Stadtwerke Greifswald stehen trotz hoher coronabedingter Verluste gut da

Die Stadtwerke Greifswald haben im schwierigen Jahr der Corona-Pandemie einen Gewinn von 3,5 Millionen Euro erwirtschaftet. Eine beachtliche Leistung, wenn man bedenkt, dass das kommunale Unternehmen die Verluste aus Freizeitbad und öffentlichem Personennahverkehr ausgleicht und das Minus durch die Pandemie hier besonders groß war. Warum die Gewinne trotzdem nichts mit dem Strompreis zu tun haben, den die Greifswalder zahlen, erklärt Stadtwerke-Geschäftsführer Thomas Prauße im Interview mit der OSTSEE-ZEITUNG. Was ist die größte Herausforderung während der Corona-Pandemie? Thomas Prauße: Für die Stadtwerke Greifswald sind während der Corona-Pandemie zwei Dinge gleich wichtig. Wir müssen auf der einen Seite gewährleisten, dass die Menschen zuverlässig mit Strom, Gas, Fernwärme und Wasser versorgt werden und gleichzeitig dafür sorgen, dass die Gesundheit der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen bestmöglich geschützt wird. Ich erinnere mich noch genau daran, wie damals die Bilder aus Italien im Fernsehen liefen, von Menschen, die auf Feldliegen gestorben sind mit der Info, dass damals Menschen kontrolliert sterben gelassen wurden. Es war eine Zeit, in der viel Angst herrschte und wir nicht wussten, was auf uns zukommt. Was hat Ihnen daran besonders Sorge bereitet? Zum Beispiel unser Kraftwerk arbeitet in drei Schichten. Wenn zwei Schichten wegen Quarantäne ausfallen, wird es sehr schwer, das Kraftwerk weiter zu betreiben. Das ist ein großes Problem. Wir haben deswegen damals Wohncontainer aufgestellt und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter waren über Ostern zehn Tage quasi von der Außenwelt abgeschnitten. Sie waren dort von ihren Familien und Freunden getrennt. In ihrer Arbeits- oder Freizeit, sie waren immer dort. Die Mitarbeiter in Containern unterzubringen war eine extreme Entscheidung. Ja. Wir hatten auch am Wasserwerk einen Container. Dort war eine Mitarbeiterin sogar komplett über zehn Tage allein. Wir haben die Container noch immer gemietet, weil wir nicht sicher sind, ob wir sie vielleicht doch noch einmal brauchen. Ich war und bin wirklich begeistert, dass die Kolleginnen und Kollegen dazu bereit waren und eingesehen haben, dass es notwendig war und es damals keinen anderen Weg gab. Wir haben den Mitarbeitern dort einen Fernseher in den Container gestellt, eine Playstation, einen Billardtisch und eine Tischtennisplatte. Und dann gab es noch etwas ganz Besonderes. Die isolierten Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen bekamen das Angebot, dass sie sich am Ostersonntag ihr Leibgericht wünschen können und andere Kollegen der Stadtwerke es für sie kochen. Das war eine Idee Ihrer Mitarbeiterinnen? Genau. Eine solche Verbundenheit der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen mit dem Unternehmen habe ich noch nie erlebt. Das ist schon etwas Besonderes, wie die Menschen hier zueinanderstehen. Verbundenheit zeigt sich in Krisen, nicht im Sommer, wenn Schönwetter ist. Das macht mich stolz. 2020 war kein schlechtes Jahr. Gesellschaftlich, persönlich und unternehmerisch haben wir viel gelernt und eine Entwicklung erlebt, die es ohne die Krise nicht gegeben hätte. Es gab auch eine Spendenaktion von Urlaubstagen und Urlaubsstunden bei den Stadtwerken. Gleich zu Beginn des ersten Lockdowns wurde allen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen ein fünftägiger Sonderurlaub gewährt, damit sich jeder organisieren konnte. Die Mitarbeiter der Risikogruppe wurden grundsätzlich nach Hause geschickt. Der Schutz der Beschäftigten steht ganz