Abtshagen: Letzte Ruhestätte im Wald

425 Menschen fanden in den vergangenen elf Jahren im Ruheforst Rügen/Abtshagen ihre letzte Ruhestätte. 850 weitere sogenannte RuheBiotope haben sich Menschen bereits gesichert, die in dem etwa 3000 Hektar großen Wald zwischen Abtshagen und Franzburg beigesetzt werden wollen. Die Nachfrage sei in den vergangenen Jahren enorm gestiegen, sagt Förster Christian Schulz. So sehr, dass der Ruheforst im kommenden Jahr von aktuell drei Hektar auf 4,5 Hektar erweitert wird. Im Jahr 2009 wurde der Waldfriedhof eingewidmet – für 99 Jahre. Das bedeutet, dass mindestens bis zum Jahr 2108 an dieser Stelle die biologisch abbaubaren Urnen mit der Asche der Verstorbenen eins mit dem Wald werden. Hündin Anna ist immer dabei: Der 36-jährige Förster aus dem Forstamt Poggendorf hat keinen alltäglichen Beruf. Christian Schulz ist Ansprechpartner für Trauernde und Hinterbliebene. Er führt die Menschen durch den Ruheforst: sucht Bäume aus, tröstet, plant, organisiert – manchmal wird er „Ruheförster“ genannt. Er hebt die Gräber eigenhändig mit einem Spaten aus und manchmal ist er auch der Mann, der die Urne ganz allein auf die letzte große Reise schickt. Zuletzt bei einer 80-jährigen Dame aus der Region. Der Sohn lebt im Süden Deutschlands und hatte keine Zeit, sich um die Beisetzung der Mutter zu kümmern. Keine Verwandten und Freunde finden Zeit, um an der Zeremonie teilzunehmen, und so sind es Christian Schulz und seine Hündin Anna, die der Dame ganz allein, still und sehr würdevoll die letzte Ehre erweisen. Anna ist ein kleiner Hund mit großem Gespür, der den Menschen hilft, wenn die Trauer zu groß für gesprochene Worte ist. Wenn die Hand ein bisschen warmes Fell und das Leben spüren muss, ist Anna für die Trauernden da. „Sie ist kein ausgebildeter Trauer-Begleithund. Aber sie hat großes Talent und schon vielen Menschen geholfen.“ Anna ist genauso lange wie ihr Herrchen im Einsatz auf dem Ruheforst. Bäume sind bis zu 250 Jahre alt: Zu 95 Prozent besteht der Wald an dieser Stelle aus Buchen und Eichen. Zwischen 100 und 250 Jahre sind sie alt, manche tragen ein Vogelhäuschen am Stamm und an den meisten von ihnen sind kleine Gedenktafeln angebracht, die an das Leben eines Menschen erinnern. Der Ruheforst ist urig. „Er soll auch nicht wie ein Park wirken“, sagt Christian Schulz. Von den 800 Bäumen des Areals zeigen 238 das Potenzial, noch bis zum Jahr 2108 gesund und prächtig zu bleiben. Sie wurden für die RuheBiotope ausgewählt. Zwölf Urnen können um einen Baum angeordnet werden – wie das Ziffernblatt einer Uhr. Es gibt Familienbäume, in denen ganze Familien zur Ruhe kommen, und Gemeinschaftsbäume. Die Urnen liegen in einem Abstand von etwa 2,50 Meter einen Meter tief im Waldboden. „Sackt der Boden an einer Stelle ein bisschen ab, dann weiß ich, jetzt hat sich die Urne zersetzt und Herr Meier ist teil des Waldes geworden.“ Viele Worte von Christian Schulz lösen eine Gänsehaut aus. Es herrscht eine friedvolle Atmosphäre, obwohl die Straße und hektischer Autoverkehr ziemlich dicht am Waldfriedhof entlangführen. Bis zu 70 Beisetzungen jährlich: Etwa 70 Beisetzungen finden hier jährlich statt. Die größte Trauerfeier fand mit 250 Menschen statt. Christian Schulz ist sehr flexibel und setzt auch eher unkonventionelle Trauerfeiern um. Ein Kaltblüter, der auf dem Sattel die Urne eines verstorbenen Kutschers zu Grabe trägt, oder die Witwe, die ihrem geliebten Mann noch eine Pellkartoffel auf die letzte Reise mitgibt, Livemusik auf dem kleinen Andachtsplatz mit dem hölzernen Kreuz – vieles ist möglich, die Konfession egal. „Und oft ist es auch gar nicht so todtraurig, wie man vielleicht denkt.“ Nur wenn es sich um verstorbene Kinder und junge Menschen handelt, wird auch Christian Schulz so ruhig, dass nur noch das Rauschen der Blätter zu hören ist. Lesen Sie auch Greifswald: Spaziergang zwischen Gruft und Geschichte Im hinteren Teil des Waldfriedhofs liegt es: das Regenbogen-Biotop. Ein Ort, an dem Kinder liegen, die vor ihrem zehnten Lebensjahr verstarben. Acht waren es in den vergangenen zehn Jahren, das weiß der Vater einer kleinen Tochter genau. Dann müssen die Eltern keine Gebühren für den Liegeplatz zahlen, das Schicksal habe die Eltern teuer genug getroffen, sagt der Ruheförster still. Zwischen 595 Euro und 1755,25 Euro, je nach Alter des Baumes, kostet die Liegestelle. Im Unterschied zum normalen Friedhof wird die Gebühr einmalig gezahlt und gilt für 99 Jahre. Aber Teil des Waldes bleiben die Menschen für immer. AnsprechpartnerChristian Schulz 0173/ 24 722 45; Mail: christian.schulz@lfoa-mv.de Internet: www.wald-mv.de Von Carolin Riemer