Langsame Kontaktverfolgung: Greifswalder Firma eine Woche lahmgelegt

Der Landkreis Vorpommern-Greifswald benötigt extrem lange, um die Kontakte von Corona-Infizierten nachzuverfolgen. Das könnte eine der Ursachen für die desaströse Situation im Nordosten sein. Der konkrete Fall: Sechs Tage dauerte es nach der positiven Testung eines Mitarbeiters, bis das Gesundheitsamt die erste Kontaktperson anrief, schildert Thomas Hoffmann, Geschäftsführer der Firma Industrie- und Umweltlaboratorium Greifswald (IUL). Drei weitere Tage dauerte es, bis alle 14 Mitarbeiter angerufen worden waren. Systemrelevantes Unternehmen über eine Woche lahmgelegt: Das Unternehmen war damit über eine Woche lahmgelegt. Das hätte zu Problemen bei der Versorgung der Bevölkerung mit Trinkwasser führen können. Das Industrie- und Umweltlaboratorium ist, wie es den Pandemiezeiten heißt, systemrelevant. Denn die 1991 gegründete Firma bietet auch Trink- und Abwasseruntersuchungen an. Sie arbeitet zum Beispiel für die Stadtwerke Greifswald, Neubrandenburg, Teterow, Torgelow und Prenzlau. Die nächsten Firmen, die ihre Arbeit übernehmen könnten, gebe es in Eberswalde und Schwerin und hätten damit zum Teil sehr lange Anfahrtswege, so der Geschäftsführer. Arbeitsschutzbelegung war Ausgangspunkt: Hoffmann führte am 9. Januar für alle Mitarbeiter eine Arbeitsschutzbelehrung durch – mit Durchzug, offenen Fenstern in mehreren Räumen, alle mit Maske, allerdings zum Teil mit zu geringem Abstand. Drei Tage später, am 12. Januar, hatte eine Mitarbeiterin Corona-Symptome. Am 13. Januar wurde sie positiv getestet. Alle Daten, alle Kontakte wurden umgehend an das Gesundheitsamt übermittelt, alle Kollegen gingen in Quarantäne, betont Hoffmann. Lesen Sie auch Hotspot Vorpommern-Greifswald: Was bedeutet das für die Uniklinik? Schwesig besorgt über Corona-Hotspot Vorpommern-Greifswald Corona-Experte Reisinger: Diese Lockerungen kann sich MV erlauben „Ich habe in den folgenden Tagen mehrfach im Gesundheitsamt nachgehakt“, berichtet Hoffmann. „Wir warteten dringend auf den Anruf des Gesundheitsamtes. Denn der ist Voraussetzung für eine Testung der Kontaktpersonen und damit letztlich eine Weiterarbeit der Firma.“ Drei Tage bis zum letzten Anruf: Weil die Anrufe nichts brachten, schrieb Hoffmann am Wochenende 17./18. Januar eine E-Mail an die Leiterin des Gesundheitsamtes und den Landrat. Am 19. Januar kam um 9 Uhr endlich der erste Anruf. Insgesamt drei Tage dauerte es, bis alle angerufen worden waren. Um die begrenzten Laborkapazitäten zu schonen, schickte Hoffmann nur die wirklich unbedingt nötigen Leute zum ersten Test. Am 22. Januar konnte die Arbeit wieder aufgenommen werden. Laut Allgemeinverfügung des Landkreises Vorpommern-Greifswald hat sich Thomas Hoffmann vorbildlich verhalten. Angesichts der dramatischen Zunahme der Fälle legte der Kreis im Herbst fest, dass Kontaktpersonen ebenso wie Infizierte in Quarantäne gehen müssen, so Kreissprecher Achim Froitzheim. Bis dahin war das eine Entscheidung des Gesundheitsamts. Kontaktpersonen und Verdachtsfälle: Die Allgemeinverfügung unterscheidet zwischen Kontaktpersonen, die sofort wie ein Infizierter in häusliche Quarantäne müssen (Kategorie eins), und Verdachtsfällen (Kategorie zwei). Für die Einordnung in die erste Gruppe gilt ein Abstand bis 1,5 Meter zum Infizierten oder unabhängig vom Abstand ein über 30 Minuten andauernder gemeinsamer Aufenthalt in einem schlecht belüfteten Raum. Bei den Verdachtsfällen, zum Beispiel bei größerem Abstand, müssten diese mit den Kontaktpersonen in Verbindung bleiben, erläutert Froitzheim. Werden diese positiv getestet, muss auch er in Quarantäne. Alle IUL-Mitarbeiter wurden vom Gesundheitsamt nach der Information durch Hoffmann trotz des Durchzugs in Kategorie eins eingestuft, weil die Abstände zum Teil geringer als 1,5 Meter waren. Ausnahmegenehmigung bei kritischer Infrastruktur: Die späten Anrufe hätten bereits zu Problemen bei der Trinkwasserversorgung führen können. Nur Thomas Hoffmann und Prokuristin Helga Stock dürfen die Richtigkeit von Analysen bestätigen. Sie erhielten eine Ausnahmegenehmigung fürs Arbeiten. Denn für „dringend benötigte Beschäftigte kritischer Infrastrukturen des Gesundheitssektors“ kann das Gesundheitsamt Auflagen zur Absonderung aussetzen. Falsche Informationen am Telefon: Die späten Anrufe sind nur ein Problem, mit dem sich IUL-Mitarbeiter herumschlagen mussten. Sie berichten von offenbar falschen Aussagen von Mitarbeitern der Kreise Vorpommern-Greifswald und Mecklenburgische Seenplatte (Wohnort zweier Kolleginnen) am Telefon. „Ihnen wurde gesagt, dass sie mit einem zweiten negativen Coronatest die Quarantänezeit nicht abkürzen können.“ Auf OZ-Nachfrage stellt sich heraus, das war eine Fehlinformation. Andere IUL-Kollegen berichten, dass sie vom Callcenter Vorpommern-Greifswald die Auskunft erhielten, dass sie nach einem zweiten negativen Test weitere zwei Tage zu Hause bleiben müssten. Das gilt laut Allgemeinverfügung nur bei Erkrankten. Mitarbeiter schlecht vorbereitet? „Nein“: Sind die Mitarbeiter des Kreises schlecht vorbereitet? Nein, dementiert Achim Froitzheim. „Sie werden nach Vorgaben des Robert-Koch-Instituts im Landratsamt geschult.“ Der Sprecher räumt ein, dass die zeitnahe Kontaktverfolgung allgemein derzeit ein großes Problem ist. Das Gesundheitsamt sei auf die Hilfe der Firmen angewiesen. Wie lange es dauert, bis die Anrufe im Durchschnitt erfolgen? „Das hängt von der Kapazität der Labore ab, die die Tests vornehmen“, legt sich Froitzheim nicht fest. Seit Beginn der Pandemie habe das Gesundheitsamt über 20 000 Anrufe getätigt. Thomas Hoffmann hat einen Vorschlag: Da von der Firma alle Kontaktdaten bereits ermittelt wurden, könnte auf den Anruf des Gesundheitsamtes zur Kontaktabfrage verzichtet werden, um Zeit zu sparen. Von Eckhard Oberdörfer