Wildschweinplage in Greifswald: Wer ist dafür verantwortlich?

Ein Friedhof wird gesperrt, ein beliebter Spazierweg darf nicht mehr betreten werden, eine Sporthalle wird umzäunt und in den sozialen Medien kursieren etliche Videos, die das tierische Ausmaß in Greifswald zeigen: Immer häufiger treten Wildschweinrotten am helllichten Tag in Wohngebieten auf, überqueren Straßen, ohne sich an den Autos zu stören, gehen seelenruhig in der Nähe von Wohnhäusern auf Futtersuche. Zwischen 70 bis 80 Tiere aller Altersgruppen würden sich derzeit laut Verwaltung im Stadtbereich aufhalten. Zwar steige die Population bundesweit merklich an. Doch in der Hansestadt seien es im Vergleich zum Vorjahr nicht mehr Tiere, sagt der Wildtiermanager Heiko Gust. Vielmehr hätten die Tiere die Scheu vor dem Menschen verloren und seien deutlich mehr am Tag aktiv, fügt Oberbürgermeister Stefan Fassbinder (Grüne) an. Futterstellen und Futterangebot: Einfallstor für die Wildschweine: Das wohl größte Problem sieht die Verwaltung beim Nahrungsangebot: Zum Teil werden die Tiere bewusst angefüttert oder stürzen sich auf das Fressen, das freilaufende Katzen in der Stadt von Anwohnern erhalten. So auch im Fall des Studentensteigs, der vor anderthalb Wochen gesperrt wurde: „Dort ist das Problem mit der Fütterung akut“, sagt Fassbinder. Weiter erklärt er: „Das große Thema sind Futterstellen und das Futterangebot. Dieses Einfallstor zu beseitigen, schaffen wir nur, wenn alle mitmachen. Als Stadtverwaltung können wir das nicht allein lösen.“ Seit Ende vergangener Woche ist das Füttern von Wildtieren in der Hansestadt untersagt. In den letzten zehn Jahren hätten die Tiere viel dazugelernt, erklärt Wildtiermanager Gust. Die Kenntnisse hätten die Bachen an die Frischlinge weitergegeben. „Sie wissen, wo sie sind, wo sie bei Gefahr hinflüchten können und wo es Nahrung für sie gibt.“ Auch Gust bestätigt: Letzteres sei eine der Hauptursachen, „warum die Tiere in Massen ins Stadtgebiet drängen“. Hinzu kommen würde ein reichliches Nahrungsangebot von Komposthaufen und Restmüll. Paradies für die Tiere auch wegen Baum- und Strauchabfällen: Das derzeitig gehäufte Auftreten der Tiere in der Stadt hänge auch mit der Corona-Pandemie zusammen, erklärte der Wildtiermanager auf einer Pressekonferenz. Demnach gebe es einen sehr hohen Besucherdruck auf die umliegenden Wälder, so dass sich die Tiere andere Orte suchen würden. „Das vermehrte Auftreten hat, wenn überhaupt, wenig zu tun mit coronabedingt vermehrter Nutzung der umliegenden Wälder durch Spaziergänger“, widerspricht der Hansestädter Töns Föste, der sich per E-Mail an die OZ wendete. Vielmehr seien zögerlich ergriffene Gegenmaßnahmen der Grund, so Föste weiter, der das Auftreten der Wildschweine im Stadtgebiet in den letzten 10 bis 15 Jahren beobachte. Tipps: So können Greifswalder ihr Grundstück wildschweinsicher machen Vor allem im Ortsteil Eldena haben es sich die Tiere derzeit gemütlich gemacht. „Hier im Wäldchen zwischen Koitenhäger/Wolgaster Landstraße und den Reihenhäusern am Gartenweg ist in letzter Zeit ein Paradies für die Wildschweine entstanden“, schrieb Albert Meinhardt an die Greifswalder Lokalredaktion. Dort seien Lagerflächen aus Baum- und Strauchabfällen geschaffen worden, beschreibt der Anwohner weiter. „Dazu kommen Bioabfallbehälter und sonstige Entsorgungen. Alles natürlich außerhalb der Grundstücke. Da haben die Wildschweine beste Wohnbedingungen und genügend zum Fressen. Hier kurzfristig aufzuräumen würde schon eine Menge bringen.“ Lesen Sie auch Wildschwein-Plage in Greifswald: Verwaltung prüft Bejagung der Tiere Videos zeigen Wildschweine mitten in Greifswald: Bürger haben Angst Immer mehr Wildschweine in Greifswald: Bache bekommt Junge mitten in der Stadt Auch in dem sozialen Netzwerk Facebook wird über das vermehrte Aufkommen der Wildschweine in Greifswald diskutiert. „Mitten im Wohngebiet! Da muss etwas unternommen werden“, schreibt Facebook-Nutzerin Karin Hopf. „Ich habe eher Angst um die Wildschweine, deren Lebensraum wir immer mehr einnehmen...“, kommentiert hingegen Nicole Ger. „Andere Städte wären froh, wenn es nur Wildschweine wären“, schrieb Facebook-Nutzer Christian Schrey. Wildschweine seien eigentlich menschenscheu, wenn sie sich nicht bedroht fühlen, ergänzte Franziska Seibt: „Aber es wird ja genug Essen auf die Straßen geschmissen.“ Tierschutzpartei: Bisherige Maßnahmen der Verwaltung genügen: Die Tierschutzpartei appelliert derweil an die Vernunft und Empathie der Greifswalder. „Die wohl größte Befürchtung ist, dass es immer mehr werden, ginge man nicht gegen sie vor“, sagte Anja Hübner von der Partei in einem Statement. „Diese Angst ist aber völlig unbegründet. Wildschweine leben in festen Familienstrukturen, die Jungtiere wandern ab, sobald sie alt genug sind. Das heißt: Die Rottengröße bleibt relativ konstant, nur sehr selten gibt es sogenannte Überläufer.“ Statistisch gesehen greifen Wildschweine nur äußerst selten Menschen an, so Hübner weiter. Die derzeit angewandten Maßnahmen (Anm. d. R.: der Einsatz von chemischen Vergrämungsmitteln, Störaktionen, Wildtierfütterungsverbot, Schutzzäune in bestimmten Bereichen) seitens der Stadt seien ausreichend, so die Tierschutzpartei. Vielmehr mangele es an Wissen und Verständnis gegenüber den Tieren. Von Christin Lachmann