Rektorin der Uni Greifswald: Während Corona neue Lehrformate entwickelt

Während der Corona-Pandemie waren und sind die Herausforderungen an der Universität Greifswald besonders groß, den Lehr- und Forschungsbetrieb mit möglichst wenig Kontakten zu organisieren. Immerhin tummeln sich normalerweise mehr als 10 000 Studierende und mehr als 5000 Mitarbeiter auf den Campussen der Hochschule. Welche hochschulpolitischen Weichen im Corona-Jahr gestellt wurden, erzählt Rektorin Johanna Weber im Interview mit der OSTSEE-ZEITUNG. OZ: Frau Professor Weber, Sie sind ja Psychologin. Normalerweise würden wir beide uns in einem Raum befinden für dieses Interview. Wir sind jetzt über eine Videokonferenz miteinander verbunden. Was verändert sich dadurch zwischenmenschlich aus psychologischer Sicht? Professor Johanna Weber: Direkte soziale Begegnungen sind durch nichts zu ersetzen. Nur wenn wir uns direkt begegnen, können wir uns in der Gesamtheit wahrnehmen, mit Mimik, Gestik, Sprache, Körperhaltung, und unmittelbar darauf reagieren. Über Video oder Telefon fehlen uns bestimmte Informationen über die andere Person. Das müssen wir wissen und in der Kommunikation beachten. Sie arbeiten als Rektorin der Universität Greifswald sehr viel mit Videokonferenzen. Wie hat sich das im vergangenen Corona-Jahr entwickelt? Erstaunlich gut. Es war ja ein Kaltstart. Digitale Formate gab es bei uns zuvor nur als inhaltlich sinnvolle Ergänzung zur Präsenzlehre. Eine Universität lebt von Präsenz und davon, dass sich Studierende, Lehrende und Forschende begegnen und austauschen. Das war von einer Sekunde auf die andere vorbei und wurde ersetzt durch eine Universität ohne Begegnungen vor Ort mit ausschließlich digitalen Formaten. Klar hat das eine Umstellungszeit erfordert. Aber im Nachhinein bin ich wirklich begeistert, wie sehr alle bereit waren, sich auf diese neue Situation einzustellen und zu versuchen, das Beste daraus zu machen. Die einzelnen Fachbereiche und Fakultäten arbeiten sehr unterschiedlich. In einigen Bereichen gab es zwischenzeitlich wieder fast durchgängig Präsenzveranstaltungen, in anderen Fakultäten blieb es bei Onlinevorlesungen. Haben Sie den Überblick, wie es überall läuft und wo es möglicherweise Probleme gibt? Gerade in der Umstellungsphase waren wir in einem ständigen Austausch mit den Fakultäten. Wir mussten klären, welche Lehrangebote sich digital nicht umstellen lassen. In den Fachrichtungen Pharmazie, Biochemie und Medizin beispielsweise lässt sich nicht alles digitalisieren. Es war notwendig, dass wir die Arbeit an Experimenten oder Forschung im Labor weiterhin in Präsenz ermöglichen, aber unter mit dem Gesundheitsamt abgestimmten Schutzmaßnahmen. Auch für Exkursionen mussten wir Alternativen finden, beispielsweise im Fachbereich Kunst, wo eben kein Besuch eines Museums stattfinden konnte. Ganz viele Lehrelemente lassen sich nicht einfach aufzeichnen und ins Internet stellen. Was war die größte Herausforderung im vergangenen Jahr durch Corona? Die Entwicklung von vernünftigen Alternativen für die gerade erwähnten besonderen Lehrformate war definitiv die größte Leistung. Insgesamt war es eine riesige Herausforderung, gleichzeitig auf digitale Lehre umzustellen, Antworten darauf zu finden, wie es mit der Forschung weitergeht, und wie wir in der Verwaltung dafür sorgen können, dass die Universität funktionstüchtig bleibt. Das geht ja weit über die Schaffung von Homeoffice-Möglichkeiten hinaus. Wie können die Gremien, beispielsweise der Senat, weiterhin sinnvoll arbeiten, wenn es keine Senatssitzungen in Präsenz mehr gibt, wie kann die Hochschulöffentlichkeit weiterhin beteiligt bleiben? Wir sind hier dazu übergegangen, die Sitzungen im als Audiolivestream zu übertragen. Treffen Sie in Ihrem Arbeitsalltag noch Menschen? Kaum. Beratungen werden weitgehend per Video und Telefon durchgeführt. Treffen mit wenigen Personen und unter strengen Schutzmaßnahmen sind allerdings möglich und das nutzen wir auch. Es müssen manchmal sehr schnelle Absprachen getroffen werden, was zu tun ist, und das geht im direkten Gespräch immer noch besser als per Telefon oder Video. Gab es außer Corona überhaupt noch andere Themen, die Sie beschäftigt haben? Selbstverständlich. Der reguläre Universitätsbetrieb musste ohne große Einschränkungen weiterlaufen. Beispielsweise haben wir die Zielvereinbarung mit dem Land verhandelt und kurz vor Weihnachten unterzeichnet, Forschungsprojekte wurden beantragt und begutachtet, ganz wesentliche Aufgaben wurden fortgesetzt, nur eben weitgehend in digitalen Formaten. Was sind für Sie die wichtigsten Punkte der Zielvereinbarung mit dem Land? Es wurde eine Reihe von Möglichkeiten für zusätzliche Studiengänge festgeschrieben, die auch mit Finanzmitteln vom Land unterlegt sind, was für uns sehr wichtig ist. Wir haben beispielsweise eine deutliche Verbesserung in der Qualität der Lehramtsausbildung