Gigantomanie und fortschrittliche Klinik

Medigreif lässt derzeit prüfen, ob das frühere Luftwaffenlazarett in der Pappelallee 1 Chancen auf den Status als Unesco-Welterbe hätte — und stößt damit auf viel Beachtung, nicht nur in Greifswald. Der Bernauer Bauingenieur Dr. Manfred Hübler etwa wünscht den Greifswaldern viel Erfolg. „Die neuen Aktivitäten zum ehemaligen Luftwaffenlazarett und jetzigem Gesundheits- und Sozialzentrum sind ein weiterer interessanter Vorstoß zur Bewertung von kulturhistorischen Baudenkmälern“, schreibt Hübler an die OZ. In seiner Heimatstadt kämpfe man seit Jahren um die Anerkennung der 1930 fertiggestellten Bundesschule des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes im Bauhausstil als Weltkulturerbe. Der Greifswalder CDU-Landtagsabgeordnete Egbert Liskow will Medigreif auf dem langen, schwierigen Weg unterstützen. Damit das Projekt auf die deutsche Vorschlagsliste kommt, muss zunächst MV das Luftwaffenlazarett nominieren. Dann müssten die Kultusminister abstimmen. „Eine Aufnahme des Gebäudekomplexes in die Liste der Unesco als Weltkulturerbe wäre nicht nur für Greifswald eine tolle Sache, sondern für die gesamte Region Vorpommern“, meint Liskow. Das würde den „außergewöhnlichen universellen Wert dieses Gebäudes untermauern.“ Und eine weitere Welterbestätte würde MV bereichern. Auch in Greifswald selbst wird rege diskutiert. Die Greifswalderin Frau Lenz etwa erinnert daran, dass das frühere Lazarett gleich nach dem Zweiten Weltkrieg als Krankenhaus von der Roten Armee genutzt wurde. Erwin Peters, einer der besten Kenner der jüngeren Stadtgeschichte, kam mit Bildern von der Eröffnung des Luftwaffenlazaretts 1941 in die Redaktion. Dieses Jahr nennt Prof. Bernfried Lichtnau im Buch „Greifswald. Geschichte der Stadt“ (2000). Erwin Peters‘ Vater, Friedrich-Wilhelm, war zwischen 1941 und 1944 im Luftwaffenlazarett Haus- und Brandschutzmeister. „Ich habe als Kind meinen Vater dort oft besucht“, erzählt der heute 82-jährige.“ Mit den Verletzten hatte ich keinen Kontakt, aber ich war viel in den Büroräumen unterwegs.“ Damals habe er sich immer sehr gefreut, wenn er mal einen Apfel geschenkt bekam. „Die Patienten bekamen ja Südfrüchte. Manchmal fiel da etwas für mich ab“, sagt der Rentner lächelnd. Die Stadt nahm auf Bitten der OZ zur Bedeutung des Luftwaffenlazaretts Stellung und begründet die Gleichwertigkeit mit dem Flughafen Berlin-Tempelhof, den Kraft-durch-Freude-Bauten in Prora und der Heeresversuchsanstalt Peenemünde. Die Gigantomanie der NS-Architektur zeige sich beispielsweise auf Rügen in den gewaltigen Baumassen, der Ausdehnung des Erholungskomplexes. In Greifswald dokumentiere dies die Struktur des Hauptgebäudes, das „in seiner Geometrie Analogien zu einem Junkers-Kampfflugzeug aufweist“, sagt die Mitarbeiterin der Pressestelle, Bärbel Lenuck. Die „Pilotenkanzel“ zeigt nach Süden und reicht in die Parkanlagen hinein. Das ganze Gelände ist etwa neun Hektar groß. Gewaltig dimensioniert ist auch die Dachfläche mit etwa 12000 Quadratmetern, die Medigreif denkmalgerecht und energetisch anspruchsvoll neu decken lassen will. Bei dem Luftwaffenlazarett handele es sich um einen „sehr fortschrittlichen Klinikbau“, sagt Bärbel Lenuck. Die Fassadengestaltung mit Loggien und Balkonen sei vorbildlich für die Sanatoriumsarchitektur der 1930er Jahre. „Insgesamt steht das ehemalige Luftwaffenlazarett für einen architekturhistorisch interessanten Typus, der von der traditionsorientierten, vom Heimatschutzstil beeinflussten Linie der Architektur der 1930er Jahre abweicht und Neues geschaffen hat“, stellt Lenuck fest. Die symbolhafte Abbildung des Kampfbombers sei typisch für die NS-Architektur und damit gehöre das Greifswalder Bauwerk in eine Reihe mit Prora, Peenemünde und dem Flughafen Tempelhof. Eckhard Oberdörfer und Reik Anton

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