Software-Skandal: Vorpommern-Greifswalds Landrat Sack unter Beschuss

Der Skandal um die einst preisgekrönte Software Sojus, den Ex-Sozialsenator Dirk Scheer und den Landrat Michael Sack (CDU) geht in die nächste Runde. Diesmal steht der CDU-Landesvorsitzende und CDU-Kandidat für den Ministerpräsidentenposten im Fokus. Die Kreistagsfraktionen von Linke und SPD fordern lückenlose Aufklärung. „Mittlerweile spricht vieles dafür, dass alle Vorwürfe gegen Dirk Scheer haltlos sind“, sagt Erik von Malottki, SPD-Kreistagsmitglied. Vor wenigen Wochen hatte die Staatsanwaltschaft Stralsund alle Ermittlungen gegen Scheer wegen Bestechung, Beihilfe zum Betrug und Untreue eingestellt. „Der Person Scheer wurde ein krasser Schaden zugefügt. Ich möchte genau wissen, was damals passiert ist und auf Grundlage welcher Indizien der Landkreis Strafanzeige gegen Scheer gestellt hat“, sagt von Malottki. Außerdem will er überprüfen, ob Sack möglicherweise gelogen hat. Er hat deswegen Antrag auf Akteneinsicht in alle Dokumente der Kreisverwaltung gestellt. Skandal wurde unübersichtlich: Auch die Kreistagsfraktion Die Linke fordert von Michael Sack, dass er zu seinen damals erhobenen Vorwürfen gegen seinen Sozialsenator Stellung bezieht. „Wer sich derart weit mit Anschuldigungen aus dem Fenster lehnt und Dinge öffentlich herausposaunt, muss sich Fragen gefallen lassen, wenn diese nun alle entkräftet wurden“, sagt Michael Harcks, Vorsitzender der Linksfraktion. Die beiden Fraktionen hatten bereits einen 13 Punkte umfassenden Fragenkatalog an den Landrat gestellt. Lesen Sie auch: "Sojus"-Affäre in Vorpommern-Greifswald: Ermittlungen gegen Michael Sack? Vorpommern-Greifswald: Ermittlungen gegen Ex-Sozialsenator eingestellt Vorpommern-Greifswald: Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Sozialdezernenten Weil sie mit mehreren Antworten unzufrieden sind, muss die Verwaltung nun nacharbeiten. Während der Kreistagssitzung am Montag in Pasewalk verweigerte Landrat Sack die Antworten auf die Fragen der Fraktionsmitglieder mit Verweis auf den Datenschutz. SPD-Mann von Malottki schlägt nun die Einrichtung eines zeitweiligen Ausschusses zur Klärung der Vorkommnisse im Zusammenhang mit der Software Sojus vor. Im Skandal um Sojus ist es längst unübersichtlich geworden. 2017 und 2018 erhielt die Software mehrere Preise, wurde vom Vorzeigeprojekt des Landkreises und sollte für massive Verwaltungs- und Geldersparnis im Sozialbereich sorgen. Ein Jahr später hieß es, sie funktioniere gar nicht. Erst wurde gegen den Sozialdezernenten Scheer wegen Korruption und Bestechung ermittelt, mehr als ein Jahr später stellte die Staatsanwaltschaft das Verfahren ein, weil es nicht mal einen Anfangsverdacht gegeben habe. Jetzt soll das Innenministerium gegen Sack ermitteln, weil er seinem Landkreis geschadet habe. Um Licht ins Wirrwarr zu bringen, macht die OZ den Faktencheck: Laufen mehrere Klagen gegen den Landkreis wegen Sojus? Ja, das ist richtig. Die Firma Veberas, die die Software im Auftrag des Kreises entwickelt hat, klagt in zwei Verfahren auf die Zahlung von Honoraren in Höhe von etwa 200.000 Euro. Anhängig sind außerdem Unterlassungsklagen, unter anderem geht es darum, dass dem Landkreis untersagt werden soll, zu behaupten, die entwickelte Software funktioniere nicht. Sojus bezeichnet das Serviceportal für Soziales und Jugend. Das mit zwei Bundespreisen ausgezeichnete Projekt