erreicht. Es gibt sehr gute Bedingungen für das Grundschullehramt, das in diesem Wintersemester gestartet ist. Weitere neue Studiengänge sind die Psychotherapie und die Wiedereinführung des Lehramtes Physik. Die Einführung eines Studiengangs in den Pflegewissenschaften und eines binationalen Studiengangs zusammen mit der Universität Stettin für das Lehramt Deutsch und Polnisch ist für das kommende Wintersemester geplant. Die Zielvereinbarung ist im Hinblick auf die Perspektiven in der Lehre sehr positiv. Für Verbesserungen bei der Lehramtsausbildung machen Sie sich seit Jahren stark. Was konkret haben Sie jetzt erreicht? Neben der Einführung des Grundschullehramts und der Wiedereinführung des Lehramts Physik an Gymnasien haben wir deutliche Verbesserungen in den Fachdidaktiken und eine Verstärkung des Praxisbezugs erreicht. Nun gilt es, dass wir all diese Möglichkeiten gut nutzen. Einen Studiengang Pflegewissenschaften gibt es bislang nicht in MV. Geht es dabei um die Akademisierung der Gesundheitsfachberufe? Ja, dahinter steht der Gedanke, dass beispielsweise in der Intensivpflege die Anforderungen an die wissenschaftlichen Grundlagen so hoch sind, dass diese Ausbildung sinnvoll nur in einer Universitätsmedizin vermittelt werden kann. Derzeit werden solche Studiengänge bundesweit etabliert. Es geht dabei auch um die zusätzliche Gewinnung von Fachkräften, für die eine hochklassige akademische Ausbildung attraktiv ist. International ist es längst üblich, solche Berufe zu studieren. Seit diesem Semester gibt es wieder ein Grundschullehrerstudium in Greifswald. Wie ist das aus Ihrer Sicht angelaufen? Sehr gut. Wir hatten über 1000 Bewerbungen für die 75 Studienplätze. Die Studierenden kommen zu einem großen Teil aus Mecklenburg-Vorpommern. Wir haben aber auch Studierende aus Brandenburg und Berlin. Wir haben den Studienanfängern studentische Scouts zur Seite gestellt. Das sind erfahrene Studierende, die den Neuankömmlingen im Unialltag helfen, sich zurechtzufinden. Gerade durch die besondere Corona-Situation war das enorm hilfreich und wir haben sehr positive Rückmeldungen bekommen. Das Grundschullehramt wird von einem großen Engagement aller Beteiligten getragen. Wir haben hoch engagierte Lehrende in dem Bereich und viele beteiligte Schulen für die Praxisphasen. Das ist überaus erfreulich. Ende März endet Ihre Amtszeit als Rektorin. Haben Sie alles erreicht, was Sie erreichen wollten? Um diese Frage zu beantworten, darf man nicht nur betrachten, wie sich unsere Universität entwickelt hat, sondern muss auch sehen, wie sich das Hochschulsystem insgesamt in den vergangenen acht Jahren verändert hat. Es war eine hochdynamische Entwicklung mit einem zunehmend härter werdenden Wettbewerb um Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Studierende und Verwaltungsmitarbeitende. Es entstehen permanent neue Forschungsfragen, nehmen Sie Corona, den Klimawandel oder Nachhaltigkeit. Welcher Standort kann hier mit Innovationen punkten? Es gibt eine Entwicklung hin zu mehr Internationalität, die außeruniversitären Einrichtungen gewinnen an Bedeutung. Wir haben eine Entwicklung, in der es endlich auch ein Qualitätsmerkmal für Universitäten geworden ist, wie hoch der Anteil an Frauen unter den Professuren ist. Die Vereinbarkeit von Beruf, Studium und Familie gewinnt an Bedeutung. Da kann ich mit großer Zufriedenheit feststellen, dass die Universität Greifswald bereit war, mit diesen vielen und auch fordernden Entwicklungen mitzugehen. Unser Status als Forschungsuniversität, unser Forschungsprofil und unser Angebot an Studiengängen hat sich sehr gut entwickelt. Meine persönliche Bilanz ist daher unbedingt positiv. In Ihre Amtszeit fällt auch die Debatte um den Namen der Universität Ernst Moritz Arndt und die weitestgehende Ablegung des Namen. Wenn Sie auf die Debatte zurückblicken, wie bewerten Sie diese? Die Debatte war für die Frage nach der Identität der Universität absolut zentral, weil es darum ging, wo wir stehen, wer wir sind, was zu unserer Geschichte gehört und was wir wollen. Sie war hoch emotional, sie war schmerzhaft, sie war eine Diskussion, die in der Form wichtig war, gerade weil es um Grundfragen der Identität und der Selbstbestimmung ging. Nach mehreren Wellen der Namensdiskussion war es Zeit und wichtig, in aller Transparenz und Offenheit zu diskutieren und eine Entscheidung herbeiführen. Warum haben Sie sich entschlossen, kein drittes Mal als Rektorin anzutreten? Aus meiner persönlichen Perspektive heraus, weil ich altersbedingt nicht weiter arbeiten möchte. Grundsätzlich bin ich auch der Überzeugung, dass es einer Universität gut tut, wenn sie regelmäßig erneuert wird, auch in der Hochschulleitung. Eine Universität bedarf auch immer neue Leitungspersönlichkeiten, die neue Entwicklungen aufgreifen. Man wird zwangsläufig betriebsblind. Zwei Amtsperioden sind genug. Von Katharina Degrassi