Stadtführung durch Grimmen: Über Brände, Hexen und besondere Gebäude

Ein Streifzug durch die Grimmener Altstadt lohnt sich zu jeder Jahreszeit. Wer als Besucher das erste Mal einen Spaziergang durch die Straßen unternimmt, wird von den geschichtsträchtigen Gebäuden beeindruckt sein. Auch Einheimische können dabei bislang Unbekanntes entdecken. Seit 2001 bringt die Stadtführerin Gudrun Rech den Menschen die Geschichte Grimmens nahe. Sie kennt alle Hintergründe, Sagen und Geschichten zur Stadt und vermittelt diese mit viel Leidenschaft. Dafür schlüpft sie manchmal auch in ein Kostüm – als Hexe, Nachtwächterin oder als Blumenfrau. Derzeit können aufgrund der Corona-Krise keine Stadtführungen stattfinden. Der OSTSEE-ZEITUNG und ihren Lesern gab Gudrun Rech dennoch eine exklusive Führung. Tour beginnt am Rathaus: Wie immer beginnt die Stadtführung am Rathaus. Bereits hier gibt es einiges zu wissen: Denn der untere Teil des Rathauses war einmal die Gerichtslaube. Das Haus aus Backstein wurde im 14. Jahrhundert erbaut. Die fünf offenen Torbögen sind ein Wiedererkennungsmerkmal. Diese waren von 1740 bis 1937 zugemauert. Hinter den dicken Wänden aus Stein wurden Leute verurteilt. Im Eingang des Rathauses stand die Stadtwaage. Diese war für die Ackerbürgerstadt, einer Stadt mit vielen Bauern, sehr wichtig. Sie konnten ihre Ernte hier wiegen und anschließend auf dem Marktplatz verkaufen. Der Freitag war auch früher bereits der Markttag. Die vier Viertel der Altstadt: Die Grimmener Altstadt wurde über Jahrhunderte hinweg in vier Wohnviertel aufgeteilt. Das Rathaus befindet sich beispielsweise im Knochviertel. Es wurde nach den damals dort ansässigen Kochenhauern, also Schlachtern, benannt. Das Kirchviertel bekam seinen Namen durch die sich dort befindliche Kirche. Das Kleinleichnamviertel wurde nach der Kapelle „Zum heiligen Leichnam“ benannt, die heute nicht mehr existiert. Das Strohviertel und auch die Strohstraße wurden nach den Häusern benannt, die fast alle ein Dach aus Stroh besaßen. Später seien die Strohdächer in Grimmen verboten worden, erklärt Gudrun Rech. Grund sei vor allem ein Stadtbrand gewesen, der ganze Straßenzüge entflammen ließ. Tabakwarenfabrik Röpke: In der Tabakwarenfabrik Röpke in der Langenstraße sind viele Jahre Zigarren und Zigaretten hergestellt worden. „Damals kauften die Menschen aus der Region die Tabakwaren, um sie zu den Soldaten ins Feld zu schicken“, erklärt Gudrun Rech. Als der Krieg vorüber war, habe jeder selbst Tabak anbauen dürfen. Die Menschen waren nicht mehr von der Fabrik abhängig. Das Geschäft in der Mühlenstraße wurde 1947 wiedereröffnet. Erst vor circa drei Jahren schloss Adolf Röpke, der bereits in dritter Generation diesen Namen trägt, das Geschäft und ging in Rente. Heute steht das Gebäude leer. Ratsapotheke: Die Ratsapotheke wurde im Jahr 1758 eröffnet. Zunächst war Grimmen die einzige Stadt im Umkreis, die eine Apotheke besaß. Zur gleichen Zeit arbeitete auch der erste Arzt in der Trebelstadt. Doktor Johann von Stucker habe selbst den Armen der Stadt zur Verfügung gestanden, auch wenn sie kein Geld hatten, so Gudrun Rech. Gewölbte Fenster im Patrizierhaus: Das Patrizierhaus wurde um 1690 im Spätbarock gebaut. 