Greifswald erhält im Fahrradklima-Test die Schulnote 3 minus

Fahrradstadt Greifswald – top oder Flop? Beim jüngsten Fahrradklimatest des Allgemeinen Deutschen Fahrradclubs (ADFC) erhielt die Hansestadt die Schulnote 3,2. Damit verbesserte sie sich im Vergleich zu 2018, als sie noch mit einer 3,5 vorliebnehmen musste. Im Ranking der 110 Städte zwischen 50 000 und 100 000 Einwohnern, die 2020 bundesweit an der Befragung teilnahmen, kletterte Greifswald damit von Platz sechs auf vier. Besser noch: Innerhalb des Landes MV schaffte es Greifswald sogar auf Rang 1 vor Waren, Ludwigslust und Rostock. Für Stefan Fassbinder, seit 2015 grüner Oberbürgermeister, das Resultat intensiver Bemühungen, den Radverkehr attraktiver zu machen. Daher freue er sich „als passionierter Radfahrer natürlich sehr über das Ergebnis“, sagt er und verspricht: „Wir werden weiter in den Radverkehr investieren. Beim nächsten Mal wollen wir mindestens unter die besten drei kommen.“ Lesen Sie auch Kommentar: Befriedigend reicht nicht Fahrradverkehr: Greifswald muss einen Gang zulegen Greifswalds Radverkehr ist top – die Infrastruktur hinkt hinterher Es hapert an nachhaltiger Mobilität: Gerhard Imhorst von der Ortsgruppe des ADFC wundert sich indes über diese positive Einschätzung. „Greifswald hat eine minus 3 erreicht. Das ist keine gute Note“, urteilt er. Zudem gebe es im Grunde genommen keine Entwicklung nach vorn: Bereits in den Jahren 2012, 2014 und 2016 erreichte die Hansestadt die Durchschnittsnote 3,3. Für Imhorst steht deshalb fest: „Im Ranking der mittelgroßen Städte Platz vier zu erreichen, hört sich vielleicht gut an. Aber es bleibt noch sehr viel zu tun, bis Greifswald tatsächlich eine attraktive Fahrradstadt ist.“ Von nachhaltiger Mobilität werde zwar auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene viel geredet. Doch an der Umsetzung hapere es überall, ist der frühere Verkehrsplaner der Hansestadt überzeugt. Laut Fahrradklimatest 2020, an dem sich 114 Greifswalder beteiligten, könne die Stadt damit punkten, dass Radfahrer als Verkehrsteilnehmer akzeptiert werden. Radfahren mache Spaß, weil das Zentrum schnell und gut erreichbar sei und auch öffentliche Räder zur Verfügung stünden. Jung und Alt nutzten gleichermaßen den Drahtesel. Fahrradmitnahme im Bus – Note 5: Als besonders negativ bewerteten die Umfrageteilnehmer wie bereits in Vorjahren die schlechte Führung an Baustellen und die hohe Fahrrad-Diebstahlrate. Auch für die Breite der Radwege, die Falschparkerkontrolle auf Radwegen und Ampelschaltungen gab es nur ein „ausreichend“. Letzteres soll sich etwas bessern: Per Bürgerschaftsbeschluss, den die Grünen initiierten, werden auch die letzten Bedarfsampeln so umgestellt, dass sich die Wartezeiten für Radler und Fußgänger verkürzen. Keine Besserung ist bei der von Umfrageteilnehmern stark bemängelten Fahrradmitnahme in öffentlichen Verkehrsmitteln in Sicht. Für diesen Punkt gab es gar die Note 5. Kein Wunder. In den Beförderungsbedingungen der Verkehrsbetrieb Greifswald GmbH ist die Fahrradmitnahme ausgeschlossen. „Das hat gut Gründe. Unsere Busse sind nicht für die Mitnahme von Fahrrädern ausgelegt“, sagt Geschäftsführer Henrik Umnus. Die Sondernutzungsfläche