Freizeittipp: Deutsche Geschichte erleben in Bandelin und Vargatz

Mehrfamilienhäuser für Dörfer der DDR, ein Wohnblock, Eigenheime, auch Ruinen – auf den ersten Blick ist Bandelin für Besucher wahrscheinlich nicht besonders anziehend. In den letzten Jahrzehnten wurde viel historische Substanz beseitigt und ein Plan zur Entwicklung des alten Zentrums des Gutsdorfes offensichtlich nicht gefasst. Aber ein genauerer Blick lohnt, um die Zeugnisse einer interessanten Geschichte im Dorf zu besuchen. Zumal der Ort unter anderem dank des TÜV Nord und der Berufsfachschule mit Internat sowie der großen Milchviehanlage auch heute noch wirtschaftliche Bedeutung besitzt. Ein Kolonialpolitiker und Kammerherr: Um sich auf die Spuren der Geschichte zu begeben, sollte man von Greifswald die zweite Ausfahrt Richtung Jarmen, also den Heckenweg mit seinem historischen Kopfsteinpflaster, nehmen. Am Eingang steht ein Wegweiser-Obelisk von 1865. Das ist das Jahr, in dem Felix Wilhelm Leonhard von Behr (1834 bis 1894) aus Anlass der 50-jährigen Zugehörigkeit zu Preußen in den Freiherrenstand erhoben wurde, 1878 wurde er Graf. Felix von Behr gründete einen mit Stresow verknüpften Fideikommiss, eine Stiftung, die nicht geteilt werden durfte. Zwischen 1860 und 1870 ließ er einen neuen Wirtschaftshof und auch neue Landarbeiterhäuser errichten. Felix von Behr war Kammerherr und hielt sich viel in Berlin auf. Er machte sich als Kolonialpolitiker einen Namen und gründete mit Carl Peters die Deutsch-Ostafrikanische Gesellschaft. Schloss wurde mit Versicherungsgeldern gebaut: Am Heckenweg sind am früheren Marstall noch Teile der auf Felix von Behr zurückgehenden Bausubstanz eines Feldsteinbaus mit Klinker-Schmuckfriesen erhalten, die vor 150 Jahren Bandelin prägten. Am Ende des Heckenwegs steht das meist Schloss genannte neubarocke Herrenhaus. Es diente nach der Enteignung der Familie von Behr im Zuge der Bodenreform 1945 viele Jahre als Kinderheim, wurde nach der Wende schließlich privatisiert und aufwendig saniert. Das Schloss wurde im Auftrag von Felix Wilhelm von Behr 1928 bis 1930 gebaut, und zwar mit Geld, das Versicherungen nach dem Brand des alten Herrenhauses aus dem 18. Jahrhundert zahlen mussten. Symbolik des Arbeiter- und Bauernstaats am Kuhstall: Vom früheren Wirtschaftshof ist nicht sehr viel geblieben. „Eiserne“ Jahreszahlen an den verbliebenen Gebäuden erinnern an die Erbauungszeiten wie 1864 an der großen Scheune, die der TÜV nutzt. Leider verfällt eines der herausragenden Denkmale im Norden der DDR der 1950er Jahre. Es ist das am 1. November 1953 eingeweihte Kulturhaus „Johannes R. Becher“ des Kreises Greifswald mit dem Relief des Kulturministers und Dichters der Nationalhymne des Arbeiter- und Bauernstaates. Den symbolisiert das Sgraffito im Giebeldreieck. Links steht eine Arbeiterin, rechts eine Bäuerin, in der Mitte reichen sich ein Arbeiter und ein Bauer die Hand. Ein Hinweis auf die Intelligenz wie im 1955 eingeführten Staatswappen (der Zirkel) fehlt. Das bis Mai 1953 verwendete Emblem zeigte nur Hammer und Ährenkranz. Becher war bei der Einweihung anwesend. Das in der Stalinzeit gebaute Kulturhaus des Kreises Greifswald ist ein gutes Beispiel der Fortführung von Bautradionen der NS-Zeit in den 1950er Jahren. Wir folgen nun der Straße „Am Kanal“, gelangen so in den Bereich des historischen, weitläufigen Parks. Der Kanal, an dem man vorbeikommt, soll schon im 18. Jahrhundert angelegt worden sein und gehört zu den Wasserflächen, die dem Gelände den besonderen Reiz verleihen. In diesem Bereich südlich des Dorfs steht das alte Herrenhaus, nur etwa 50 Meter entfernt vom neuen, das vereinfacht und verkleinert wieder aufgebaut wurde. Nach 1945 diente es bis 2002 als Schule. Am zweiten Wegweiser-Obelisken vorbei, erreicht man die Gützkower Straße Richtung Vargatz, historisch ebenfalls Besitz der Familie von Behr. Großsteingrab stand Industrialisierung der Landwirtschaft im Weg: Am Ortseingang befindet sich ein Großsteingrab der Jungsteinzeit, das in der DDR hierher versetzte wurde. Um große Flächen für die industrielle Landwirtschaft der DDR zu schaffen, beantragte die Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft (LPG) Gützkow 1977 die Demontage. 