Glockenklang weht durch die Stadt

Das Musikstück ist geschrieben, die Noten gibt es schwarz auf weiß. Und doch kann der Tonkünstler Günter Heinz nicht genau vorhersagen, was bei seiner Komposition am Ende zu hören sein wird. Fakt ist nur eines: Zur Eröffnung der 68. Greifswalder Bachwoche sollen sich am Montagabend alle Glocken der drei Hauptkirchen unserer Stadt zu einem Konzert vereinen. Das wird wohl aufgrund seiner Einzigartigkeit in die Geschichte des ältesten Musikfestivals unseres Landes eingehen. Wer gestern kurz nach 14 Uhr in der Innenstadt unterwegs war, dürfte sich über den mehrstimmigen Ton von der Turmspitze des Doms womöglich gewundert haben: Günter Heinz durfte etwas, was sonst keiner darf. Der 57-Jährige probte den Klang aller sieben Glocken, die es in ihrer Komplexität noch nicht lange gibt. Denn erst im Herbst 2013 wurde die siebte, die Friedensglocke, eingeweiht. „Ein ganz tolles, wohldurchdachtes Geläut“, war der freischaffende Musiker aus Sachsen des Lobes voll. Doch nicht nur die Domglocken werden am Montag erklingen. Auch die drei Exemplare von St. Marien und die eine Glocke der Jacobikirche stimmen mit ein. Letztere wird Bootsbauer Robert Schneider spielen, der in seiner Freizeit sonst nur zur Posaune greift. Ein Experiment also auch für ihn. „Denn Glocken sind ja keine Musikinstrumente als solche. Jede hat nur einen Ton, einen eigenen Akkord“, sagt der 43-Jährige, der als Mitglied der Jacobigemeinde im Bachwochenkuratorium mitarbeitet. Auch die anderen zehn Glockenspieler engagieren sich in den Kirchengemeinden oder sind Studenten. Günter Heinz auf jeden Fall freut sich riesig, dass seine Klangkunst in Vorpommern auf so offene Ohren stößt. Nach zwei Glockenkonzerten in Freiberg konnten sich vor fünf Jahren auch die Stralsunder an einer Aufführung zu ihrem Stadtjubiläum erfreuen. Das Greifswalder Stück indes wird es nur hier geben. Heinz — von Hause aus übrigens Mathematiker, der bis 2006 an mehreren Universitäten lehrte und zudem klassische Posaune studierte — nannte seine Komposition „Da Pacem — gib Frieden“. Es bezieht sich auf die gleichnamige, mittelalterliche Antiphon, bekannt in der deutschen Übertragung von Martin Luther als „Verleih uns Frieden gnädiglich“. Die Anbindung seines Konzertes an ein kirchliches Ereignis war ihm wichtig. Glocken seien nun mal Teil der Kirche, hätten ein Eigenleben, dürften keine Bedrängung erfahren. Ihr Klang werde deshalb am Montag auch nicht erzwungen. „Wir fühlen uns ein und befördern den Ton“, blickt Günter Heinz ganz optimistisch voraus. Passanten der Innenstadt können das Konzert mit seinen Soli und Tutti (Zusammenspiel) aus verschiedenen Perspektiven erleben. Möglich ist auch, dem Klang zu folgen: Um 17 Uhr vom Dom zur Jacobikirche, zurück zum Dom, anschließend zur Marienkirche und wieder zum Dom, wo gegen 17.40 Uhr ein großes Tutti alle Kirchenglocken der Hansestadt vereinigt. 68. Bachwoche 40 Konzerte, Gottesdienste und weitere Veranstaltungen stehen im Programm der 68. Greifswalder Bachwoche, die in diesem Jahr unter dem Motto „Bach und ‚Die Drei“ steht. Sie beginnt am 16. Juni um 17 Uhr mit dem Glockenkonzert. Um 20 Uhr schließt sich im Dom der Eröffnungsabend „Bach und die Drei“ an. Petra Hase

Greifswald - Glockenklang weht durch die Stadt