Greifswalder Händler: Mietstundung nur nach Wirtschaftsprüfung

Die Wohnungsbau- und Verwaltungsgesellschaft WVG sollte großzügigere Mietstundungen und Mietnachlässe für coronageplagte Gewerbetreibende gewähren. Das fordert der Greifswalder Modehändler Frank Embach. Der Vorsitzende des Innenstadtvereins kritisiert, dass die WVG als größter Vermieter und kommunales Unternehmen umfangreiche Belege verlangt. „Ich muss nachweisen, dass ich wirtschaftlich nicht in der Lage bin, die Miete zu zahlen, dabei ist aufgrund des Lockdowns doch klar, dass ich keine Einnahmen habe. Die Geschäfte, für die ich Miete zahle, sind zu“, moniert Embach, der in Greifswald sechs Modeläden betreibt sowie acht weitere in Neubrandenburg, Schwerin und Berlin. „Die WVG als kommunales Unternehmen kann doch mal eine Monatsmiete erlassen. Stattdessen besteht sie auf jeden Penny“, so Embach. Bei seinen Geschäften in anderen Städte erlebe Embach eine ganz andere Kulanz im coronabedingten Lockdown. WVG: Geschäftsschließung ist kein Beleg für Verluste: Die WVG vermietet in Greifswalds Einkaufsmeile insgesamt 70 Immobilien, 24 davon an hiesige Einzelhändler, wie WVG-Sprecherin Jana Pohl mitteilt. Ihrer Aussage nach habe es in der Zeit der ersten coronabedingten Geschäftsschließungen ab März 2020 insgesamt 30 Anfragen für Mietstundungen und Mieterlässe gegeben. „Im zweiten Lockdown sind bisher zehn Anfragen unserer Gewerbetreibenden bei uns eingegangen“, sagt Jana Pohl. Sie betont, dass jede Anfrage einzeln geprüft werde und anhand der eingereichten Wirtschaftsbelege entschieden werde. „Teilweise wurden die Unterlagen auch nach mehrmaligen Nachfragen nicht beigebracht, sodass wir keine positive Entscheidung für eine Stundung treffen konnten“, sagt Pohl. Auf die Frage, warum die WVG eine derart aufwändige Prüfung einfordert, obwohl die Geschäfte ja offensichtlich geschlossen sind, sagt Jana Pohl: „Der Handel hat sehr schnell sehr gute Wege gefunden, seine Waren trotzdem anzubieten.“ OB Fassbinder lehnt „Gießkannenprinzip“ ab: Gegen ein Gewähren von Mietstundungen nach dem Gießkannenprinzip spricht sich auch Greifswalds Oberbürgermeister Stefan Fassbinder (Grüne) aus. „Die WVG möchte eine Begründung für die Notlage vorgelegt bekommen. Dies ist verständlich und zeugt von verantwortungsvollem Handeln“, sagt Fassbinder. Es gehe schließlich um städtisches Vermögen und Steuergelder. Auch Fassbinder betont: „Nicht jedes Unternehmen ist gleich von der Krise betroffen.“ Mieterlässe könne sich der Oberbürgermeister lediglich dann vorstellen, wenn es darum geht, die Pleite einer Firma abzuwenden. Fassbinder lobt ausdrücklich das Vorgehen von WVG-Geschäftsführer Klaus-Peter Adomeit: „Zu Beginn der Pandemie gab es einen regen Austausch über den Umgang mit Mietstundungen und Mieterwünschen. Dabei hat sich die WVG einmal mehr als sehr verantwortungsvolle und nahbare Vermieterin gezeigt.“ Die Verfahrensweise zu Mietstundungen sei mit dem Aufsichtsrat und mit Fassbinder als Gesellschaftervertreter abgestimmt. Lesen Sie auch Greifswalder Modehaus Jesske: Große Rabatte mitten im Lockdown Trotz Lockdown: Diese Greifswalder Unternehmer sind weiterhin für Sie da Erstklässler-Eltern aufgepasst: 8 oder 12 Tafeln Schokolade auf dem Rücken? ECE-Gruppe gewährt Mieterlass: Frank Embach verweist auf das Vorgehen von ECE als Betreiber etlicher Shopping-Center, auch in Mecklenburg-Vorpommern. „Das Unternehmen geht keinen Mietforderungen nach und kommt auf diesem Wege den Händlern entgegen. Damit verzichtet die Familie Otto auf Millionen Euro Mieteinnahmen“, sagt Embach. Er selbst profitierte davon als Mieter im Schweriner Schlosspark Center und im Neubrandenburger Bethaniencenter. Geringe Einnahmen durch Onlineverkauf: Die zweite coronabedingte Schließung der Geschäfte dauert mittlerweile knapp drei Monate. Zeit, in der die Gewerbetreibenden keine oder kaum Einnahmen erzielen können. Die möglichen Einnahmen durch den Verkauf an der Ladentür nach telefonischer Bestellung beziffert Greifswalds Modehändler Jens Krafczyk auf ein Prozent. Der Onlineverkauf über 30 angeschlossene Onlineplattformen mache beim Händlerehepaar Jesske etwa sieben Prozent des Gesamtumsatzes aus. Für kleinere Händler ist es nahezu ausgeschlossen, auf diesem Weg zusätzliche Einnahmen zu erzählen. Nach wie vor keinerlei staatliche Hilfszahlungen: Knackpunkt bleibt, dass bis heute keine staatlichen Hilfen geflossen sind. Händler können, je nach Höhe des Umsatzeinbruches, bis zu 90 Prozent Zuschuss zu den Mietkosten beantragen. Auch im dritten Lockdown-Monat fehlen bislang jegliche Berechnungsgrundlagen. Frank Embach macht das alles wütend. „Um eine Mietstundung zu erreichen, muss ich erst ein Wirtschaftsbüro beauftragen, um das zu untermauern. Und ob wir überhaupt Geld aus der Überbrückungshilfe drei bekommen werden, steht noch lange nicht fest.“ Von Katharina Degrassi