dann aber später widerrufen wurde. Fakt ist allerdings auch, dass kein anderer Landkreis in MV so viele Kontaktverfolger im Einsatz hat wie Vorpommern-Greifswald. 200 Mitarbeiter, davon 30 Bundeswehrsoldaten, sind nach Aussage von Kreissprecher Achim Froitzheim damit beschäftigt, die Kontakte nachzuverfolgen. Die Menschen halten sich nicht an die Corona-Regeln: Nach Aussage von Emil Reisinger, Rostocker Tropenmediziner und Berater der Landesregierung, stammen aktuell zwei Drittel der Infektionen in Vorpommern-Greifswald aus dem privaten Bereich, kommen also durch Treffen von Familien und Freunden zustande. Das Verhalten der Menschen sieht er damit als Hauptgrund für die hohe Infektionsrate an. „In dem Moment, wenn man Abstand hält und Maske trägt, kann nichts passieren“, betont Reisinger. Landrat Michael Sack (CDU) hatte bereits vor einiger Zeit eingeräumt, dass die positiv getesteten Personen offenbar nicht wahrheitsgemäß alle Kontakte angegeben hatten. Das führe dazu, dass der Landkreis immer wieder von Infektionen überrascht werde. Die Inzidenz ist bei uns hoch, weil die AfD hier viele Anhänger hat: Bereits seit einigen Monaten wird der Zusammenhang zwischen hohen Corona-Inzidenzen und einem hohen AfD-Wähleranteil untersucht. Es wurde bereits mehrfach nachgewiesen, dass die Infektionsraten besonders hoch sind in Regionen, in denen die AfD einen großen Zulauf hat. Das würde auch in Vorpommern-Greifswald passen, wo die AfD bei der letzten Bundestagswahl die einzigen drei Direktmandate in MV errungen hat. Allerdings warnen Wissenschaftler davor, die beiden Werte in Zusammenhang zu bringen. Es könnte sich auch um einen Zufall handeln. Fakt ist lediglich, dass es unter den Anhängern der AfD einen hohen Anteil an Corona-Kritikern gibt, die die Maßnahmen teils ablehnen. Beispielsweise sorgte der AfD-Parteitag in Grimmen vor anderthalb Wochen für Aufregung, weil die Teilnehmer dort keine Maske trugen. Bei uns wütet die aggressive britische Corona-Mutation: Das ist nicht erwiesen. Im Landkreis Vorpommern-Greifswald wurden Anfang Februar die ersten englischen Mutationen nachgewiesen. Ob diese deutlich aggressivere und schneller übertragbare Corona-Mutation der Grund dafür ist, dass die Fallzahlen im Landkreis so hochgeschnellt sind und hoch bleiben, lässt sich derzeit nicht sagen. Die Ergebnisse einer entsprechenden Studie am Uniklinikum Greifswald lassen sich bislang nicht auf die Kreisebene herunterbrechen. Die vielen Ausbrüche in Pflegeheimen sind die Ursache: Nein, die aktuell hohe Inzidenz lässt sich dadurch nicht erklären. Derzeit gibt es nach Angaben von Kreissprecher Achim Froitzheim keine Ausbrüche in Alten- oder Pflegeheimen. Vor wenigen Wochen sah das noch anders aus. Da trieben etliche Ausbrüche in Pflegeheimen die Infektionen nach oben. Anfang Dezember gab es 66 Fälle in einer Ahlbecker Reha-Klinik, 64 Infizierte in einem Pflegeheim in Strasburg kurz vor Weihnachten, 76 Fälle in einem Ueckermünder Pflegeheim Anfang und Mitte Januar. Es folgten 52 Fälle in einem Anklamer Pflegeheim Anfang Februar. Auf der Peene-Werft in Wolgast infizierten sich seit Mitte Januar 33 Personen mit dem Virus, am Klinikum Karlsburg gab es im Februar 58 Fälle. Der Landkreis kontrolliert die Heime schlechter als andere Kreise: Stimmt nicht. Die Landkreise haben die sogenannte Heimaufsicht und sind damit zuständig, die Einhaltung der gesetzlichen Regeln zu kontrollieren. Eine vergleichende Presseanfrage an alle Kreise in MV ergab, dass kein Kreis zusätzliche Corona-Kontrollen durchführt, sondern lediglich im Rahmen der allgemeinen Kontrollen Hygienekonzepte und Ähnliches prüft. Nach Angaben von Achim Froitzheim wird ein Heim im Schnitt zwei Mal im Jahr kontrolliert. Die Vorgaben, wie oft Mitarbeiter und Patienten in Heimen getestet werden müssen, sind in der Corona-Landesverordnung geregelt. Erst im Februar hat das Land die Testpflicht von zwei Tests pro Woche auf drei erhöht. Zu diesem Zeitpunkt hatte Vorpommern-Greifswald längst eine höhere Testpflicht per Allgemeinverfügung angeordnet. In Heimen, in denen es bereits einen Corona-Fall gab, müssen die Mitarbeiter täglich getestet werden, in Heimen ohne Fälle alle zwei Tage. Hätte es diese Verordnung bereits im Dezember gegeben, hätten etliche Fälle verhindert werden können. Landrat Sack nimmt Corona nicht ernst: Der Vorwurf wird von seinen politischen Gegnern gerne verbreitet. Immerhin ist Landrat Sack CDU-Landesvorsitzender und CDU-Ministerpräsidentenkandidat und es ist Wahljahr. Öffentlich ist Sack deswegen bemüht, sich von seiner Kontrahentin, der Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD), abzugrenzen, und kritisiert die Maßnahmen des Landes gerne als zu streng. Beispielsweise preschte er Anfang Februar mit der Forderung vor, die Friseure mögen in MV bereits Mitte Februar öffnen. Nun ist es allerdings so, dass wegen der hohen Inzidenz im Kreis ausgerechnet hier die Friseure möglicherweise am längsten geschlossen bleiben müssen. Ob die Friseure in Vorpommern-Greifswald, wie im Rest von MV am 1. März öffnen dürfen, entscheidet am Mittwoch das Land. Lesen Sie auch Schulöffnung: Wie lange muss Vorpommern-Greifswald unter 150 sein? Warum die Vorpommern-Landkreise so unterschiedliche Corona-Werte haben Hohe Inzidenz: Keine Corona-Lockerungen in Vorpommern-Greifswald Berufspendler aus Polen haben die Infektionen eingeschleppt: Die circa 2000 Berufspendler aus Polen galten vor einigen Wochen als ein Grund für die hohen Infektionszahlen. Lange Zeit waren die Infektionszahlen in Polen deutlich höher als bei uns. Mittlerweile ist das aber nicht mehr der Fall. Die verschärften Grenzkontrollen könnten ebenfalls dazu beigetragen haben, dass die Infektionszahlen in den unmittelbaren Grenzregionen längst abgenommen haben. Von Katharina Degrassi