wurde als Sparmaßnahme im Sozialdezernat des Landkreises Vorpommern-Greifswald entwickelt. Die Online-Plattform sollte es den Mitarbeitern im Jugendamt ermöglichen, Kinder bei Problemen im Elternhaus schnell in Heimen oder Tagesgruppen unterzubringen. Derzeit telefonieren Sozialarbeiter lange umher oder suchen in Akten. Durch Sojus sollten alle Angebote freier Träger digital gebündelt und schnell verfügbar sein. Funktioniert die Software denn? Nach Aussage der Staatsanwaltschaft Stralsund funktioniert die Software. Wie Oberstaatsanwalt Martin Cloppenburg mitteilt, habe sich die Staatsanwaltschaft das Funktionieren der Software in den Firmenräumen vorführen lassen. Der OZ liegt zudem ein von Landrat Michael Sack unterzeichnetes Dokument vor, in dem er anweist, die Nutzung der DV-gestützten Organisationsanwendung Sojus innerhalb der Kreisverwaltung und bei den freien Trägern der Wohlfahrtspflege ab sofort einzustellen. „Die bisher über die Nutzung der o.g. Organisationsanwendung abgewickelten Geschäftsprozesse sind so zu organisieren, dass diese wie bisher ohne „SoJuS“ laufen können.“ Das Schreiben ist datiert auf den 28. März 2019. Der OZ gegenüber hatte Landrat Sack jedoch mehrfach gesagt, die Software Sojus habe nicht funktioniert. Entsteht dem Kreis durch den Ärger ein finanzieller Schaden? Ja. Der größte Posten beläuft sich bislang auf 100.000 Euro. Diese Summe ist zwischen Juni 2019 und Oktober 2020 für die Freistellung eines Kreismitarbeiters aufgelaufen. Die Gehaltskosten fallen monatlich weiter an. Zudem sind Anwaltskosten im Zusammenhang mit den beiden Verfahren gegen den Kreis in Höhe von knapp 10.000 Euro entstanden. Außerdem wurden in den vergangenen Jahren mehrfach Honorare an die Entwicklerfirma gezahlt. Da die Software jedoch nicht genutzt wird, sind auch diese Kosten als finanzieller Schaden für den Kreis anzusehen. Wieso wurde ein Mitarbeiter der Kreisverwaltung im Zuge des Sojus-Skandals beurlaubt? Eine solche Maßnahme ist möglich, wenn das Vertrauensverhältnis zwischen der Kreisverwaltung als Arbeitgeber und dem Arbeitnehmer schwerwiegend gestört ist oder massive Pflichtverletzungen vorliegen. Es handelt sich um einen engen Mitarbeiter des ehemaligen Sozialdezernenten Scheer. Die Vorwürfe der Bestechlichkeit, Untreue und Beihilfe zum Betrug erstreckten sich ebenfalls auf den Sachbearbeiter. Auf die Anfrage der OZ, ob der Mitarbeiter nach der Einstellung des Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft Stralsund, wieder arbeiten darf, verweist Anke Radlof, Mitarbeiterin der Pressestelle der Kreisverwaltung, auf den Datenschutz. Sollte Dirk Scheers Kandidatur für den Landratswahlkampf durch eine Intrige behindert werden? Es gibt durchaus Verdachtsmomente, allerdings keine Beweise. Ein Gerücht besagt beispielsweise, dass Scheer von der CDU aufgefordert worden sein soll, auf seine Kandidatur als Landrat zu verzichten. Im Gegenzug soll ihm zugesichert worden sein, die CDU werde ihn als Sozialsenator wiederwählen. Verzichte er nicht auf seine Kandidatur, werde die CDU alles unternehmen, damit er den Posten verliert. Der Rechnungsprüfungsausschuss tagt nichtöffentlich. Die Vorwürfe gegen Sojus und Scheer wurden damals nicht öffentlich behandelt. Hätte Scheer nicht zeitgleich für den Posten des Landrates kandidiert, wäre das Interesse womöglich deutlich niedriger gewesen, diese Informationen der Öffentlichkeit zuzuspielen. Die zeitliche Nähe zwischen Wahlkampf und erstmaligen Vorwürfen sowie Strafanzeige und bevorstehende Wiederwahl sind zumindest auffällig. Wie waren die zeitlichen Zusammenhänge zwischen der Kandidatur und den Ermittlungen? Dirk Scheer gab seine Kandidatur im Januar 2018 bekannt. Im April 2018, wenige Wochen vor der Landratswahl, wurden erstmals Vorwürfe gegen Scheer und das Projekt Sojus bekannt. An der Software wird bereits seit 2015 gearbeitet. 