1980 erfolgte eine Ausgrabung, fünf Jahre später die Versetzung an den heutigen Ort. Davor waren die Steine einfach nur als Haufen abgelegt worden. Lesen Sie auch Freizeittipp rund um Greifswald: Auf Tour durch Kemnitz und Hanshagen Ludwigsburg: Ausflug in die Natur und die pommersche Geschichte Greifswalder Geschichte am Weg nach Eldena: Freizeittipp Vor der Anlage steht ein Stein mit lateinischer Inschrift, die auf Deutsch heißt: „An dieser Stelle der Behren letzter. Dieser Hügel wie ihn geschont haben die Behren, so schont auch ihr ihn.“ Wohl weil 1954 die Inschrift von Scharfmachern als Huldigung des Adels missverstanden wurde, zerstörten sie die Anlage. Aber insbesondere Mitglieder der Bandeliner Kulturbundgruppe richteten die Steine wieder auf. Gräber der Familie von Behr erzählen Geschichte: Das im 18. Jahrhundert errichtete Vargatzer Herrenhaus wurde ab 1999 abgerissen. Geblieben sind nur nach 1848 errichtete und sanierte Anbauten. An diesem Gebäude vorbei führt durch den Wald ein Weg zu dem Friedhof mit bemerkenswerten Grabdenkmalen. In der Mitte befindet sich, umgeben von vier Linden, die Grabplatte für den „Königlichen Landesdirector“ Felix Gustav von Behr (1746 bis 1846). Besondere Beachtung verdienen die „Kopfsteine“, Findlinge, die auf Gräbern armer Leute die Stelle des Grabmals einnehmen. Viele Grabkreuze der Familie von Behr erzählen Geschichte, einige seien erwähnt. Juliane von Behr (1792 bis 1847) zum Beispiel entstammte der Wolgaster Familie Homeyer. Ihr Sohn Friedrich Carl Gustav Felix von Behr (1821 bis 1892) heiratete seine Cousine Marie Homeyer (1828 bis 192o). Das Geld ihres reichen Vaters, des Wolgaster Großkaufmanns Wilhelm Homeyer, war eine Grundlage für umfangreiche Investitionen in die Güter Schmoldow und Vargatz, die wiederum höhere Einnahmen bewirkten. Die Söhne des Paares starben früh. Friedrich Felix von Behr (FFvB) ist der auf der Tafel am Großsteingrab erwähnte letzte der Behren. Sein Nachfolger in Vargatz Oskar von Nolte (1835 bis 1913, Mann von Tochter Julie (1849 bis 1918) ließ die Inschrift anbringen. Das Gut verpachtete er. Imker und Vorsitzender des Deutschen Fischereivereins: Der erwähnte Friedrich Felix von Behr war unter anderem Mitglied des Reichstages, war international vernetzt, Vorsitzender des Baltischen Zentralvereins für Bienenzucht und Vorsitzender des Deutschen Fischereivereins, ein innovativer Landwirt, der als erster in Deutschland Felder dränieren ließ. Auf seinem Grabkreuz steht kein Freiherren- oder Grafentitel. Im Gegensatz zu seinen Behrenhoffer und Bandeliner Verwandten lehnte er die Standeserhöhungen ab. Besondere Landarbeiterhäuser: Auf dem Rückweg nach Bandelin ist im Wald (er ist Teil des Gutsparks) der Friedhof mit dem 1922 gebauten Mausoleum der Familie von Behr sehenswert. Die Särge wurden 1945 für die Überführung sowjetischer Offiziere verwendet. Begräbnisorte der Gutsherren In Bandelin über die Neue Straße zurückgekehrt, geht es in den Lindenweg zu den Resten des „Vierecks“, das wie der Wirtschaftshof denkmalgeschützt ist. Die Anlage soll auf der Pariser Weltausstellung als vorbildlich bezeichnet worden sein. Nur noch drei der ursprünglich vier 1866 errichteten Landarbeiterhäuser stehen noch. Zum Teil wurden an den verbliebenen Gebäuden die Steinoberflächen verputzt. Der Innenhof des Vierecks war nur über einen gemeinsamen Eingang zu erreichen, Eingänge zu den Wohnungen gab es nur hier. Es heißt, dass der Lehrer der kleinen Schule in der Südostecke eine Aufsicht über den Aus- und Eingang ausübte. Von Eckhard Oberdörfer