weit vorne. Damals kam der Betriebsrat zu mir und fragte, was ich davon halte, wenn wir eine Spendenaktion machen. Jeder Mitarbeiter konnte von seinem Sonderurlaub Stunden oder Tage spenden, wenn er sie selbst nicht benötigte. Da sind 2500 Stunden zusammengekommen, mit denen wir alle Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Risikogruppe in den Monaten März und April zu Hause lassen konnten, bei voller Bezahlung. Das war eine Wahnsinnsaktion. Ab Mai gab es dann die Möglichkeit, in Kurzarbeit zu gehen. Diese Kollegen haben bis zu 95 Prozent ihrer Bezüge erhalten. Sie sehen so aus, als ob es weitere Beispiele gibt. Gerade erst vor wenigen Wochen hat sich der Betriebsrat des Freizeitbades zusammengesetzt und hat angeboten, freiwillig auf einen Teil der jährlichen Leistungsvergütung zu verzichten, die ihnen laut Tarifvertrag zusteht. Sie haben sich überlegt, dass sie nur sechs statt zwölf Monate gearbeitet haben, weil das Freizeitbad geschlossen war. Das ist ein unheimlich hoher symbolischer Wert, mit dem die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ein Zeichen für ihr Unternehmen setzen. Das berührt mich sehr. Sie haben gerade die Schließung des Freizeitbades erwähnt. Was hat das wirtschaftlich für die Stadtwerke bedeutet? Das Freizeitbad fährt jedes Jahr ein Minus von etwa 1,5 Millionen Euro ein, weil sich Freizeitbäder grundsätzlich nicht kostendeckend oder gewinnbringend betreiben lassen. Durch die Schließung im vergangenen Jahr und die deutlich geringeren Besucherzahlen in den geöffneten Monaten haben wir ein zusätzliches Defizit, der Verlust steigt in 2020 auf fast zwei Millionen Euro, den die Stadtwerke komplett tragen müssen. Bekommen Sie keinerlei staatliche Unterstützung aus einem Hilfspaket? Doch, nach zwischenzeitlicher Klarstellung durch die Gesetzgebung erwarten wir hier eine Beihilfe von voraussichtlich 200 000 Euro. Das deckt nur einen kleinen Teil des Verlustes. Was bedeutet der zweite Lockdown wirtschaftlich fürs Schwimmbad? Wenn aus dem Defizit von zwei Millionen Euro auf einmal drei Millionen Euro oder mehr werden, wird es kritisch. Auf der einen Seite fehlen uns zwar Einnahmen, auf der anderen Seite haben wir aber auch geringere Kosten, weil wir derzeit weniger Energie und Personalkosten brauchen. Die Stadtwerke Greifswald haben 2020 ein positives Jahresergebnis mit zirka 3,5 Millionen Euro Gewinn erzielt. Dieses Polster hilft uns in solchen Situationen. Wir erzielen die Gewinne aus der Bundesförderung für Kraft-Wärme-Kopplung. Deswegen ist die Fernwärme für uns so wichtig. Wir brauchen sie als Wärmelieferung, weil sie in Kraft-Wärme-Kopplung produziert und über die Bundesförderung finanziert wird. Sie müssen nicht nur die Verluste des Freizeitbades ausgleichen. Auch der öffentliche Personennahverkehr ist jedes Jahr ein Verlustgeschäft. Durch den Lockdown sind deutlich weniger Menschen Bus gefahren. Auch beim ÖPNV müssen wir ein jährliches Defizit von etwa zwei Millionen Euro decken. Durch Corona haben wir einen drastischen Einbruch der Fahrgastzahlen und fahren seit Monaten nur noch den reduzierten Coronafahrplan. Das bedeutet für den ersten Lockdown ein zusätzliches Defizit in Höhe von zirka 650 000 Euro. Zum Glück gibt es für den ÖPNV einen Rettungsschirm. Für die erste Lockdown-Phase haben wir etwa 500 000 Euro Unterstützung vom Bund bekommen. Wir hoffen, dass es diesen Rettungsschirm auch für den zweiten Lockdown gibt. Ist das die komplette coronabedingte Verluststumme im ÖPNV? Nein, etwa 60 000 Euro haben wir in zusätzliche Schutzmaßnahmen investiert, wie Plexiglasscheiben vorne beim Busfahrer. Diese Aufwendungen werden nicht