1860 wurde das Gebäude fast vollständig umgebaut. Dies sei seitdem und auch noch nach der Wende ein Haus der reichen Leute gewesen, so die Stadtführerin. Das Haus hat sowohl Rundbogen als auch kreisrunde Fenster. Eine Besonderheit an dem Gebäude ist, dass die Scheiben gewölbt sind: „Das hat den Vorteil, dass man von innen nach außen, aber nicht von außen nach innen schauen kann“, so Gudrun Rech. Über 37 Jahre hatte der Zahnarzt Uwe Kallwas mit seiner Frau Angelika im Erdgeschoss des Hauses seine Praxis, im oberen Teil haben sie gewohnt. Der Arzt ging im vergangenen Jahr in den Ruhestand. Das Haus kaufte eine Familie aus Berlin. Bäckerei der Stadt: Das heutige Tattoo-Studio in der Mühlenstraße war früher eine Bäckerei. Diese wurde 1912 erbaut und gehörte Otto Waterstraat. Der Bäcker war Vorstandsmitglied des örtlichen Schützenvereins. Bei einem Stadtumzug sei der Mann zusammengebrochen und verstorben, erzählt Gudrun Rech. Auch zu DDR-Zeiten befand sich eine Bäckerei in dem Gebäude. Ehemaliges Kaufhaus und Gaststätte „Lenchen“: Das ehemalige Kaufhaus Stolz war früher schon ein beliebtes Geschäft. Im Jahr 1935 gründete Gustav Ramelow das Verkaufshaus. Zu DDR-Zeiten war es das HO-Kaufhaus (Handelsorganisation). Seit Anfang 2020 steht es leer und befindet sich mittlerweile im Besitz der Hillebrand-Gruppe. Gegenüber vom einstigen Kaufhaus steht ein weiteres Gebäude leer. Bis vor zwei Jahren gab es hier noch einen Schuhladen, zuvor war es ein Quelle-Shop. Nur wenige Menschen erinnern sich noch an die einstige Gaststätte „Lenchen“, die sich dort einmal befand. „Die Arbeiter sind dort eingekehrt und haben nach Feierabend noch ein Bier oder einen Schnaps getrunken“, so Gudrun Rech. Medizinische Versorgung in der Badestube: In der Badestube konnten die reichen Leute aus Grimmen nicht nur gegen Bezahlung baden gehen. Der Bader hat auch die Haare seiner Besucher geschnitten, Hühneraugen entfernt oder Zähne gezogen. „Die Frau des Baders war die berühmteste Hexe von Grimmen“, erzählt Gudrun Rech. Sie hieß Anna Maria Kröger und wurde am 16. März 1697 in Grimmen verbrannt. „In der Badestube konnte die Frau mithören, was sich die Ratsherren und die Kaufleute zu erzählen hatten. Sie sprachen darüber, was sie Schlimmes getan haben oder noch tun wollten. Ruckzuck war die Frau aus dem Haus raus, ab in die Stadt und hat alles erzählt, was sie wusste“, so die Stadtführerin. Bei den Grimmenern habe sich Anna Maria Kröger dadurch unbeliebt gemacht, weswegen sie als Hexe verschrien und verbrannt wurde. Erste Schule in Grimmen: Das Kalandhaus wurde um 1450 von katholischen Geistlichen errichtet. In dem Haus mit Garten lebten und arbeiteten sie. Im Jahr 1734 gab es nur noch wenige, die der Bruderschaft beiwohnten, weshalb die Geistlichen nach Stralsund weiterzogen. In dem nun leerstehenden Haus wurde dann die erste Schule Grimmens gegründet. Die Schulstraße, in der sich das Haus befindet, wurde nach ihr benannt. Während der DDR befand sich in dem Haus außerdem die neuapostolische Kirche: „Als auch diese nach Stralsund weiterzog, wurde es zu einem Privathaus“, so Gudrun Rech. Von Lena-Marie Walter