Greifswalder Tafel in Not: Immer weniger Lebensmittelspenden

Die Coronapandemie hat das Leben vieler Greifswalder auf den Kopf gestellt, die meisten Organisationen mussten pausieren oder den Betrieb sogar einstellen. Auch bei der Greifswalder Tafel blickt man auf ein außergewöhnliches Jahr zurück. Dank eines ausgetüftelten Vergabesystems von Ausgabezeiten nach Nummern und eines strengen Hygienekonzeptes konnte der Betrieb nach einer Zwangspause im Mai wieder hochgefahren werden. „Der Bedarf an Lebensmitteln ist gleichbleibend hoch“, berichtet Doreen Koitzsch, Vorstandsmitglied des Vereins Greifswalder Tafel. Derzeit nutzen rund 825 Menschen das Tafel-Angebot, darunter sind auch über 200 Kinder. Weniger Lebensmittelspenden treffen ein: „Die Menge an Lebensmitteln, die wir von Supermärkten zur Verfügung gestellt bekommen, wird allerdings immer kleiner. Im vergangenen Jahr haben wir im Vorstand diskutiert, ob wir erstmals zukaufen sollten.“ Man habe sich schweren Herzens dagegen entschieden. „Wir müssen uns auf unsere Kernaufgabe besinnen“, sagt sie. „Die Tafeln sind dazu da, Lebensmittel umzuverteilen, die sonst auf dem Müll landen würden. Die Grundversorgung Bedürftiger mit Lebensmitteln sicherzustellen, ginge weit darüber hinaus.“ Bessere Warenwirtschaft – weniger Ausschuss: Der Rückgang von Lieferungen liege aber nicht an der Knauserigkeit der Supermärkte oder an der Corona-Situation. „Eher im Gegenteil, wir arbeiten sehr gut mit den Märkten in und um Greifswald zusammen, es gibt auch Extraspendenaktionen für die Tafel, die sehr gut laufen“, meint der Vereinsvorsitzende Walter Kienast, selbst ehemaliger Chef des Unternehmens Greifen-Fleisch. „Es ist aber so, dass die Supermärkte einfach bessere Warenwirtschaftssysteme haben und nicht mehr so viel wegwerfen oder weggeben müssen.“ Lesen Sie auch: Greifswalds Kleiderkammern sind auf Spenden angewiesen Discounter setzen auf Abfallvermeidung: Man entwickle sich diesbezüglich immer weiter und setze sich gegen Lebensmittelverluste ein, bestätigt Axel vom Schemm von der Aldi-Nord Gruppe. Bis zum Jahr 2030 soll die Nahrungsmittelverschwendung pro Kopf auf Einzelhandels- und Verbraucherebene halbiert und das Abfallaufkommen verringert werden. Dazu gebe es viele Maßnahmen. „So haben wir beispielsweise in allen rund 2300 Aldi Nord Filialen in Deutschland im Bereich des Kühlwarensortiments eine gekennzeichnete Kiste mit reduzierten Produkten platziert“, informiert Axel vom Schemm. „Darin bieten wir Frischwaren an, die sich kurz vor dem Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums befinden.“ Auch die Aktion „Brot vom Vortag“ für einen pauschalen Verkaufspreis von 0,50 Euro werde von den Kunden sehr positiv angenommen. „Alle weiteren nicht mehr verkaufs-, aber noch verzehrfähigen Lebensmittel werden in der Regel gespendet“, so vom Schemm. Einen deutlichen Rückgang habe man aber nicht verzeichnen können, hieß es. Derzeit werden rund 825 Bedürftige durch das Angebot der 2002 gegründeten Greifswalder Tafel versorgt. Besonders traurig: darunter sind auch über 200 Kinder. Es wurden in diesem Jahr ca. 19 Tonnen Brot, 24 Tonnen Gemüse und 1350 Liter Milch von Spendern eingesammelt, geputzt, gepackt und anschließend ausgegeben. Der Verein finanziert sich durch Spenden, die rund 25 Mitarbeiter arbeiten ehrenamtlich, weitere Mitarbeiter werden gesucht. Öffnungszeiten: Dienstag und Donnerstag 12.45 bis 14 Uhr, Sonnabend 12 bis 13 Uhr. Kontakt: 03834/773516, Friedrich Loeffler Straße 21. Spendenkonto: Greifswalder Tafel e.V., IBAN: DE56 1505 0500 0236 0044 33, Verwendungszweck: Spende Tafel: 20 000 Euro Verlust im Jahr: Neben der zurückgehenden Menge an Lebensmitteln plagen die Vorstandsmitglieder rund um den Vorsitzenden Walter Kienast aber auch noch andere Sorgen. Die Finanzen des auf Spenden angewiesenen Vereins stehen nicht zum Besten. „Derzeit machen wir 20 000 Euro Verlust im Jahr“, beschreibt Vorstandsmitglied Jörg Berner, im beruflichen Leben Vertriebsdirektor bei der Sparkasse Vorpommern-Greifswald. „Mietkosten, Versorgungskosten, Benzin“, zählt er auf. „Noch haben wir einen Puffer, aber das kann nicht so weiter gehen. Wir waren bereits beim Oberbürgermeister und haben das Problem geschildert.