in den Bussen sei für Rollstühle, Kinderwagen und Rollatoren vorgesehen. Denn diese Personengruppen seien auf den Bus angewiesen. Bei einer Fahrradmitnahme entstünde ein Konfliktpotential zwischen den Nutzergruppen, insbesondere dann, wenn ein Rad die Sondernutzungsfläche blockiere und potenzielle Fahrgäste – etwa mit Kinderwagen – deshalb nicht mehr befördert werden könnten. Kleine Landwege werden schlechter: Gerhard Imhorst sieht aber noch viel mehr Baustellen beim Thema Rad: „Wir brauchen in der Stadt eine Qualitätsoffensive. Denn viele Radwege, die Anfang der 1990er-Jahre ausgebaut wurden, sind in die Jahre gekommen.“ Große Defizite gebe es immer noch beim Absenken der Bordsteine. Die Anklamer Straße Ecke Hans-Beimler-Straße sowie die Bahnhofstraße/Goethestraße seien nur zwei Beispiele von vielen. Zudem müsste seines Erachtens mehr Öffentlichkeitsarbeit betrieben werden, um den Radverkehr stärker in den Fokus zu rücken. „Und auch im Umland muss mehr für die Radwege getan werden. Das Land baut zwar verstärkt an Bundesstraßen, doch die kleinen Landwege zwischen den Orten werden von Jahr zu Jahr schlechter“, urteilt Imhorst, der Radtouren für Einheimische und Touristen organisiert. Radstation am Gleis 4 nahezu ungenutzt: ADFC-Mitglied Steffen Ahmels sieht das ähnlich: „Im Vergleich mit anderen Städten steht Greifswald gut da. Aber es wird nicht besser, wir kommen nicht wirklich voran“, kritisiert er, wenngleich er das Lastenräderprojekt in jüngster Vergangenheit positiv bewertet. Zugleich wisse er, dass viele Prozesse sehr träge seien. „Zehn Jahre hat es gedauert, bis die Radstation am Bahnhof kam“, erinnert er. „Nun haben wir sie und sie wird nicht genutzt. Liegt es am Preis oder am fehlenden Marketing“, sinniert Ahmels. Fakt ist: Von den 150 Stellplätzen in dem Objekt nahe des Einkaufszentrums Gleis 4, die pro Tag einen Euro kosten, wurde gestern Vormittag nur einer genutzt, während ringsherum etwa 130 Fahrräder kostenlos angeschlossen waren. Auch die preiswertere Monatsmiete (15 Euro) scheint nicht zu ziehen. Als weiteres Manko betrachtet Steffen Ahmels fehlende Park-and-ride-Fahrradplätze am Rande der Stadt mit Schließboxen zum sicheren Aufbewahren der Räder. Immerhin: Auf dem Parkplatz in Eldena, der neu gestaltet wird, soll es die künftig geben. Radweg nach Levenhagen im Bau: Greifswalds Bausenatorin Jeannette von Busse (CDU) betrachtet die Situation weniger schwarz als die ADFC-Vertreter. Im Gegenteil: Das Ergebnis der Befragung verdeutliche, dass sich Aufwendungen für die Sanierung von Rad- und Gehwegen lohnen. „Die dafür von der Bürgerschaft bereits im letzten Haushalt bereitgestellten zusätzlichen Mittel zeigen Wirkung. Aber auch die Anbindung ans Umland hat sich verbessert, beispielsweise durch die Sanierung des Geh- und Radweges nach Neuenkirchen oder die Fertigstellung der Radwege nach Hanshagen und Dersekow.“ In Arbeit befindet sich aktuell der Radweg in Richtung Levenhagen und Griebenow. „Auch künftig werden sich die Bedingungen für Radfahrer in und um Greifswald weiter verbessern“, versichert sie. Diesem Ziel werde ebenso das Verkehrskonzept für die Innenstadt dienen, das sich in der Erarbeitung befinde. Von Petra Hase