Greifswald bei Nutzung digitaler Medien landesweit vorn

E-Mail schreiben, Bestellung aufgeben und an der Tür die Wunschliteratur, Hörbücher oder Gesellschaftsspiele in Empfang nehmen: „Der Abholservice der Stadtbibliothek klappt super. Ich habe diese Möglichkeit schon mehrfach genutzt“, sagt Christoph Kunkel, als er gerade ein Videospiel für seine zwei Kinder abholt. Der 38-jährige Greifswalder ist dankbar, dass die Kultureinrichtung zumindest diesen Weg der Medienbeschaffung während der Pandemie offen lässt. Das Prozedere – einfach und gut, urteilt er. Doch das ist nun leider auch Geschichte: Mit der Einstufung des Landkreises zum Corona-Hochrisikogebiet setzt die Stadtbibliothek dieses Angebot ab 27. Januar bis vorerst 14. Februar sehr zum Bedauern von Bibliotheksleiterin Anja Mirasch aus. „Zwischen 30 und 50 Kunden pro Tag nutzten unseren Abholservice“, erzählt sie. Sie freue sich über jeden, der trotz Schließzeit der Einrichtung treu bleibt. Denn im vergangenen Jahr habe es aufgrund der Pandemie und deren Folgen erhebliche Einbrüche bei den Zahlen gegeben: Nur knapp 288.300 Entleihungen stünden zu Buche. Im Jahr davor seien es fast 430 700 gewesen – ein Rückgang um 33 Prozent. Nur 100 Veranstaltungen im vorigen Jahr: „Hatten wir 2019 noch 6570 aktive Nutzer, waren es im vergangenen Jahr gerade einmal 4860“, bedauert Mirasch. Der drastische Schwund liege nicht nur daran, dass die Bibliothek sechseinhalb Monate geschlossen war und in den verbliebenen Wochen Zugangsbeschränkungen bestanden. Lesen Sie auch: Schadstoffbefall in der Greifswalder Stadtbibliothek festgestellt Die gesunkene Nutzerzahl hänge ebenso mit den fehlenden Neuanmeldungen von Schülern zusammen. „Ursache ist, dass 2020 coronabedingt die Schulveranstaltungen weggebrochen sind. In der Vergangenheit führten diese immer zu sehr vielen Neuanmeldungen“, verdeutlicht sie. In normalen Zeiten biete allein die Kinderbibliothek pro Jahr um die 350 Veranstaltungen, das gesamte Haus mehr als 500. „Trotzdem konnten wir 2020 immerhin noch 101 Veranstaltungen organisieren und dabei 1683 Teilnehmer begrüßen“, sagt Anja Mirasch. Schadstoffsanierung ist abgeschlossen: Doch mit dem ersten Lockdown Mitte März war damit Schluss. Auch im Sommer konnten keine Lesungen oder ähnliche Angebote unterbreitet werden, weil das Haus in der Knopfstraße zu allem Übel ab Juni Baustelle wurde. Bei Untersuchungen zur geplanten Dachsanierung entdeckten Gutachter Schadstoffe, die einen kompletten Leerzug der oberen Etage erforderten. „Das war für uns neben Corona die zweite Katastrophe im zurückliegenden Jahr“, kommentiert die Bibliotheksleiterin. Nahezu sämtliche Fachliteratur musste in Kisten verpackt und im Kellergewölbe gelagert werden. Damit fiel zugleich der wichtigste Veranstaltungsraum weg. Mittlerweile sei die Schadstoffsanierung abgeschlossen und die Dacherneuerung könne endlich beginnen. Abhängig von der Witterung hofft Anja Mirasch darauf, spätestens im Sommer alle Etagen nutzen und somit den Fachbereich im zweiten Obergeschoss wieder einweihen zu können. Außerdem baut sie mit ihrem Team darauf, dann auch wieder zu Veranstaltungen einladen zu dürfen. Lesen Sie auch: Greifswalder Stadtbibliothek: Digitale Ausleihe bis Ende Februar für alle kostenlos „Im September planen wir beispielsweise in Kooperation mit dem Gustaf-Dalman-Institut