durch den Rettungsschirm finanziert. Und wie ist es im Coronajahr im Bereich Strom gelaufen? Wir haben keine Großindustrie in unserer Kundenstruktur. Das ist in der Coronakrise von Vorteil. Durch die Ausfälle beispielsweise bei den Werften hatten andere Energieversorger teils Außenstände in Millionenhöhe. Das ist bei uns nicht der Fall. 2020 sind unsere Außenstände zeitweise nur um etwa 100 000 Euro gestiegen. Wir haben während des Lockdowns unsere größeren mittelständischen Kunden angerufen und gefragt, ob sie ihre Rechnungen zahlen können oder sie Hilfe brauchen. Das ist gut angekommen. Sie haben zum Jahresbeginn alle Privatkunden komplett auf Ökostrom umgestellt und den Preis gleichzeitig leicht gesenkt. War das eine wirtschaftliche Entscheidung? Nein, die Umstellung auf Ökostrom war politisch gewünscht. Wir haben dieses Ziel deutlich schneller und konsequenter umgesetzt, als es der Auftrag von der Bürgerschaft an die Stadtwerke vorsah. Es ist eine gute Sache, zusammen mit den Kunden Klimaschutz zu machen. Das ist auch ein Signal an unsere Kunden. Bei uns bekommen sie 100 Prozent Ökostrom auf dem höchsten Umweltlabel und müssen nichts dazuzahlen. Das motiviert doch, bei den Stadtwerken zu bleiben. Ohne unsere Kunden sind wir gar nichts. Die Umweltbewegung Fridays for Future würde Ihnen jetzt gar nicht zustimmen, dass Sie ein umweltfreundliches Unternehmen sind, weil Sie in großen Mengen Erdgas nutzen. Erdgas ist die Brückentechnologie für die nächsten zehn Jahre, die wir für die Versorgungssicherheit brauchen, wenn wir auf Kohle und Kernenergie verzichten. Unsere Fernwärme erzeugen wir dabei in der hocheffizienten und umweltfreundlichen Kraft-Wärme-Kopplung. Aber wir setzen in zunehmendem Maße auch auf Bioerdgas. Eines unserer Blockheizkraftwerke wird seit dem ersten Januar mit reinem Biomethan betrieben. Das sind 100 Prozent ökologische Fernwärme bei 100 Prozent erneuerbaren Energien. Die Bürgerschaft hat Klimaziele verabschiedet, die auch Sie als Stadtwerke erreichen müssen. Der von der Bürgerschaft verabschiedete Klimaaktionsplan fordert, dass wir bis 2035 zehn Prozent der Fernwärme regenerativ produzieren. Die Stadtwerke werden bereits 2024 etwa 25 Prozent der Fernwärme regenerativ liefern. 2035 soll der Primärfaktor laut Klimaaktionsplan bei 0,5 liegen. Er beträgt jetzt schon nur noch 0,28 (Anm. d. Red.: je geringer desto besser). Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht und alle Anforderungen bereits übererfüllt. Die Erdgas-Busse der Stadtwerke fahren zu 100 Prozent mit Bioerdgas. Das ist ökologisch dem Batteriebus gleichgesetzt und klimaneutral. Der Elektrobus ist nicht umweltfreundlicher als der Bioerdgasbus. Wir haben mit großem Abstand die modernste und umweltfreundlichste Busflotte. Dann haben Sie noch eine Investition in Höhe von 45 Millionen Euro für einen Solarthermiepark vor der Brust. Das ist ein deutliches Signal in Richtung Klimaschutz. In dem größten Investitionsprogramm in der Geschichte der Stadtwerke bauen wir auf vier Hektar den größten Solarthermiepark Deutschlands auf Basis der Vakuumröhrentechnik. Die Vakuumröhren sind dabei deutlich effizienter als Flächenkollektoren. Das ist einzigartig. Wir setzen hier schon wieder einen Benchmark. Wir sind jetzt beim ersten Bauabschnitt des Solarthermieparks. Der zweite Bauabschnitt für die große Wärmepumpe wurde jetzt genehmigt. Damit erfüllen wir das Ziel, die Stadt nach Möglichkeit in den Sommermonaten mit 100 Prozent regenerativer Fernwärme zu versorgen. Im Jahr erzeugen wir die große Menge von circa 250 Megawattstunden Fernwärme, damit sind wir quasi ein Großversorger. Von Katharina Degrassi