Mit Trillerpfeifen und Rasseln zum Markt

Der öffentliche Dienst lässt die Muskeln spielen. Nach der Demonstration mit 800 Teilnehmern am Mittwoch in Altentreptow ziehen gestern Vormittag nach Angaben von Gewerkschaften mehr als 1000 öffentlich Bedienstete aus ganz Vorpommern durch Grimmen. Vom Kulturhaus „Treffpunkt Europas“ bewegt sich der bunte Zug der Streikenden mit Fahnen und Transparenten unter dem Lärm von Trillerpfeifen und Rasseln zum Marktplatz. An mehr als der Hälfte der rund 190 Schulen in Vorpommern fand gestern kein Unterricht statt. Aber unter Demonstrierenden sind nicht nur Lehrer, sondern auch Angestellte anderer Landesdienststellen wie beispielsweise des Straßenbauamtes Stralsund. Aufgerufen dazu hatten unter anderem die Gewerkschaften Erziehung und Wissenschaft (GEW), Verdi, die Gewerkschaft der Polizei (GdP) und der Deutsche Beamtenbund (dbb) Mecklenburg-Vorpommerns. GEW-Chefin Annett Lindner zeigt sich begeistert: „So etwas hat Grimmen wohl noch nicht erlebt. Es sind mehr Teilnehmer gekommen, als wir gedacht haben.“ Für die Beschäftigten der Länder geht es um eine Gehaltserhöhung von 5,5 Prozent, mindestens jedoch 175 Euro monatlich, bei einer Laufzeit von zwölf Monaten. Aber nicht ausschließlich darum. Es gehe um Gerechtigkeit, sagt Angelika Lange, Lehrerin an der Beruflichen Schule Greifswald, der OSTSEE-ZEITUNG. „Alle Kollegen bei uns sind über 50“, erklärt die 56-Jährige. Junge Beamte bekämen mehr Gehalt als ältere Kollegen, die mehr als 20 Jahre im Schuldienst tätig sind, benennt sie ein Ärgernis. Und: „Wir haben die Zwangsteilzeit überstanden und dann Arbeitszeiterhöhung bei gleichem Lohn hingenommen. Wenn man uns jetzt an die Alterversorgung geht, ist das ungerecht.“ „Wir fordern eine einheitliche Eingruppierung“, sagt Karin Lindenblatt, Lehrerin an der Grundschule „Villa Kunterbunt“ in Anklam, während sich hinter ihr vor dem „Treffpunkt Europas“ die Schar der Unzufriedenen zum Protestmarsch durch die Stadt sammelt. „Ich bin seit 39 Jahren im Dienst, habe alles mitgemacht. Nach der Wende sind wir mit den Stunden runter, damit andere bleiben konnten. Jetzt will der Arbeitgeber an die Betriebsrente ran. Das ist das Letzte!“ Auch sei die Verbeamtung junger Kollegen den älteren gegenüber ungerecht, findet die 58-Jährige. Auf geteilte Meinung trifft der Streik bei Eltern von schulpflichtigen Kindern. „Die Kinder wurden zwar betreut. Aber es fällt auch so schon genug Unterricht aus“, sagt Anja Koch, berufstätige Mutter einer Erstklässlerin. „Ich kann die Lehrer verstehen“, sagt dagegen Andrea Leuschel aus Stralsund. Ihren Sohn Kilian-Andras (9) hat sie mit zur Arbeit genommen. Gewerkschaften fordern Gehaltserhöhung Die Gewerkschaften fordern eine Gehaltserhöhung von 5,5 Prozent, mindestens jedoch 175 Euro, einen Eingruppierungstarifvertrag für Lehrkräfte und den „Ausschluss sachgrundloser Befristungen“. Außerdem eine verbindliche Übernahmeregelung und mehr Urlaub für Auszubildende sowie die zeitgleiche Übertragung auf die Beamten und Versorgungsempfänger der Länder und Kommunen. Die Arbeitgeber wollen laut Gewerkschaft die betriebliche Altersversorgungsrente um 30 Prozent kürzen. 12000 Lehrkräfte unterrichten in MV rund 170000 Kinder und Jugendliche. Lindner: Öffentlicher Dienst ist nicht zum Nulltarif zu haben Von einem „Erpressungsmanöver“ der Arbeitgebervertreter beim Verhandlungsauftakt der Länder-Tarifrunde sprach Annett Lindner, Vorsitzende der GEW in MV, gestern während der Kundgebung auf dem Grimmener Marktplatz. „Die Arbeitgeber verlangen von den Gewerkschaften, erneuten Einschnitten zuzustimmen, um ihre Länderhaushalte zu sanieren.“ Verfehlte Finanz- und Steuerpolitik sei kein Argument für Rentenkürzungen. Der Wirtschaft gehe es gut, aber der öffentliche Dienst werde vertröstet. Ein leistungsstarker, zukunftsfähiger öffentlicher Dienst sei aber nicht zum Nulltarif zu haben. Deutschland sei eines der reichsten Länder der Erde, das sich einen funktionierenden öffentlichen Dienst leisten sollte und diesen auch anständig bezahlen müsse. „Lehrerinnen und Lehrer sollen endlich durch eine tarifliche Eingruppierung vor Arbeitgeberwillkür geschützt werden“, forderte die Gewerkschafterin. Anja Krüger und Peter Franke

Grimmen - Mit Trillerpfeifen und Rasseln zum Markt