eine Ausstellung, die im Zeichen des Festjahres ,1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland‘ steht“, sagt sie. Auch Vorträge seien hierzu geplant. Darüber hinaus habe die Bibliothek zahlreiche Autoren für Lesungen angefragt, darunter Sanne Jellings,Volker Pesch, Christine von Brühl und Annemarie Stoltenberg. Termine indes wolle sie aufgrund der Pandemie noch nicht nennen. Kostenlose Nutzung der Onleihe: Um neue Leseratten zu gewinnen oder Liebhabern anderer Medien in diesen schwierigen Zeiten entgegenzukommen, offeriert die Stadtbibliothek gemeinsam mit ihren Partnern noch bis Ende Februar eine kostenfreie Nutzung der Onleihe MV. Auf der Website gibt es dazu einen Link. „Innerhalb von zwei Tagen bekommt jeder seine Zugangsdaten“, versichert Anja Mirasch und ermuntert Jung und Alt, das Angebot zu testen. Der Zugang erlischt automatisch am 28. Februar. Sei man dann auf den Geschmack gekommen, könne man sich anschließend in der Bibliothek für die Nutzung regulär anmelden. Jeder, der einen Benutzerausweis besitzt, kann vom großen Fundus der digital verfügbaren Romane, Sach- und Hörbücher, Tageszeitungen oder Zeitschriften profitieren: über 80 000 Medien! Immer mehr Freunde virtueller Angebote: „Dieser virtuelle Bestand wurde 2020 viel stärker genutzt als bislang, auch wenn die Zahl der Entleihungen insgesamt rückläufig ist“, sagt Anja Mirasch. Mit fast 60000 digitalen Entleihungen verzeichnete die Bibliothek einen Anstieg um 35 Prozent gegenüber dem Vorjahr. „Das hat keine andere vergleichbare Stadt in MV geschafft“, freut sie sich. Die Greifswalder sind demnach sehr internetaffin. Daher wolle die Bibliothek ihre virtuellen Angebote ausweiten. Nachdem bereits seit August die Brockhaus Enzyklopädie und das Brockhaus Jugendlexikon genutzt werden können, sollen weitere digitale Lernmittel für das Studieren daheim folgen. Fördermittel seien beantragt, allerdings noch nicht bewilligt. Digitalisierung weiter im Fokus: Ein weiterer Schwerpunkt in diesem Jahr sei die Digitalisierung des Kundenservices. „So wollen wir zum Beispiel das Online-Bezahlverfahren einrichten und eine Bibliotheks-App für Smartphones offerieren. Dazu laufen Gespräche mit einem Softwareanbieter“, sagt Mirasch. Ihre 17 Kollegen inklusive Azubi und Bufdi hätten trotz geschlossenem Haus also alle Hände voll zu tun. Die vergangenen Monate seien im Team intensiv genutzt worden, um eine Strategie für die kommenden Jahre zu erarbeiten. Diese Konzeption soll der Bürgerschaft noch 2021 vorgelegt werden. „Ziel ist es, unser Haus stärker denn je zu einem Ort der Begegnung und Stadtgemeinschaft zu entwickeln“, sagt sie. Und zwar unter Mitwirkung der Greifswalder. Noch in diesem Jahr soll ein Bürgerbeteiligungsprozess starten, um die Wünsche und Bedürfnisse der jetzigen und künftigen Nutzer zu berücksichtigen. „Am schönen Umfeld arbeiten wir noch“, sagt Mirasch und denkt dabei an die geplante Neugestaltung des Foyers. 110 000 Euro gibt es dafür von der Kulturstiftung des Bundes. „Wir hoffen, das Foyer pünktlich zum 125. Geburtstag der Bibliothek im kommenden Jahr einweihen zu können“, blickt Mirasch voraus. Dieses Jubiläum nehme ihr Team schon jetzt in den Blick. Eine große Werbekampagne soll neue Nutzer generieren, aber auch verlorene Leseratten wiedergewinnen. An Ideen mangele es nicht. Von Petra Hase