“ Wenn die kommunalen Unternehmen der Tafel entgegenkommen würden, bei den Entsorgungs- oder Versorgungskosten zum Beispiel, wäre bereits viel geholfen, meint er. Auch kuriose Geldquellen fallen in Coronazeiten weg. „In der Vergangenheit hat das Gericht bei Verurteilungen häufiger Geldzahlungen an die Tafel angeordnet“, beschreibt Berner. „Wir merken, dass die Tätigkeit des Gerichtes durch Corona stark eingeschränkt ist.“ Tulpen als Extraüberraschung: Der Betrieb der Tafel geht hingegen weiter. Täglich ist der Kühltransporter des Vereins zu den Supermärkten unterwegs und bringt kistenweise neue Ware zur Tafel. Brot, Molkereiprodukte, Konserven – aber auch mal ungewöhnliche Produkte. Die langjährige Mitarbeiterin Renate Mierendorff (71) lacht angesichts der Unmengen an Tulpen- und Rosensträußen, die an diesem Tag angeliefert werden. „Oh!“, ruft sie. „So viele Blumen!“. Die Sträuße gibt es für die Bedürftigen als Extra dazu. In die regulär gefüllten Papptüten, die sich die Tafelkunden abholen, kommen je nach Angebot Grundnahrungsmittel, Obst und Gemüse, Brot. Ein bisschen „Überraschungtüte“ sei aber auch immer dabei. „Das ist ja auch gar nicht schlecht“, befindet Renate Mierendorff. „Es wäre ja langweilig, wenn immer nur das Gleiche drin ist.“ Lesen Sie auch: Fast 1000 Greifswalder nutzen die Tafel Mitarbeiterschutz in Corona-Zeiten: Wie Renate Mierendorff zählen viele der ehrenamtlichen Mitarbeiter aufgrund ihres Alters selbst zu den durch Corona besonders gefährdeten Personen. „Wir mussten uns eine Lösung einfallen lassen, nach der die Ausgabe weiterhin funktioniert, aber für alle sicher ist“, beschreibt Walter Kienast. Seit der Wiedereröffnung nach der Coronapause gilt ein Hygienekonzept, das penibel durchorganisiert ist. „Der Kunde kommt einzeln in den Ausgaberaum, holt sich seine Tüten ab, dann losen wir eine Nummer für den nächsten Besuch aus. Anhand dieser Nummer kann derjenige dann auf einer Liste erkennen, zu welcher Uhrzeit er in der kommenden Woche dran ist“, erklärt Tafel-Mitarbeiter Rainer Dürkopp. Bei vielen der Nummern weiß Dürkopp sofort, wer sich hinter der Kundennummer verbirgt. „Der hier ist eine alleinstehende Person“, sagt er und tippt auf die Liste, bei anderen steht ein sechsköpfiger Haushalt dahinter. „Wenn wir zum Beispiel Süßigkeiten bekommen haben, sehen wir schon zu, dass diese auch bei Familien mit Kindern ankommen.“ Verstärkung für die Tafel gesucht: Auch Privatpersonen können ihre nicht mehr benötigten Lebensmittel bei der Tafel abgeben. „Aber bitte keine angefangenen Chipstüten“, sagt Doreen Koitzsch und rollt mit den Augen. „Alles schon passiert.“ Die Waren müssen eingeschweißt sein und haltbar, dann freue man sich sehr über Spenden. Auch Verstärkung für die 27 Ehrenamtler werde dringend benötigt. „Damit wir die Einsatzbereitschaft etwas besser lenken können, haben wir eine Art Stellenprofile entwickelt“, beschreibt Jörg Berner. „Damit können sich die potenziellen Helfer ein besseres Bild machen, welche Einsatzzeiten zum Beispiel als Fahrer oder Sortierer möglich sind.“ Informationen gibt es telefonisch bei der Tafel (Infokasten). Von Anne Ziebarth