2018 stand jedoch die reguläre Prüfung des Jahresabschlusses von 2015 an. „Ich war Vorsitzender des Rechnungsprüfungsausschusses, als die Vorwürfe erstmals aufkamen. Das haben die Wadenbeißer Egbert Liskow und Beate Schlupp (beide CDU) damals enorm vorangetrieben“, blickt Michael Harcks, Vorsitzender der Fraktion die Linke, zurück. Was wurde damals genau kritisiert? Das Rechnungsprüfungsamt hat bei der Prüfung der Jahresabschlüsse 2015 festgestellt, dass Dirk Scheer die Verträge für das Projekt Sojus alleine unterschrieben hat, obwohl die Unterschriften der Landrätin, eines Stellvertreters sowie das Dienstsiegel erforderlich gewesen wären. Außerdem sei aufgefallen, dass es statt vieler Einzelverträge einen Gesamtvertrag hätte geben müssen. Harcks, damals Vorsitzender des Rechnungsprüfungsausschusses, sagt: „Aus meiner Sicht hat es damals nicht nur im Bereich Soziales Beanstandungen gegeben, sondern in nahezu allen Bereichen der Kreisverwaltung. Das hatte mit der Kreisgebietsreform zu tun und der Doppik, die parallel eingeführt worden ist“, so Harcks. Über Jahre habe Chaos geherrscht. Die damalige Landrätin Barbara Syrbe (Linke) stellte sich zunächst hinter Scheer, sagte, dass es sich um Fehler handele, die geheilt werden können und dass Fehler passieren, wo gearbeitet werde. Einige Wochen später äußerte sie sich deutlich zurückhaltender und schützte Scheer nicht mehr. Es gab eine interne Revision. Also hat gar nicht Sack sondern Syrbe gegen Scheer ermitteln lassen? Das ist korrekt. Die interne Revision wurde im September 2018 von der ehemaligen Landrätin Barbara Syrbe (Linke) und ihren beiden CDU-Beigeordneten Dietger Wille und Jörg Hasselmann auf den Weg gebracht. Im Oktober 2018 übernahm Michael Sack den Posten des Verwaltungschefs. Laut einer Presseinformation der Kreisverwaltung wurde aufgrund von Zwischenergebnissen der Prüfung im Februar 2019 entschieden, Strafanzeige gegen Scheer zu stellen. Sack reichte die Strafanzeigen vom Februar und Mai persönlich ein. Kann die Anzeige gegen Scheer seine Wiederwahl als Sozialsenator verhindert haben? Theoretisch ja. Zwar waren seine Chancen nach den Querelen um Sojus gesunken und die CDU als größte Kreistagsfraktion machte keinen Hehl daraus, dass sie Scheer niemals unterstützen würde. Aber die CDU hätte zusammen mit allen Stimmen von AfD und NPD nur 34 Stimmen gehabt, also keine Mehrheit der 69 Abgeordneten. In allen anderen Fraktionen hatte Scheer vor den Querelen um Sojus Unterstützer, sodass zumindest nicht vorhersehbar gewesen wäre, wie diese abstimmen. „Nach der Strafanzeige war uns als SPD-Fraktion klar, dass Scheer als Kandidat nicht mehr tragbar ist. Wir waren uns sicher, wenn der Landkreis so einen dramatischen Schritt einer Strafanzeige geht, muss etwas dahinterstecken“, erklärt Erik von Malottki. „Ich fühle mich vorgeführt und benutzt. Es fühlt sich an, als ob wir getäuscht wurden“, so der SPD-Abgeordnete weiter. Von Katharina Degrassi