Von der Fanfare zur Tuba

Musiker, Maler, Motorrad-Hobby-Schrauber, Handwerker — kaum ein Mensch ist so vielseitig wie Harry Freiwald. Der Horster feiert heute seinen 70. Geburtstag. Sein bisheriger Lebensweg war geprägt vom Lernen. Dabei drückte er lediglich bis zur zehnten Klasse die Schulbank. Harry Freiwald ist Autodidakt. Das was er kann, hat er sich — Schul- und Lehrausbildung ausgenommen — selbst beigebracht. „Um wirklich alles zu schreiben, dafür reicht der Umfang der OSTSEE-ZEITUNG nicht aus“, sagt er selbst. Seine beiden größten Steckenpferde sind seit seiner Schulzeit, die er im Harzer Vorland verbracht hat, die Musik — genauer gesagt die Liebe zu Instrumenten — und das Malen. „Ich war ein fauler Schüler“, sagt er von sich selbst. „Zu malen begann ich, weil meine Deutschlehrerin meinte, meine Aufsätze könne ich nur mit Bildern verbessern“, erzählt er. Gesagt getan. Seine Bilder gefielen den Lehrern und Mitschülern. Mittlerweile hat sich Harry Freiwald sogar einen Namen als Marinemaler gemacht, denn mit viel Liebe zum Detail bringt er ehemalige NVA-Boote auf die Leinwand. Und auch seine Instrumentenleidenschaft begann in der Schule. „Ich wollte eigentlich immer Tuba oder Posaune spielen“, erzählt der heutige Jubilar. Doch erst viele Jahre später — genau genommen mit 50 Jahren — hat er seinen Traum erfüllt. Heute spielt er im Grimmener Blasorchester und bei der Zarrentiner Feuerwehrblaskapelle. „Alles fing an, als ich in der vierten Klasse war. Mein Musiklehrer gründete damals einen Fanfarenzug“, erzählt er. Der kleine Junge, der bereits Akkordeon spielte, wollte unbedingt dazu gehören. „Aber mein Lehrer lehnte ab. Er traute mir nicht zu, dass ich Fanfare spielen kann, weil ich vorstehende Zähne hatte“, erzählt er. Nicht einmal bei den Proben habe er dabei sein dürfen. Damit konnte sich Harry Freiwald nicht zufrieden geben. „Ich lauschte bei den Proben. Und danach habe ich mir einen von den Spielern geschnappt und habe es auf dessen Fanfare nachgespielt“, erzählt er. Nach ein paar Monaten sei er zum Lehrer gegangen und und habe ihm bewiesen, dass er es doch könne. „Von der fünften bis zur zehnten Klasse habe ich daraufhin dort mitgespielt“, sagt er mit einem schelmischen Grinsen. 33 Jahre ließ ihn das Fanfarespielen nicht mehr los. Und auch zu jeder seiner weiteren musikalischen Stationen — insgesamt fünf an der Zahl — hat Harry Freiwald auch wenigstens eine interessante Geschichte. In Wolgast, dort lernte er auf der Werft den Beruf des Rohrschlossers, gründete er selbst den ersten Fanfarenzug. „Mit Knastis“, sagt er salopp. „Aber das war so eine dufte Truppe. Mit ihr war ich 1964 sogar zum großen Pfingsttreffen in Berlin“, erzählt der Horster. Nach seiner NVA-Zeit als Marinetaucher in Warnemünde — dort ließ er sich von einem befreundeten Soldaten das Gitarrespielen beibringen — begann er in Abtshagen zu arbeiten und damit auch sein Wirken in Grimmen. „Ich hörte von dem Jugendblasorchester in Grimmen und geriet schließlich, weil ich fürs Jugendblasorchester zu alt war, an Fritz Frauenstein. Er ermunterte mich, an der Wander-Schule einen Fanfarenzug zu gründen. Ich bekam jegliche Unterstützung von ihm und seine Frau nähte die Kostüme“, erzählt er. Richtig gut sei der Fanfarenzug gewesen, sollte 1973 sogar zu den Weltfestspielen. „Aber da hat uns die FDJ-Kreisleitung einen Strich durch die Rechnung gemacht. Zwei Wochen vorher hat sie mir mitgeteilt, dass wir nicht fahren“, erzählt er. „Undank ist der Mühe Lohn“, mehr will er dazu nicht sagen. Bis 1976 hat er den Fanfarenzug noch geleitet, danach war Schluss. Aber nur für acht Jahre. „Jochen Hiller war inzwischen Schuldirektor an der Wander-Schule. 1980 kam er zu mir mit der Bitte, wieder einen Fanfarenzug aufzubauen. Da war ich aber gerade bei der Meisterschule und ich sagte nur zu ihm, er solle wiederkommen, wenn ich sie beendet habe. Das hatte er nicht vergessen. 1982 war ich fertig und er sprach mich wieder an, versprach mir sogar 300 Mark“, erinnert er sich. Das Geld habe er zwar nie gesehen, aber einen Fanfarenzug hat er 1984 doch wieder gegründet. „Diesmal aber nicht über die FDJ, mit denen war ich durch, sondern über den DTSB“, erzählt Harry Freiwald. Sehr viel Unterstützung habe er in der Zeit auch von Holger Zwingelberg bekommen. „Das größte Problem war immer die Instrumentenbeschaffung. Damals haben wir beispielsweise alte Fanfaren in Eilenburg in einer Garage gefunden. Die wurden gekürzt, weil sie zu groß für die Kinder waren“, weiß er noch. Mit diesem Fanfarenzug, den er bis 1990 leitete, habe er eine Menge erlebt. 80 Kinder haben dort gespielt. Darunter war auch Anja Schwarz (40). „Er hat aus allen das Beste herausgekitzelt. Aber bei allem Ehrgeiz hat er auch sehr viel mit uns unternommen“, erinnert sich die Zahnärztin. „Vor einigen Jahren kam er zu mir und schenkte mir eine alte Fanfare, das war sehr rührend“, erzählt sie. Nach seinen Stationen in Ritterhude, Schwanewede bei Osterholz-Scharmbeck, dort arbeitete er bis 1997, kaufte er sich schließlich 1995 seine erste Tuba, lernte sie spielen und wirkte zwei Jahre im Orchester Hüttenbusch mit. „Zurück in der Heimat ging er zur Zarrentiner Feuerwehrblaskapelle und fragte ein Jahr später bei Uwe Dillner, der damals das Grimmener Blasorchester leitete, nach, ob er als Tubist einsteigen könne. Nach einer Kostprobe seines Könnens durfte er. „Als einer unserer drei Tubisten beherrscht er sein Instrument sehr gut“, lobt Bernd-Christian Griwahn (38), Schlagzeuger beim Grimmener Klangkörper. Aufgespielt soll heute auch in Horst werden. Um die 50 Gäste erwartet Harry Freiwald. „Und das eine oder andere Ständchen gibt es bestimmt“, freut er sich. Gefeiert wird übrigens nicht auf seinem Hof, wo bereits die Admiralsfahne — in Anlehnung an seine Leidenschaft zur Marine — gehisst ist, sondern in der Gaststätte des Ortes. Als einer unserer drei Tubisten beherrscht er sein Instrument sehr gut:“Bernd-Christian Griwahn (38), Schlagzeuger beim Grimmener Blasorchester Anja Krüger

Horst - Von der Fanfare zur Tuba